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Aus der Asche wächst der neue Wald
Im Nationalpark Sächsische Schweiz erholt sich die Natur schneller als erwartet von dem großen Waldbrand im Sommer 2022
Die Birken waren am schnellsten. »Zwei Wochen nur hat es nach dem Brand gedauert«, sagt Frank Wagner, »da waren schon die ersten Keimlinge zu sehen.« Gut ein Jahr später sind sie zu kniehohen Bäumchen herangewachsen, und das, obwohl sich offenkundig auch Rehe für sie interessieren. Wagner weist auf die Spitze einer kleinen Birke. »Frische Bissspuren«, sagt der stämmige Mann, der Revierleiter beim sächsischen Staatsbetrieb Sachsenforst ist. Die natürlichen Prozesse von Werden und Vergehen, sie sind am Frienstein augenscheinlich wieder in Gang gekommen.
Vor gut einem Jahr hätten nur wenige vermutet, dass es so schnell gehen könnte. Auf den Namen »Frienstein« hatten damals Feuerwehrleute einen Einsatzort hinter dem Großen Winterberg in der Sächsischen Schweiz getauft, an dem sie aufopferungsvoll gegen die größte Katastrophe seit Jahrzehnten in der malerischen Felsenlandschaft ankämpften: einen Waldbrand, der am 24. Juli in deren böhmischem Teil ausgebrochen und dessen Bekämpfung erst nach vier Wochen endgültig abgeschlossen war. Zuvor hatte sich das Feuer in der von wochenlanger Trockenheit und großer Hitze ausgedorrten Landschaft rasend schnell ausgebreitet. Zeitweise brannte es auf einer Fläche von weit über 1000 Hektar, davon 150 auf sächsischer Seite. Dass die Sächsische Schweiz nicht schlimmer betroffen war, lag daran, dass der starke Wind drehte.
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Dieser hatte zuvor freilich auch dazu beigetragen, dass der Brandverlauf praktisch nicht vorhersehbar war. Er sorgte für einen Funkenschwarm, bei dem glühende Holzstücke teils kilometerweit durch die Luft getragen wurden. Sie entfachten Brände an Stellen, an denen das niemand vermutet hätte. Der Frienstein war so eine Art brennende Insel, fast zwei Kilometer von der Hauptbrandfläche jenseits der böhmischen Grenze entfernt. Nachdem die Flammen gelöscht waren, bot er einen ernüchternden Anblick. Überall schwarze Stämme, die wie riesige Holzkohlestücke in die Höhe ragten oder kreuz und quer auf dem ebenfalls schwarzen und kahlen Boden lagen: eine scheinbar tote Landschaft, die den ersten Passanten auf dem nah gelegenen Wanderweg »Reitsteig« einen erschütternden Anblick bot.
In der Schar, die sich 450 Tage nach dem großen Feuer am Frienstein zusammengefunden hat und aus Forst- und Feuerwehrleuten, Politikern und Pressevertretern besteht, herrscht freilich nicht mehr Entsetzen, sondern Erleichterung. Von »tollen, spektakulären Prozessen« spricht Hanspeter Mayr, Sprecher des Nationalparks Sächsische Schweiz. Er steht am Zugang zu einem gut 100 Meter langen Steg aus Holzbohlen, den die Nationalparkverwaltung über die Brandfläche hat führen lassen und der an diesem Tag eröffnet wird: ein Lehrpfad namens »Weg zur Wildnis«, von dem aus sich Besucher ein Bild darüber machen können, was sich seit Sommer 2022 auf den Brandflächen getan hat. Die Möglichkeit besteht wegen der strikten Pflicht zur Benutzung der ausgewiesenen Wege im Nationalpark ansonsten nicht; das Interesse sei aber groß, sagt Nationalparkchef Uwe Borrmeister. Der Lehrpfad hilft, die Neugier zu befriedigen.
