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Das laute Schweigen der deutschen Politik
Dass die deutsche Politik es nicht schafft, palästinensisches Leid zu beklagen und israelische Kriegsverbrechen zu verurteilen, hat System.
Nach dem Großangriff der Hamas auf Israel bekundeten alle deutschen Parteien ihre Solidarität mit dem israelischen Staat. Bundestagsabgeordnete von links bis rechts posteten Instagramkacheln mit der israelischen Flagge – auch das Hashtag #IstandwithIsrael durfte in kaum einem Statement fehlen. Richtigerweise drückten sie darin auch ihre Empörung über die grauenvollen Taten der Hamas und ihr Mitgefühl für die Betroffenen und deren Familien aus. Dafür muss es im Land der Shoah dringend Raum geben.
Seit Beginn des israelischen Vergeltungsschlages auf Gaza, der inzwischen mehr als 2000 Leben kostete, schaffte es jedoch kaum ein deutscher Politiker, das palästinensische Leid zu beklagen oder sich mit den Opfern und ihren Angehörigen zu solidarisieren. Geschweige denn die rassistische Rhetorik der israelischen Regierung und - noch viel wichtiger - die nachweislich von Israel begangenen Kriegsverbrechen zu verurteilen. Abgeordnete empören sich lauthals über ermordete israelische Kinder. Zu den Hunderten Kindern, die in Gaza und der Westbank seit Beginn des Krieges getötet wurden, herrscht eine laute Stille.
Ja, hier handelt es sich auch um selektiven Humanismus, um Heuchelei, wenn man so will. Es macht offensichtlich, dass palästinensisches Leben in der deutschen Dominanzgesellschaft als weniger relevant und somit als weniger wertvoll betrachtet wird. Das ist rassistisch. Viel mehr noch hat das große Schweigen der deutschen Politik zu israelischer Gewalt an Palästinensern aber System. Ein System, das weit über die fragwürdigen Haltungen einzelner Politiker hinausgeht.
Pauline Jäckels ist Redakteurin bei nd und im Politikressort für die parlamentarische Berichterstattung zuständig.
2006 proklamierte Angela Merkel erstmals bei einer Rede vor der Knesset die bedingungslose Unterstützung Israels als »deutsche Staatsräson«. Die deutsch-israelische Freundschaft existiert aber schon viel länger und stützt sich neben der wichtigen historischen Verantwortung, jüdisches Leben zu schützen, auch auf gegenseitigen Nutzen – so argumentiert der Politikwissenschaftler Daniel Marwecki in seinem Buch »Germany and Israel – Whitewashing and Statebuilding«. Demnach unterstützt Deutschland Israel seit Jahrzehnten politisch, wirtschaftlich und militärisch. Im Gegenzug profitierte es von einem verbesserten Image, was dem Land ermöglichte, post-1945 in die Arena internationaler Politik zurückzukehren.
Diese enge Bindung bringt Deutschland jedoch immer wieder in Erklärungsnot, denn der israelische Staat verstößt mit seiner expansiven Siedlungspolitik über die Grüne Linie in der Westbank hinaus fortlaufend gegen internationales Recht. Auch die unverhältnismäßige Gewalt, die das israelische Militär häufig gegen die palästinensische Zivilbevölkerung anwendet, entspricht nicht den Werten, die Deutschland nach außen hin vertreten will.
Um die Israel-Treue als legitim aufrechtzuerhalten, betreiben staatliche Akteure Public Diplomacy, also politische PR. Über Reden, Statements, kulturellen Austausch und ständig wiederholte Freundschaftsbekundungen aller Art wird die deutsche Israel- und Palästina-Politik vermarktet. Auf der anderen Seite dieser lauten Solidarität steht das Leisemachen und Nichtbeachten Palästina-solidarischer Stimmen.
Wer sich hinter die palästinensische Sache stellt, dem droht mindestens ein Antisemitismusvorwurf, in vielen Fällen auch Diffamierungskampagnen und womöglich der Jobverlust. So erging es jüngst dem Journalisten Malcolm Ohanwe, der aufgrund eines X-Posts mehrere Engagements bei öffentlich Rechtlichen Sendern verlor. Für Politiker gilt umso mehr: Bloß nicht über Palästina sprechen, denn das könnte das Mandat kosten.
Dabei handelt es sich weder um eine Verschwörung noch um eine staatliche Zensur, wie man sie sich klassischerweise vorstellt. Vielmehr ist es eine anti-palästinensische Kultur, die über viele Jahrzehnte gewachsen und in allen gesellschaftlichen Bereichen tief verwurzelt ist. Sie trägt die Entrechtung von Palästinensern etwa über Versammlungsverbote, sie trägt das Schweigen über ihr Leid und sie trägt die Legitimierung israelischer Kriegsverbrechen durch deutsche Politiker.
Diese Version des Textes enthält eine redaktionelle Ergänzung.
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