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Guatemala: »Arévalo ist unsere einzige Option«
Guatemalas Arme gehen auf die Straßen, um den Amtsantritt des gewählten Präsidenten zu sichern
Nicht mehr als eine Handvoll der Einwohner*innen Comalapas haben warmes Wasser, geschweige denn eine Waschmaschine. Nicht weil es das nicht gäbe. »Das Geld reicht nicht, um den nötigen Strom zu bezahlen«, erklärt Ivette Curruchich, eine 34 Jahre alte indigene Näherin aus dem Dorf. Täglich drei Mahlzeiten für ihre Kinder und sie auf den Tisch zu bringen, ist nicht immer leicht.
Wie Ivette ergeht es vielen der 17 Millionen Guatemaltek*innen. Das Land wird von einer korrupten politisch-wirtschaftlichen Elite geführt, die kriminelle Strukturen duldet und teilweise sogar unterstützt. Menschenrechte werden oft nicht geachtet.
Das Maya-Land belegt laut Transparency International den fünften Platz des Korruptionsindex des amerikanischen Kontinents, weltweit gehört es zum korruptesten Drittel. Auch deshalb gehen breite Massen des Volkes seit über einer Woche auf die Straßen: um den »Pakt der Korrupten« zu bekämpfen und einem möglichen demokratischen Wandel den Weg freizumachen. »Die Korruption hält uns in der Armut und in der Unterernährung, das war schon zu Zeiten unserer Großeltern so und jetzt haben wir es satt!«, rief eine Teilnehmerin bei einer Kundgebung von 48 Indigenen- und bäuerlichen Organisationen am 4. Oktober in der Hauptstadt Guatemala-Stadt in die Menge.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Im Laufe der Woche solidarisieren sich immer mehr Menschen, Universitäten und Lokalpolitiker*innen mit der Bewegung. Was als kleiner Widerstand der Indigenen der Region Totonicapán begann, hat sich mittlerweile zu einer landesweiten Protestwelle entwickelt. Insbesondere die Landbevölkerung und die Arbeiterklasse des mittelamerikanischen Landes fluten derzeit die Straßen und erhalten tatkräftige Unterstützung von Hauptstädter*innen: Bürger*innen servieren warmes Essen, Händler*innen und Supermärkte spenden Lebensmittel, Zahnbürsten und Schlafmatten, Geschäfte öffnen ihre Toiletten für die Teilnehmer*innen der Proteste. Mittlerweile sind über 80 Straßen versperrt.
»Lasst das guatemaltekische Volk nicht weiter leiden«, bat ein Sprecher der indigenen Gemeinschaft aus Sololá die Staatsanwaltschaft während des Aufgebots in Guatemala-Stadt, sonst würden sie weiterhin die Straßen »vom Flughafen bis ans andere Ende« blockieren. Die Eliten sollten fühlen, was es bedeute, wenn die Wirtschaft des Landes nicht mehr funktioniere, fügte er hinzu. Eine Aktivistin merkte an, dass das Volk sich auch selbst gegen die Korruption wehren müsse und im Alltag nicht als Handlanger der Korrupten dienen dürfe.
Die Demonstrierenden zeigen durch friedliche Protestmärsche, Kundgebungen und Straßenblockaden ihre Abneigung gegen die aktuellen Vorfälle, diese sollen auf »unbestimmte Zeit« aufrechterhalten werden. Auslöser war das Vorgehen der Staatsanwaltschaft gegen den am 20. August vom Volk gewählten und als sozialdemokratisch geltenden Präsidenten Bernardo Arévalo. Der Leiter der Sonderstaatsanwaltschaft gegen Straflosigkeit, Rafael Curruchiche, ließ jüngst Originaldokumente der Wahlen beschlagnahmen. Bereits im September warnte der Regierungschef in spe vor einem Staatsstreich gegen ihn. Jetzt fordert das Volk Curruchiches sofortigen Rücktritt und auch den der Generalstaatsanwältin und Direktorin der Staatsanwaltschaft, Consuelo Porras, sowie des verantwortlichen Richters Fredy Orellana.
Die Indigenen Autoritäten haben ein Dokument angefertigt, das sie bei den Vereinten Nationen einreichen werden. Sie berufen sich auf mehrere international gültige Verträge, die ihr Recht und ihre Unabhängigkeit schützen. Mehr als die Hälfte der Einwohner*innen des Landes sind Indigene oder haben indigene Wurzeln. Im Anschluss bittet Bernardo Caal Col, Autorität des Volkes Qana Choch, die Europäische Union und die USA um Unterstützung. Diese sollen in Form von strengen Wirtschaftssanktionen das Handeln des Staates einschränken. Es sollen keine Gelder mehr an diejenigen fließen, die den Staatsstreich fördern.
Namensvetterin Ivette Curruchice macht in Guatemala-Stadt aus ihrem Ärger keinen Hehl: »Diese Personen sind eine Schande für unsere Heimat Comalapa, sie ziehen den Namen unseres Dorfes in den Dreck!« Curruchiche und Porras würden von der Gesellschaft mit Comalapa in Verbindung gebracht, da ihre Vorfahren aus dem Bauerndorf stammten, erzählt mir die junge Frau. Das Dorf erklärte die beiden mittlerweile öffentlich zu unerwünschten Personen. Ein Demonstrant forderte die Menge auf, so wie es er und seine Söhne seit Tagen tun, sich an den Blockaden zu beteiligen und nicht aufzugeben. »Wir Armen haben nicht das Geld, einen Richter zu kaufen, der zu unseren Gunsten entscheidet«, deshalb bleibe ihnen nur diese Art von Widerstand. Sie seien nicht müde des Kampfes, sondern der Korruption.
Für die Protestierenden ist der gewählte Präsident die einzige Aussicht auf ein besseres Leben. »Auch wenn er nicht der Progressivste ist, ist er unsere einzige Option«, sagte mir Ivette, die seit über 16 Stunden auf den Beinen ist, um gemeinsam mit ihrer 64 Jahre alten Mutter für eine Lebensperspektive zu demonstrieren.
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