Die Fußball-EM in Deutschland als gesellschaftliches Großprojekt

Inmitten vieler politischer Krisenherde soll das Turnier zu einem Wendepunkt werden

  • Frank Hellmann, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Pokal ist das sportliche Ziel, Turnierchef Lahm, Botschafterin Sasis und Arbeitsminister Heil (v.l.) wollen mehr aus der EM machen.
Der Pokal ist das sportliche Ziel, Turnierchef Lahm, Botschafterin Sasis und Arbeitsminister Heil (v.l.) wollen mehr aus der EM machen.

Sorgenfalten auf einem grell ausgeleuchteten Podium sind in diesen Tagen wohl unvermeidlich. Philipp Lahm spürt bei den in engerer Taktung folgenden Terminen rund um die Fußball-Europameisterschaft 2024, welch Ballast sich auftürmt. Neuerdings kommen die Geschehnisse in Israel hinzu, die Qualifikationsspiele einer Nation gerade unmöglich machen, die eigentlich auf gutem Wege war, erstmals in Deutschland bei der Endrunde mitzumachen. »Grausam« nannte der Turnierdirektor die Geschehnisse. Die Auswirkungen auf Qualifikation, Auslosung und Sicherheitsfragen für die EM seien allesamt schwer zu überblicken.

Die politische Einordnung überließ der 39-jährige ehemalige Nationalspieler am Montag bei einem Medientermin in der Frankfurter Arena Arbeitsminister Hubertus Heil, der »gegen den Terror der Hamas eine klare Haltung« formulierte. Der SPD-Politiker äußerte ansonsten seine Vorliebe dafür, dass sich die Ukraine qualifizieren möge. Dass das letzte Qualifikationsspiel gegen Italien am 20. November in Leverkusen ausgetragen werde, sei ein »Zeichen der Solidarität«. Er würde sich »persönlich wahnsinnig freuen«, wenn die Ukraine nächsten Sommer zu Gast sei, das hätte nach dem russischen Angriffskrieg »eine besondere Bedeutung«.

Allein solche Themen machen deutlich, dass ein »Sommermärchen« eben nicht auf Knopfdruck zu wiederholen ist. Dafür sind die Krisenherde zu präsent, die Auswirkungen zu real. Philipp Lahm weiß längst, dass es nicht mehr damit getan ist, den Ball wie er selbst im Eröffnungsspiel der WM 2006 einfach kunstvoll in den Winkel zu schlenzen, damit von Hamburg bis München eine kaum endende Welle der Begeisterung losbricht.

Lahm erinnerte zudem an die Verwerfungen, die aus der Pandemie entstanden. Und wer dazu über ungelöste Migrationsfragen nachdenkt, kommt um die Feststellung nicht umhin, dass von Einigkeit in der Gesellschaft keine Rede sein kann. »Der Zusammenhalt ist verloren gegangen«, so der Turnierchef, der deshalb die von ihm verantwortete EM als »eine unglaubliche Chance« erkennen will, »uns alle zu stärken: Es ist wichtig, dass wir wieder mehr Zusammenhalt bekommen in Deutschland und ganz Europa.« Der Weltmeister wünscht sich einen Wendepunkt.

Auch EM-Botschafterin Celia Sasic wird nicht müde, alle Beteiligten aufzufordern, »das verbindende Element wieder in den Vordergrund zu stellen«. Mit welchem Event, fragte die ehemalige Nationalstürmerin, würden so viele Menschen zusammenkommen? Die EM 2024 soll gerade in Sachen Nachhaltigkeit und Menschenrechte den Kontrapunkt zur nach deutschen Maßstäben verrutschten WM 2022 in Katar bilden. Das sei »kein rein sportliches Fußball-Turnier«, betonte die 35-Jährige. »Alle können davon profitieren. Wir arbeiten für ein neues Wir-Gefühl.« Stolz erzählte die DFB-Vizepräsidentin für Gleichstellung und Diversität, dass die aktuell 190 Mitarbeiter der Euro 2024 GmbH aus 18 Nationen kämen, darunter 45 Prozent Frauen.

Am Ende werden 700 Personen für die EM vom 14. Juni bis 14. Juli 2024 tätig sein – 11 000 Bewerbungen für die noch offenen Stellen gibt es. In Bereichen wie Ticketing oder Logistik ist die Besetzung mit den gesuchten Spezialisten offenbar gar nicht so einfach. Heil erhofft sich, dass ein Fußballfest »unserem Land Orientierung und Hoffnung vermittelt«. Es solle doch zumindest der Beleg erbracht werden, »dass Deutschland Großereignisse kann« und man »die Dinge gebacken« bekomme.

Die Kritik, dass erst am 14. November eine verbindliche Vereinbarung für Menschenrechte vorgestellt wird – viel später als in Neuseeland und Australien bei der Frauen-WM –, wischte der Minister für Arbeit und Soziales beiseite. Der DFB habe bei der Bewerbung herausgearbeitet, dass dieser Aspekt »weit oben« stehe. »Wir sind nicht zu spät dran. Ich freue mich, dass es ein Heimspiel für Menschenrechte wird«, versicherte Heil. »Hier werden Maßstäbe gesetzt, an denen sich neue Turniere messen lassen können.«

Dummerweise werden derlei Prioritäten nicht überall gesetzt. Sonst hätte der Weltverband Fifa nicht gerade ein solch krudes Konstrukt für die WM 2030 in sechs Ländern auf drei Kontinenten erschaffen, bloß um Saudi-Arabien für 2034 den roten Teppich auszurollen. Heils Kommentar zu dieser Causa: »Leider gibt es nicht nur Austragungsorte in Westminster-Demokratien. Und WM-Vergaben sind nicht in der Hand eines Arbeitsministers.« Da waren sie auch bei ihm zu erkennen – die Sorgenfalten.

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