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Nahost-Konflikt: Bedenkliches Ritual

Der Ruf nach weiterer Verschärfung des Strafrechts im Kontext des Nahost-Konflikts verträgt sich nicht mit Rechtsstaatlichkeit

  • Volkmar Schöneburg
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Montag forderte der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, eine Verschärfung des Strafrechts bei »Volksverhetzung« (Paragraf 130 des Strafgesetzbuchs). Damit folgt er einem Ritual der Politik: Bei fast jedem gesellschaftlichen Problem ertönt zu dessen (scheinbarer) Lösung der Ruf nach dem Strafrecht. Bemerkenswert ist die Forderung Kleins, weil Paragraf 130 erst vor exakt einem Jahr novelliert worden ist. Vertrauen in eine rationale, vorausschauende Gesetzgebung schafft das nicht gerade. Nach Ansicht Kleins soll der Paragraf so geändert werden, dass die volksverhetzende Handlung schon dann bestraft werden kann, wenn sie nicht zu einer »Störung des öffentlichen Friedens« führt.

Die Geschichte des Paragrafs 130 ist verknüpft mit Reaktionen der Politik auf aktuelle Geschehnisse. 1959/60 traten vermehrt antisemitische und neonazistische Schmierereien in der BRD auf. Die Täter waren meist nicht in der Nazizeit sozialisierte junge Menschen. Sie wurden ausnahmslos, zum Beispiel wegen Sachbeschädigung, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Die Schmierereien waren aber Anlass, den Tatbestand der »Volksverhetzung« einzuführen. Die Politik wollte ein Zeichen setzen – wobei die Überschrift der Norm an die Sprache derjenigen erinnert, gegen die sie gerichtet ist.

Mit Gefängnis sollte nach Paragraf 130 bestraft werden, wer die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt, zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder sie beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet. Dabei müssen die Handlungen geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören.

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Später folgten Ergänzungen des Tatbestandes. So kam 1994 die Strafbarkeit der Holocaust-Leugnung hinzu. Aber auch diese muss geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören. Die Höchststrafe beträgt nun fünf Jahre Haft. Auslöser der Novellierung waren Gerichtsurteile gegen den damaligen Bundesvorsitzenden der NPD. Dieser hatte einen Vortrag von Fred Leuchter aus den USA, in dem dieser sich an der Widerlegung des Holocausts versuchte, übersetzt und positiv kommentiert. Zu einer gravierenden Ergänzung kam es im Oktober 2022 unter dem Eindruck des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine.

Kritik am Tatbestand der »Volksverhetzung« ist ein »heißes Eisen«. Schnell wird man in die rechte Ecke gestellt oder als Antisemit stigmatisiert. Trotzdem ist eine Kritik von links notwendig. Denn der Tatbestand stellt Meinungsäußerungen unter Strafe. Ein Rechtsgut muss nicht verletzt werden, eine Verletzung braucht nicht einmal geplant zu sein. Es handelt sich bei der »Volksverhetzung« um eine Vorverlagerung des Strafrechts in den Bereich der in der Regel straflosen Vorbereitung. Damit bewegt sich der Tatbestand in der Nähe eines Gesinnungsstrafrechts und kollidiert mit dem rechtsstaatlichen Tatstrafrecht.

Die Strafbarkeitsvoraussetzungen von Paragraf 130 sind unbestimmt. Sie können so einer politischen Instrumentalisierung in jede Richtung Vorschub leisten. Der Gesetzgeber hat diese Gefahr 1960 durchaus gesehen. Darum wurde das Erfordernis der Eignung zur Friedensstörung in den Tatbestand aufgenommen. Damit wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass lediglich Handlungen von bestimmter Erheblichkeit verfolgt werden. Deshalb haben die Gerichte die unsägliche Gleichsetzung der Maßnahmen zur Pandemie-Eindämmung mit der Judenverfolgung unter der Naziherrschaft durch Impfgegner auch zurecht überwiegend nicht als »Volksverhetzung« gewertet.

Felix Klein will diese Begrenzung nun aufheben. Polizei und Justiz sollen so noch besser in der Lage sein, auf islamistische Bedrohungen zu reagieren. Doch was Klein da fordert, widerspricht rechtsstaatlichen Prinzipien. Es dürfte auch verfassungswidrig sein. Denn Paragraf 130 steht im Spannungsfeld zwischen dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit und dem Unter-Strafe-Stellen politisch als inakzeptabel angesehener Meinungsäußerungen. Grundsätzlich fallen Meinungen, egal, ob sie wahr oder unwahr sind, unter den Schutzbereich von Artikel 5 des Grundgesetzes, der die Meinungsfreiheit garantiert. Das gilt auch für eine Verharmlosung der Ideologie des NS-Regimes oder anstößige Geschichtsinterpretationen. Im Einzelfall, so das Bundesverfassungsgericht, könne jedoch gerade das Rechtsgut »öffentlicher Friede« höherrangig sein als die Meinungsfreiheit. Das ist der Fall, wenn Äußerungen eine pogromartige Stimmung hervorrufen, die in strafbare Handlungen umschlagen kann.

Das Strafrecht ist eines der schärfsten Herrschaftsinstrumente in der Hand des Staates, das tiefe Eingriffe in die Bürgerrechte ermöglicht. Daher darf das Strafrecht nur Ultima Ratio sein. Das Strafgesetzbuch muss auch ein »Strafverfolgungsbegrenzungsgesetz« sein. Von einer solchen Position ist die herrschende Politik meilenweit entfernt. Sie symbolisiert lieber Handlungsfähigkeit mit dem Ruf nach dem Strafrecht, im Zweifelsfall auch jenseits der verfassungsrechtlichen Grenzen. Statt vor dem Hintergrund des Nahost-Konflikts, der keine einfachen Wahrheiten kennt, einer Ausdehnung der Kriminalisierung der freien Meinungsäußerung das Wort zu reden, sollte sich der Staat des Grundsatzes in »Im Zweifel für die Freiheit« erinnern.

Unser Autor ist Jurist und Linke-Politiker. Er war von 2009 bis 2013 Justizminister von Brandenburg.

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