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Über die Mitbestimmung hinaus

Die IG Metall will mehr Demokratie in der Wirtschaft durchsetzen

Am Dienstag forderte die neugewählte Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, in ihrer Grundsatzrede auf dem Gewerkschaftstag, dass etwa die ökologische Transformation der Industrie nicht über die Beschäftigten hinweg durchgesetzt werden dürfe. Vielmehr müsse sie demokratisch gestaltet werden, betonte sie, auch und gerade vor dem Hintergrund einer erstarkenden extremen Rechten. »Denn wer im Betrieb Demokratie wirksam erlebt, hat auch insgesamt eine positivere Einstellung zur Demokratie«, unterstrich Benner.

Das Problem drängt, denn auch die Gewerkschaften stehen von rechts unter Druck. Zur Bundestagswahl im Jahr 2021 wählten rund zwölf Prozent der Gewerkschaftsmitglieder die AfD, knapp zwei Prozentpunkte mehr als die Restbevölkerung. Und bei der bayerischen Landtagswahl im Oktober gaben 18 Prozent ihre Stimme der völkischen Partei. Dabei waren insbesondere unter den Männern viele, die völkisch wählten: Während 13 Prozent der organisierten Arbeiterinnen der AfD ihre Stimme gaben, betrug die Zahl unter den Arbeitern 26 Prozent. Zudem versucht die Partei mit dem Verein Zentrum Automobil Fuß unter Beschäftigten in der Automobilindustrie zu fassen.

Um dem entgegenzuwirken, fordert Benner einen besseren Schutz für Betriebsratsgründungen und -wahlen. Zudem soll es vor dem Hintergrund sich anbahnender Umwälzungen in der Industriebranche mehr Mitbestimmung der Beschäftigten bei strategischen Entscheidungen von Betrieben und Unternehmen geben. »Wir wollen die Leute im wahrsten Sinne des Wortes ermächtigen, damit sie in eine Situation kommen, wo sie selbst, mit ihrem Handeln, ihre Bedingungen verbessern können«, sagte sie im Interview mit »nd«. So würden autoritäre Parolen ihre Anziehungskraft verlieren.

Diese Einschätzung werde auch durch Ergebnisse der Autoritarismusforschung gestützt, sagt Johannes Kiess im Gespräch mit »nd«. Der Sozialwissenschaftler ist stellvertretender Direktor des Leipziger Else-Frenkel-Brunswik-Instituts und forscht zu autoritären Einstellungen in der Gesellschaft. »Wer demokratische Erfahrungen in der Arbeitswelt macht, ist weniger rechtsextrem eingestellt«, fasst er die Ergebnisse der aktuellen Leipziger Autoritarismusstudien zusammen. In den regelmäßigen repräsentativen Erhebungen untersuchen die Forscher*innen die Ursachen und Zusammenhänge für rechtsextreme Einstellungen in der Bevölkerung.

»Leute, die im Betrieb mitbestimmen können und auch in der größeren gesellschaftlichen Sphäre aktiv sind, sind weniger autoritär«, erklärt Kiess. Wie die Kommunalpolitik, ließe sich auch der Betrieb als Schule der Demokratie fassen, unterstreicht er: »Da spielen Probleme eine Rolle, die mich direkt betreffen.« Sich vor Ort gegen Zumutungen zu wehren und die Lebensumstände mitzuprägen, habe einen demokratischen Effekt. Dazu bedürfe es solidarischer und gemeinsamer Erfahrungen. »Die können dazu beitragen, dass die demokratische Mitbestimmung zu einer Form der Handlungsfähigkeit wird«, betont der Sozialwissenschaftler.

Doch Mitbestimmung allein reicht nicht, erzählt Anton Richter (Pseudonym, Name ist der Redaktion bekannt) im Gespräch mit »nd«. Er ist seit über einem Jahrzehnt bei der Gewerkschaft aktiv und setzt sich für mehr Konfliktorientierung ein. Ihm geht es um eine erlebbare demokratische Erfahrung. Und Mitbestimmung bedeute immer auch Stellvertreterpolitik, sagt er. »Nur weil es einen Betriebsrat gibt, heißt das nicht, dass die Beschäftigten demokratisch in die Entscheidungen eingebunden sind«, kritisiert er. Auch die von der Gewerkschaftsspitze geforderten juristischen Erweiterungen der Mitbestimmung werden ins Leere laufen, bemängelt er.

Aus seiner Sicht müsse die Gewerkschaft an der Basis gestärkt werden. Als Positivbeispiel verweist er auf die 24-Stunden-Streiks, die die IG Metall in der vorletzten Tarifrunde durchgeführt hat. Da seien die Beschäftigten in Bewegung gekommen, ohne einen großangelegten Streik organisieren zu müssen. »Die haben Eindruck bei den Leuten hinterlassen«, betont Richter. Auch weil viele das erste Mal gestreikt hätten. Das zeige, dass es ein Bedürfnis nach konfliktorientierter Arbeit gebe.

Dazu müssten Organizing-Konzepte ausgebaut werden. Das ist ein Ansatz, bei denen Arbeiter*innen vor Ort in den Betrieben aktiv in die Konflikte und gewerkschaftliche Willensbildung eingebunden werden. Doch hier komme es aktuell zu Problemen mit den traditionellen Stellvertreterstrukturen. »Bei der Basisarbeit im Betrieb sprechen wir die Leute an, betonen: Auf euch kommt es an«, erklärt der Organizer. »Doch sobald die Stellvertreter in den Verhandlungen übernehmen, kommen wir in die Bredouille. Es wird faktisch konterkariert, was du gerade erzählt hast.«

So würden Beschäftigte durch traditionelle Formen der Mitbestimmung enttäuscht. Das könnten Rechte für sich nutzen, um Stimmung gegen die Gewerkschaft zu machen. Zudem fehlten Strukturen und finanzielle Mittel, um die Konflikte an der Basis auszutragen. Die Großbetriebe in der Stahl- und Automobilbranche seien zwar gut aufgestellt. »Aber jenseits davon sieht es mau aus.« Auch dadurch sei die Basis keine Firewall gegen rechts mehr. »Darüber redet der Vorstand nicht«, kritisiert Richter.

Die demokratische Mitbestimmung real erlebbar zu machen, fordert auch ein Antrag von Metaller*innen aus Chemnitz. Jenseits der Mitbestimmung bedürfe es aus ihrer Sicht der Umsetzung der Wirtschaftsdemokratie und einer Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Dazu soll in einem ersten Schritt der Aufbau von Wohn- und Produktivgenossenschaften oder die Übernahme der Produktion durch die Belegschaft unterstützt werden.

Die Debatte um Demokratie im Kapitalismus scheint also wieder an Fahrt aufzunehmen, auch um der extremen Rechten etwas entgegenzusetzen. Doch die Zeit drängt, wie die jüngsten Wahlergebnisse zeigen.

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