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Männlichkeit verraten – um der Gesundheit willen
Veronika Kracher empfiehlt, männliche Stereotype abzulegen und über Gefühle zu sprechen
Dafür, dass ich für manche als schlimme Männerfeindin gelte, bin ich mit erstaunlich vielen von denen befreundet – ein paar davon sind sogar heterosexuell und cisgeschlechtlich. Ich verbringe unglaublich gerne Zeit mit ihnen und wir reden viel miteinander. Ein immer wiederkehrender Punkt meiner Freunde ist ihre tiefe Trauer darüber, in ihrer Kindheit und Jugend nie einen Zugang zu den eigenen Gefühlen vermittelt bekommen zu haben.
Die cismännliche Sozialisation ist nämlich Jungen gegenüber ausgesprochen gewaltvoll. Ihnen wird von klein auf vermittelt, alles auch nur ansatzweise weiblich konnotierte von sich abzuspalten, also Emotionalität, Schwäche, Zärtlichkeit, Fürsorglichkeit. Außerdem werden die Beziehungen zu anderen Männern primär als Konkurrenzverhältnisse wahrgenommen und eingeübt. Auch Elternbeziehungen, vor allem die Beziehung zum Vater, sind nicht durch das Sprechen über die eigene emotionale Befindlichkeit, Sorgen und Unsicherheiten geprägt.
Veronika Kracher, geboren 1990, hat Soziologie und Literatur studiert und ist seit 2015 regelmäßig als Autorin und Referentin mit den Arbeitsschwerpunkten Antifeminismus, Rechtsextremismus und Online-Radikalisierung tätig. Zudem ist sie Expertin für belastende Männer im Internet. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Jenseits des Patriarchats«.
Dies liegt auch daran, dass die bloße Artikulation von Selbstzweifeln, Ängsten oder Unsicherheiten stigmatisiert ist. Als habe man in seiner Performance von Männlichkeit versagt, wenn man diese Gefühle hegt. Und Mädchen sind ohnehin eklig, bis sie irgendwann einmal zum Objekt der Begierde werden und eine ganze Menge komischer Emotionen auslösen: Man will dem Mädchen gefallen, aber gleichzeitig nicht die eigene patriarchale Vorherrschaft kompromittieren.
Ich bin heilfroh, dass ich keine cismännliche Sozialisation ertragen musste. Und noch froher, dass ich auf einer Mädchenschule weitestgehend von verunsicherten Schülern verschont geblieben bin, die ihre kläglichen Versuche einer Männlichkeitsinszenierung vor allem durch Sexismus an gleichaltrigen Mädchen auslassen.
Meine Freunde sind das nicht. Und während wir als Freundinnen untereinander über unsere Frustration und unser Leid sprechen konnten, war ihnen dies verwehrt. Denn das Zugeständnis an Verletzlichkeit ist nicht richtig männlich und Jungen und Männer werden bis heute dafür sanktioniert, wenn sie hegemonialen Geschlechtervorstellungen nicht entsprechen können oder wollen. Kurz: all dies führt dazu, dass Jungen - und somit Männer - keinen adäquaten Zugang zu ihren Emotionen haben und auch keine Sprache, diese zu artikulieren. Darunter leiden nicht nur sie, sondern auch ihr Umfeld: Männerfreundschaften, die oftmals primär aus gemeinsamen Tätigkeiten wie »Videospiele spielen« oder »Sport machen« bestehen, aber keine Tiefe darüber hinaus haben. Partnerinnen, die sämtliche emotionale Arbeit in Beziehungen übernehmen müssen.
Zudem ist der Großteil heterosexueller cis Männer trotz des Leids, das das Patriarchat auch ihnen zufügt, dann doch nicht Willens, es zu hinterfragen, da sie trotz allem davon profitieren. Gerade aufgrund der Erfahrung von Vormachtstellung und der erlernten Ablehnung des Nicht-männlichen käme ein Hinterfragen des Geschlechterkollektivs ein bisschen dem Vatermord gleich. Anstatt also jene Machtverhältnisse zu kritisieren, deren Gewalt dem jungen Mann Schaden zufügen, identifizieren sie sich mit ihr und versuchen, zum »idealen« Mann zu werden – ein lukrativer Geschäftszweig für selbsternannte Männlichkeits-Coaches und ein absolutes Desaster für alle Frauen, die mit diesen fragilen Möchtegern-Alphas in Kontakt kommen müssen.
Viele meiner Freunde sagen, dass erst die Sozialisation in eine radikale Linke ihnen einen Ausweg aus dem Dilemma der Männlichkeit offeriert hat. Grund ist, dass - auch wenn die linke Bewegung gewiss nicht von Sexismus, Männerklüngeln und Misogynie verschont ist - linke Männer zunehmend die feministische Kritik ihrer weiblichen und queeren Genoss*innen annehmen, die eigene Geschlechtssozialisation zu hinterfragen. Dass die Linke einen Raum bietet, in dem über Gefühle und Trauer gesprochen werden kann und man darin ernstgenommen wird, sei es auf dem Plenum oder bei der Afterhour. Dass das Scheitern an Männlichkeit hier verziehen und sogar begrüßt wird.
»Wäre ich nicht bei der Antifa gelandet, meine Sozialisation wäre echt unglücklich verlaufen«, ist das, was mir viele Freunde gesagt haben, und schieben dann etwas schuldbewusst hinterher: »Und viel dieser Reflektion habe ich Frauen zu verdanken.« Also, Jungs: Männlichkeit verraten – auch um eure eigene psychische Gesundheit willen.
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