Gaza-Krieg: Keine Entspannung in Sicht

In Israel laufen die Vorbereitungen zur Bodenoffensive

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Bodenoffensive steht noch aus, die Eskalation ist bereits im Gange. Auch am Wochenende gingen die Raketenangriffe aus dem Gaza-Streifen auf den Süden und das Zentrum Israels weiter. Vom Süd-Libanon aus schoss zudem die Hisbollah mehrfach auf den Norden des jüdischen Staats. Aber vor allem sorgte bei den Regierungen der Region und im Westen ein Zwischenfall mehrere hundert Kilometer weiter südlich, im Roten Meer, für Aufregung: Der US-Zerstörer Carney fing am Donnerstag drei Raketen, außerdem mehrere Drohnen ab. Nach Ansicht des Verteidigungsministeriums in Washington D.C. wurden sie von den Huthi-Milizen im Jemen losgeschickt, mehr als 2000 Kilometer Luftlinie von Tel Aviv entfernt.

Vorboten für eine Ausweitung des Kriegs zwischen Israel und der Hamas sowie dem Islamischen Dschihad auf die gesamte Region? Eher eine Warnung, wahrscheinlich, vermuten westliche Diplomaten in Israel und Saudi-Arabien, ein Signal aus Teheran. Das iranische Regime hatte erst am Tag zuvor im Staatsfernsehen das Szenario der »Kräfte des Widerstands« gezeichnet, die sich unter iranischer Führung im Jemen, im Irak, in Syrien, im Libanon und anderen Ländern vereinen, um gemeinsam Israel anzugreifen. Nun habe Teheran das mit einer konkreten Handlung unterstrichen, so die allgemeine Ansicht. Aber ausschließen, dass mehr folgen könnte, will nun niemand mehr.

Dass es mehrere Raketen und Drohnen unbemerkt weit mehr als 1000 Kilometer weit bis ins nördliche Rote Meer schafften, hat viele aufgeschreckt. Denn in dieser Gegend verläuft auch eine Luftverkehrsroute, die täglich von mehreren hundert zivilen Flugzeugen genutzt wird. Eine andere Route verläuft über die Türkei und den Irak über den Persischen Golf von Europa in Richtung Osten. Eine Eskalation hätte also enorme Folgen für die weltweiten Transport- und Reisewege.

Im Gaza-Streifen selbst hat das israelische Militär nun die Luftangriffe massiv ausgeweitet, ein Anzeichen dafür, dass der Beginn der schon seit einer Woche erwarteten Bodenoffensive nun bevorsteht. Mehr als 350 000 Soldaten, so viele wie nie zuvor, haben rund um den dicht bevölkerten Landstrich Stellung bezogen; Regierung und Militärführung geben sich in der Öffentlichkeit siegessicher und senden gleichzeitig energische Warnungen an die Hisbollah im Libanon. Sie wird wie die Hamas vom Iran unterstützt, schoss in den vergangenen Tagen immer wieder Raketen in Richtung Israel ab, ohne es allerdings auf eine komplette Eskalation ankommen zu lassen. Sollte die Hisbollah in den Krieg eintreten, werde sie sich die Zerstörungen während des Libanon-Krieges 2006 zurückwünschen, betonen Militär- und Regierungsvertreter in Israel. In den Medien wird derweil gemutmaßt, dass die Bodenoffensive auch deshalb so lange auf sich warten lässt, weil ein Krieg an zwei oder mehr Fronten schwer zu führen sei.

Gleichzeitig steht man aber auch unter enormem internationalen Druck: Viele westliche Staats- und Regierungschefs, Minister auch, sind zwar in die Region gereist, um ihre Solidarität mit dem jüdischen Staat zu bekunden. Doch Israels Militär hatte schon vor mehr als einer Woche gut eine Million Bewohner des nördlichen Gaza-Streifen dazu aufgefordert, in den Süden zu flüchten; um die 700 000 Menschen haben das nach Berechnung der Vereinten Nationen auch getan. Und leben dort nun überwiegend unter freiem Himmel, ohne Nahrung, Wasser und Medikamente. Am Samstag und Sonntag durften jeweils 20 Lastwagen mit Hilfsgütern den Grenzübergang Rafah zwischen Ägypten und dem Gaza-Streifen passieren; mindestens 160 Transporte warten noch auf der ägyptischen Seite. Grund für die extrem langsame Abwicklung sei die strikte Kontrolle aller Lastwagen auf Material, das der Hamas und dem Islamischen Dschihad nutzen könnte.

Doch die Lage spitzt sich enorm schnell zu: In den Krankenhäusern können die Generatoren nicht mehr betrieben werden; es fehle an Nadeln, um Wunden zu nähen, sagt ein Arzt, der auch berichtet, die Hamas habe zumindest in seinem Krankenhaus medizinische Güter beschlagnahmt. Für die Desinfektion benutzten er und seine Kollegen Essig, aber auch der sei mittlerweile knapp geworden. Zudem droht nun noch eine größere Gefahr: Das Trinkwasser ist mit Fäkalien verunreinigt; es drohen Krankheiten wie die Cholera.

Am Wochenende teilte auch die am Goldsmiths College in London angesiedelte Recherchegruppe »Forensic Architecture« mit, eine erste Untersuchung der Informationen zum Raketeneinschlag ins Al-Ahli-Krankenhaus in der vergangenen Woche habe ergeben, dass ein israelisches Geschoss als Ursache wahrscheinlich sei. Die Gruppe benutzt für ihre Untersuchungen die Analyse von Architektur, digitale Modelle, Interviews und andere Techniken. Zudem sind mittlerweile Zweifel an der Echtheit des vom israelischen Militär veröffentlichten Telefonmitschnitts laut geworden. Wichtig zu wissen ist dabei, dass die Ergebnisse Anlass zu Zweifeln geben, aber keinen Beleg für oder gegen die israelische Version darstellen, so wie auch die vom israelischen Militär vorgelegten Bilder und Mitschnitte keinen endgültigen Aufschluss über den Ablauf der Ereignisse liefern. Auch an den Angaben des oft zitierten Hamas-Gesundheitsministeriums sind zudem Zweifel angebracht: Zwischen der Angabe der 500 Toten und den Angaben in den täglichen Pressemitteilungen gibt es erhebliche Diskrepanzen.

Für die Betroffenen dürfte im Vordergrund stehen, wie sie aus dieser Situation wieder herauskommen. Eine kurzfristig vom ägyptischen Staatschef Abdel Fattah Al-Sisi anberaumte internationale Konferenz verlief ergebnislos; sie diente wohl ohnehin nur dazu, Al-Sisi in der eigenen Öffentlichkeit zu stärken. Denn dort hat die mit der Hamas verbundene Muslimbruderschaft immer noch viele Unterstützer.

Doch die Konferenz war auch eine Gelegenheit für die Politik, direkt miteinander zu sprechen. Im Diskussionsprozess zu klären ist, wie man zum einen sicherstellt, dass sich ein Massaker wie jenes am 7. Oktober nicht wiederholt und zum anderen die Menschen im Gaza-Streifen vor einer Katastrophe bewahrt. Das wird dauern. Falls der Prozess überhaupt stattfindet.

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