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Chinas holprige Seidenstraße
Vor zehn Jahren begann Chinas massives Investitionsprogramm im Ausland – doch die Probleme wachsen
China will das zehnjährige Bestehen seiner Neuen Seidenstraße gebührend feiern. Staatschef Xi Jinping hat für Dienstag und Mittwoch zum Seidenstraßen-Gipfel nach Peking eingeladen. Nach 2017 und 2019 ist es das dritte Forum dieser Art. Es werden zahlreiche Staatsgäste erwartet. Darunter soll auch der russische Präsident Wladimir Putin sein. Westliche Staaten haben angekündigt, weniger ranghohe Politiker zu entsenden.
Wirtschaftspolitisch steht das Gipfeltreffen unter keinem guten Stern. Die Volksrepublik hatte erst im Dezember 2022 begonnen, den Corona-Lockdown aufzuheben. Nun dauert die Erholung der Wirtschaft nach der Pandemie länger als erhofft. Zudem schwächt eine Immobilienkrise Chinas Wirtschaft. Auch die volkswirtschaftlich extrem wichtige Nachfrage schwächelt, weil Verbraucher lieber sparen, als zu konsumieren. Selbst Chinas Außenhandel ist weiterhin deutlich geringer als selbst noch im Vorjahr, teilten die Behörden vergangene Woche mit. Der Internationale Währungsfonds stutzte seine Wachstumsprognose für dieses Jahr auf 5 Prozent und rechnet für das kommende Jahr nur noch mit 4,2 Prozent.
Sehr hohe Wachstumszahlen scheinen der Vergangenheit anzugehören, was die Neue Seidenstraße zu einer Ruckelpiste machen könnte. Vor zehn Jahren hatte Xi Jinping seine »Belt and Road Initiative« (BRI) in Kasachstan vorgestellt. Chinas Staats- und Parteichef sprach von den historischen Handelsverbindungen der alten Seidenstraße, die sein Land mit Zentralasien und Europa verbanden und künftig wiederbelebt werden sollen. Wenige Wochen später weitete Xi seinen Ansatz auf den Seeweg aus: Er sprach von einer »maritimen Seidenstraße des 21. Jahrhunderts«.
In der Folge wurde ein Netz aus sogenannten Logistik-Hubs und Häfen gesponnen, das vom Südchinesischen Meer über den Indischen Ozean bis ins Mittelmeer und die Deutsche Bucht reicht. Als Beispiel sei die Beteiligung des chinesischen Reedereiriesen Cosco an einem Terminal im Hamburger Hafen genannt. »Als internationaler Handelsstandort und Logistikdrehkreuz, einer der wichtigsten China-Häfen ist Hamburg ein wichtiger Knotenpunkt für die BRI«, lobt die Handelskammer in der Hansestadt. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Bilendi & Respondi, das dieses im Auftrag der chinesischen Botschaft in Berlin durchführte, steht ein Großteil der Deutschen der Initiative offen gegenüber, sieht zwar auch Risiken, aber wünscht sich mehr Kooperation mit China. Die Hälfte der Bundesbürger hat allerdings bislang noch nichts von der Neuen Seidenstraße gehört.
Noch bevor die Staatsgäste eintreffen, hat sich Peking in einem Weißbuch selbst gelobt. Danach beteiligen sich mehr als 150 Länder an dem Projekt »Ein Gürtel, eine Straße«, wie die chinesische Bezeichnung für BRI lautet. Umgerechnet rund eine Billion Euro will Peking in 3000 Projekte investiert haben. Vor allem Entwicklungs- und Schwellenländern wollte Peking Zugang zum globalen Markt und durch die vernetzte Infrastruktur ein größeres Gewicht verschaffen. Selbstverständlich ging es Xi auch darum, sein Land wirtschaftlich voranzubringen.
An Kritik wird vor dem Gipfel nicht gespart, vor allem an Großprojekten, die vielen als überdimensioniert erscheinen. Als Mahnung gilt der Pleitestaat Sri Lanka, wo China unter anderem den Hafen Hambantota, einen Flughafen und ein Kongresszentrum errichtete. Tiefseehafen, Schnellstraßen und Bahnstrecken errichtete China auch in Kenia. Beide Länder haben sich dafür stark verschuldet. Kritik wird selbst in Südamerika daran laut, dass viele Projekte von chinesischen Firmen errichtet wurden, die ihre Arbeiter und Ingenieure aus der Heimat mitbrachten.
Innerhalb der Europäischen Union sind es neben Italien vor allem ost- und südosteuropäische Staaten, die der BRI beigetreten sind. Im Westen wird die Neue Seidenstraße hingegen zunehmend als Versuch Chinas interpretiert, einen geopolitischen Block zu bilden, der sich von dem durch die USA geführten abgrenzt. Inzwischen wächst der politische Druck auf Italien, seine BRI-Verträge 2024 nicht zu verlängern.
Deutschland beteiligt sich bereits an Plänen zum Aufbau einer westlichen »Seidenstraße«, die bis nach Indien reichen soll, und kooperiert dabei mit der EU und den USA. Wie Washington, Brüssel, Berlin und die Regierungen weiterer Staaten am Rande des G20-Gipfels in Neu-Delhi beschlossen, soll ein »India-Middle East-Europe Economic Corridor« (IMEC) Europa und Südasien verbinden. Bestehen soll er ebenfalls aus einer Kombination aus Bahn- und Schiffsrouten. »Das Projekt ist als Konkurrenzvorhaben zu Chinas Neuer Seidenstraße konzipiert«, schreibt der linke außenpolitische Infodienst »German Foreign Policy«. Gleichzeitig solle IMEC Neu-Delhi stärker an die EU binden, um es leichter gegen Peking in Stellung bringen zu können.
Großprojekte wie in Sri Lanka oder Kenia scheint China inzwischen nicht mehr neu in Angriff zu nehmen. Xis Regierung dürfte aus solchen Misserfolgen der Vergangenheit gelernt haben. Im Jahr 2013 hatte Chinas Bruttoinlandsprodukt noch um satte 7,8 Prozent zugelegt. In den zehn Jahren seither ist die chinesische Wirtschaft real um etwa 70 Prozent gewachsen, weit schneller als die US-Wirtschaft und die europäische, woran die Neue Seidenstraße ihren Anteil haben dürfte. Doch die aktuellen Herausforderungen im eigenen Land, von der Immobilienkrise bis zur geringen Konsumnachfrage, schränken den finanziellen und politischen Spielraum der Regierung in Peking bis auf Weiteres erheblich ein. Auch Präsident Xi ist das Hemd näher als die Hose.
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