Der Anblick, der sich von dem Steg bietet, ist erstaunlich. Über die noch immer sichtbar vom Feuer gezeichnete schwarze Fläche hat sich ein hellgrüner Flor gelegt. Neben zahlreichen Birken sprießen erste Ebereschen, »und auch die Brombeere ist schon da«, sagt Revierleiter Wagner. Der Fingerhut breitet seine fleischigen Blätter aus, daneben finden sich Waldweidenröschen und Heidelbeeren. Zu den Erstbesiedlern, sagt Wagner, hätten außerdem Moose und Pilzarten gehört, die teils nur auf verbranntem Holz gedeihen. Manche Pflanzen wachsen aus Trieben oder Samen, die unter der verbrannten Humusschicht überlebten; andere, wie die Birke, wurden vom Wind angeweht. Viele Besucher halten die erstaunliche Wiederbegrünung mit dem Handy fest, darunter auch Wolfram Günther, Sachsens Staatsminister für Landwirtschaft und Umwelt. Auf dem Lehrpfad am Frienstein, sagt der Grünenpolitiker, könne man »die Selbstheilungskräfte der Natur unmittelbar besichtigen«. Auch dazu, fügt er hinzu, »ist ein Nationalpark da«.
Wer möchte, kann aus den Worten des Ministers eine gewisse Genugtuung heraushören. Günther und andere Verfechter des Nationalparks waren seit dem Brand einem scharfen Gegenwind ausgesetzt. In dem 1990 noch vom Ministerrat der DDR ausgewiesenen, insgesamt 9350 Hektar großen Schutzgebiet gilt zumindest in der Kernzone die Devise: Natur Natur sein lassen. Natürliche Prozesse von Wachsen und Vergehen sollen nicht gestört, menschliche Eingriffe auf ein absolutes Mindestmaß beschränkt werden, etwa wenn es um die Sicherung von Wegen geht. Das sorgte in den zurückliegenden Jahren für eine Entwicklung, die immer mehr Liebhaber und Besucher der Sächsischen Schweiz frustrierte und verärgerte. Auch auf den Flächen, die nach und nach zu einer Art Wildnis werden sollen, war bisher die in deutschen Forsten als schnell wachsender Wirtschaftsbaum geschätzte und massenweise angepflanzte Fichte der dominierende Baum. Die zunehmende Trockenheit der vergangenen Jahre hat die Nadelbäume aber geschwächt, nachfolgende Invasionen von Borkenkäfern haben sie absterben lassen. In großen Teilen der Sächsischen Schweiz stehen und liegen nun die silbrigen, rindenlosen Stämme toter Fichten herum; Bergsteiger sprechen spöttisch von »Totholz-Mikado«. Forderungen, das triste Bild zu korrigieren und einen angestrebten Waldumbau durch menschliches Zutun zu beschleunigen, verhallten aber. Das, so hieß es, müsse im Nationalpark die Natur schon selbst erledigen.
Der Waldbrand vom Sommer 2022 fachte auch diesen Streit noch an. Kritiker behaupteten, die große Menge an Totholz habe als Brandbeschleuniger gewirkt. So betonte der Pirnaer CDU-Landrat Michael Geisler, die »Brandlast« im Nationalpark sei wegen der vielen abgestorbenen Bäume hoch: »Das ist unstrittig.« Weil aber eine Entfernung mit dem strengen Schutzstatus des Nationalparks nicht vereinbar ist, geriet dieser unter Druck. Der 16 000 Mitglieder zählende Sächsische Bergsteigerbund (SBB) fordert ein »Umdenken«; eine in der Stadt Hohnstein gegründete Bürgerinitiative nannte die notwendigen Maßnahmen für mehr Brandschutz »sehr schwer bis nicht vereinbar« mit den gesetzlichen Vorschriften für einen Nationalpark und plädierte dafür, den Status preiszugeben.
Inzwischen ist klar: Das viele Totholz war nicht entscheidend für die schnelle Ausbreitung und die Intensität des Feuers. Es habe »nicht zu einer verstärkten horizontalen Brandausbreitung beigetragen«, heißt es in einem wissenschaftlichen Gutachten, das Günthers Ministerium im Januar vorlegte. Zu einem ähnlichen Schluss kam eine 122 Seiten lange Expertise, die eine von der Staatsregierung eingesetzte Expertenkommission einige Wochen später vorlegte. Diese betonte freilich auch, für die Bekämpfung des Feuers sei das Totholz sehr hinderlich gewesen. Die Rede ist von einer für die Einsatzkräfte »erschwerten oder begrenzten Zugänglichkeit durch stark dimensionierte stehende oder liegende Totholzstämme«. Der neue Lehrpfad am Frienstein etwa, sagt Nationalparkchef Borrmeister, sei auf einer Trasse angelegt worden, die Feuerwehrleute erst mühevoll freischneiden mussten. Die Gutachter empfahlen, entlang von Rettungswegen auch in der Kernzone des Nationalparks auf einer Breite von »jeweils einer Baumlänge Totholzstrukturen zu minimieren«.
