- Kultur
- Frankfurter Buchmesse
Andrea Paluch über Glenn Bech: »Er möchte eigentlich nett sein«
Übersetzerin Andrea Paluch über den dänischen Autor Glenn Bech und das Geheimnis seines Bestsellers, den er dem Klassenkampf gewidmet hat
Frau Paluch, das Motto des Bestsellers von Glenn Bech gibt die Richtung vor: »Dem Klassenkampf« ist es gewidmet. Ein revolutionäres Buch?
Es ist ein krass politisches Buch auf jeden Fall, im Untertitel heißt es: »Manifest«. Eins von Glenn Bechs Hauptthemen ist, dass die vermeintlich homogene dänische Gesellschaft, also der Mainstream, im Grunde negiert, dass es eine Unterklasse oder Unterschicht gibt. Die wird ganz einfach übergangen und übersehen. Da regt er sich total drüber auf. Und alles aus dem Impetus der Selbsterfahrung heraus.
Als »Manifest« charakterisiert – also ein längerer Essay? Oder eher eine Aphorismensammlung?
Für mich ist es ein Lyrikbuch. Es ist gebundene Sprache. Es gibt diese Zeilenumbrüche. Es sieht aus wie Gedichte.
Wer ist dieser Glenn Bech, der in seiner Heimat quasi über Nacht zum literarischen Star geworden ist?
Glenn Bech kommt aus einer ökonomisch schwachen, dysfunktionalen Familie. Er ist homosexuell, kommt aus der Provinz, ist auch praktizierender Psychologe. Bech hat viele Diskriminierungserfahrungen und das thematisiert er, aber er politisiert es auch. Und das ist das, was mich daran so begeistert.
Der dänische Schriftsteller Glenn Bech (Jg. 1991) ist nicht nur auf der Frankfurter Buchmesse ein Shooting Star. Am 19. Oktober stellt er in den Nordischen Botschaften in Berlin sein Buch »Ich erkenne eure Autorität nicht länger an« (Kröner Verlag, 350 S., geb., 25 €) vor. Darin befasst er sich mit Ursachen für Gewalt, Hass und grassierendem Populismus. Ins Deutsche übersetzt hat das Buch Andrea Paluch (Jg. 1970). Die Schriftstellerin und Übersetzerin ist mit Wirtschaftsminister Robert Habeck verheiratet, mit dem sie mehrere Romane und ein Theaterstück geschrieben hat. Neben ihrer Übersetzertätigkeit ist Andrea Paluch auch als Dozentin an der Europa-Universität Flensburg sowie als Musikerin tätig.
Sehen Sie Vorbilder für seine Schreibweise?
Mich hat das an poetry slam erinnert. Manchmal gibt es syntaktische Verbindungen in beide Richtungen, in die Zeile davor und danach. Und das ist teilweise wirklich schwierig, weil die deutsche Syntax anders ist – das war schon ein bisschen tricky. Gleichzeitig ist das Buch relativ frei in der Form. Also lyrisch, aber im Grunde genommen auch gesprochene Sprache. Aber Vorbilder? Keine Ahnung.
Manches könnte provozierend für Ihren Mann, Minister Robert Habeck, klingen. Ich zitiere hier mal einige Sätze, die wie gemacht scheinen für das Spannungsverhältnis zwischen Habeck und Annalena Baerbock: »ich will eigentlich gerne mit dir zusammen kämpfen/ habe aber das Gefühl/ du kannst ausschließlich so lange dabei sein/ wie ich mich hinten anstelle/ und so haben wir nicht gewettet/ politisch legitimiertes Mobbing/ ist immer noch Mobbing.« – Letztlich sagt Glenn Bech, der Marsch durch die Institutionen kann es auch nicht sein …
Gleichzeitig ist er neidisch auf die Leute, die eine gute Ausbildung haben. Er selbst geht auf diese Schreibakademie, ist da aber schon älter und nicht so gut ausgebildet wie die anderen. Und er kritisiert krass die Bubble-Bildung, diese wokeness in der Großstadt. Dass das System nicht durchlässig ist. Alle Rechtsanwälte bewegen sich unter Rechtsanwälten und so was.
Zehn Jahre lang waren Sie zusammen mit Ihrem Mann so etwas wie ein Literaturteam, sie haben Bücher gemeinsam erdacht und geschrieben. Hat er heute noch Zeit, sich mit Ihrer Literatur zu befassen?
Nee.
Es geht nur um die Politik?
Ja.
Bedauern Sie es, ihn für die Politik freigegeben zu haben?