Dem Rat folgt die Nationalparkverwaltung, was Kritiker durchaus besänftigt. Das veränderte Waldmanagement treffe bei der Hohensteiner Naturpark-Initiative »auf Wohlwollen«, vermerkte die »Sächsische Zeitung« kürzlich nach einem von dieser organisierten Waldspaziergang und zitierte eine Sprecherin: »Das Wichtigste ist, dass wir etwas bewegen.« Auch an anderer Stelle scheint der Bericht der Experten die zuvor hitzig geführte Debatte entschärft zu haben. Diese hatten zahlreiche weitere Vorschläge für einen besseren Brandschutz unterbreitet. Minister Günther beteuerte nun, man sei »voll in der Umsetzung«. Das gilt etwa für die Errichtung von Zisternen für Löschwasser. Während des Waldbrandes musste dieses über mühsam verlegte Schlauchleitungen oder per Hubschrauber aus dem Elbtal herangeholt werden. Jetzt liegt unweit des neuen Lehrpfads ein an ein riesiges Wasserbett erinnerndes Kissen auf einer Lichtung: eine der 20 Kubikmeter fassenden mobilen Zisternen, von denen drei errichtet werden sollen. Dazu kommen feste Wasserbehälter. Um deren Finanzierung gab es Streit, weil das Thema eigentlich in kommunaler Zuständigkeit liegt. Nun darf sie doch der Sachsenforst errichten. Eine sei fertig, vier weitere »in Umsetzung«, sagt der Minister. Auch Löschrucksäcke, Feuerhacken, Wärmebildkameras und eine Drohne seien beschafft. All das geht auf Ratschläge der Kommission zurück, die als eine der wichtigsten Aufgaben freilich die Aufklärung der Öffentlichkeit empfahl. Waldbrände würden »zumeist von Menschen verursacht«, heißt es im Bericht. Das gilt auch für das Feuer vom Sommer 2022. Die tschechische Polizei hatte im Mai einen 38-Jährigen aus der Region festgenommen, der gestanden hatte, es ausgelöst zu haben. Wenn man das Wissen über Ursachen von Waldbränden und damit verbundene Gefahren in der Bevölkerung verbessern könne, werde sich das »positiv in der Waldbrandstatistik bemerkbar machen«, hieß es in dem Expertenbericht.
Der Lehrpfad kann als ein Teil einer Aufklärungskampagne angesehen werden; schließlich ist von ihm aus zumindest derzeit noch gut zu besichtigen, welche verheerenden Schäden ein Waldbrand hinterlässt. Zugleich wolle man aber auch »zeigen, wie es danach weitergeht«, sagt Nationalparksprecher Mayr. Recht eindrücklich zu erkennen ist das an einem Rondell etwa in der Mitte des Holzstegs. Von dieser Stelle erfolgte bereits seit 2011 ein Monitoring, bei dem mit regelmäßigen Fotos der Wandel des Waldes dokumentiert wurde. Ein Bild von 2017 lässt die Folgen des Baumsterbens bereits deutlich erkennen, eines von Anfang 2023 zeigt einen überwiegend verbrannten Wald. Künftig können Besucher nun in natura besichtigen, was sich seither getan hat, und eigene Fotos ins Netz laden, mit denen die Forschung zu den Folgen des Waldbrandes unterstützt wird.
Fachleute wie Revierleiter Wagner erwarten, dass sich die Szenerie auch weiterhin rasant verändern wird. Birken wachsen schnell; bald dürften sie zu einem Wäldchen empor gesprossen sein. Gleichzeitig lassen sie genug Licht auf den Boden, damit aus von Wild herbeigetragenen Eicheln oder Bucheckern neue Bäume gedeihen. Mit Blick auf den pädagogischen Effekt des Lehrpfads formuliert Minister Günther, er »befürchte«, dass man sich die Brandfolgen an diesem Ort sehr bald »nicht mehr vorstellen« können werde. Nationalparksprecher Mayr beeilt sich zu versichern, es sei dennoch »nicht so, dass wir uns Waldbrände wünschen«.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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