Nee, nee, nee, das war alles genau richtig. Aus meiner Sicht als Wählerin: Ich bin ja so froh, dass Leute diese Arbeit machen. Demokratie funktioniert ja nur so, dass Leute sagen, ich mach da mit. Ich kann noch nicht mal auf jene böse sein, die ich richtig doof finde. Ich bin einfach froh, dass die das machen. Dass ich das nicht machen muss. Insofern habe ich erst mal nur Respekt vor Politikern.
Gibt es Gedanken, Sätze oder Überlegungen von Glenn Bech, die Sie besonders beschäftigt haben?
Das Allerkrasseste fand ich, dass da auf seiner eigenen Beerdigung gesagt werden könnte: Er hatte keine Familie. Das ist für ihn das Schlimmste, was er sich vorstellen kann: »welchen Sinn hat es in Erinnerung zu bleiben/ für seine Leistungen und harte Arbeit/ wenn niemand auf der Beerdigung den Namen/ deines Lieblings-Eises kennt?« – … und ich habe halt ’ne große Familie. Aber wenn ich die nicht hätte … Dieses Gefühl, dieses alleine sein und dann einfach so verschwinden, keiner erinnert sich und so … Schrecklich!
Klasse handelt von Selbstdarstellung ...
Ich habe in Glenn Bechs Buch auch blinde Flecken bei mir entdeckt. Der kann es super sowohl auf den Punkt bringen als auch unterschwellig Sachen sagen, wo man denkt: Ooooh, scheiße, das hätte ich jetzt sein können. Ach, unangenehm!
Bei der Buchvorstellung am Mittwoch werden Sie mit Glenn Bech ein Gespräch führen.
Ja, das wird spannend sein. Ich weiß nicht, ob er weiß, wer ich bin. Wir kennen uns nicht, haben uns nicht gesehen, nicht gesprochen. Nur ein wenig Austausch per Email gehabt, wenn es um Verständnisfragen ging. Ich weiß nicht mal, ob es mir in heutiger Zeit als heterosexueller Frau zugestanden wird, dieses Buch zu übersetzen.
Sie bedanken sich bei Ihren vier Söhnen, die Dänisch unterrichtet worden sind und Dänisch wie eine Muttersprache beherrschen. Wie sehr haben Ihre Söhne Ihnen bei der Jugendsprache von Glenn Bech geholfen?
Sehr. Beim ersten Lesen erschien mir das Buch sprachlich nicht besonders schwierig. Ich hab – dachte ich jedenfalls – alles verstanden. Dann aber habe ich gemerkt, dass es ganz schön schwierig ist, diesen Alltagsslang, diese Jugendsprache ins Deutsche zu übertragen. Und im Laufe des Übersetzens habe ich gemerkt, dass ich manche Dinge überhaupt nicht gecheckt hab’. Aber meine Jungs haben das alles gewusst und mich immer darüber aufgeklärt, was gemeint ist.
Im längsten Kapitel, dem vorletzten unter der Überschrift »Provinzschwule sind Gott«, wirkte es auf mich teilweise wie ein Ratgeber. Eine andere Seite des Rebellen?
Glenn Bech ist ja von Beruf auch Psychologe, das geht bestimmt zusammen. Dass er weiß, wie Sachen funktionieren, warum man Leute benachteiligt, wenn sie in der Minderheit sind.
Das Buch ist in Dänemark durch die Decke gegangen, teilt der Stuttgarter Kröner-Verlag in seiner Werbung mit. Ist es auch ein Kultbuch in der schwulen Szene?
Das weiß ich nicht, vielleicht auch. Aber es ist richtig angekommen und wird debattiert im Literaturbetrieb. Und das ist ein bisschen paradox. Die Leute, die er kritisiert, die feiern ihn total.
Schreibt er, um zu überleben?
Nee. Er schreibt, um politische Aufmerksamkeit zu erregen, um die Leute zu provozieren. Das sagt er auch. Das macht ihm aber keinen Spaß. Er möchte eigentlich nett mit Leuten umgehen und sie nicht so anmachen. Aber er hat das Gefühl, er muss das. Und da tut er einem auch irgendwie leid. Ist ja kein schönes Leben eigentlich, so als Negativ-Kritiker rumzulaufen.
Und das, was er gesehen und erlitten hat und nun erzählt, sind auch wüste schwulenfeindliche Begegnungen. Er gibt dafür Beispiele. Was meint er mit »Lass mich einfach in Ruhe«? Wen meint er damit?
Alle meint er damit. Alle Leute, die ihn ständig als Schwulen anmachen, ihn anglotzen …
Also nehmt mich hin, wie ich bin, meint er?
Ja.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.