»Sex Education«: Ist sie zu woke, bist du zu schwach

Hurra: Die finale Staffel von »Sex Education« ist ein Festival der Queerness und Selbstbestimmung

Eric (Ncuti Gatwa, links) und Otis (Asa Butterfield). Zwei wie Pech und Schwefel, nur mit weniger bumm-bumm-Testosteron.
Eric (Ncuti Gatwa, links) und Otis (Asa Butterfield). Zwei wie Pech und Schwefel, nur mit weniger bumm-bumm-Testosteron.

Eigentlich müsste die Serie »Sex Education« total uncool sein. Uncool? Hier offenbart sich ja schon das Problem. Nur Menschen über 40 sagen noch »uncool«, kennen die Serie über eine Gruppe Teenager und ihre sexuelle Befreiungsbewegung aber trotzdem. Wobei es wirklich seltsam anmutet, dass diese Serie um den selbst ernannten Sexualtherapeuten Otis Milburn (Asa Butterfield) bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen genauso gut ankommt wie bei ihren Eltern. Eine Serie, die Eltern so sehr feiern wie ihre Kinder, ist verdächtig, denn normalerweise gilt: Cringer geht es eigentlich nicht. Aber vielleicht ist »Sex Education« auch das seriengewordene Ergebnis bedürfnisorientierter Erziehung, die dem Autoritarismus abschwört und lieber auf eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung statt Gehorsam setzt.

Das Universum, das die britische Theater- und Drehbuchautorin Laurie Nunn rund um Otis, seinen besten Freund Eric (der beste Seriencharakter, der je erfunden wurde, gespielt von Ncuti Gatwa) und die stets schlecht gelaunte Maeve (Emma Mackey) gebaut hat, ist eine Art Einhorn unter den Serien. Und das Publikum über 30 wird sentimental, denn so etwas Einfühlsames und zugleich Empowerndes hätten sie damals auch gerne gesehen, stattdessen wurden ihre ernst zu nehmenden pubertären Probleme hinter verklemmten Untenrum-Witzen in grottenschlechten Reihen wie »American Pie« abgehandelt.

»Sex Education« aber ist ein Seelentröster in der Not und Mutmacher, dass eine bessere Welt möglich ist. Die Serie zeigt, wie wertvoll es ist, wenn man Zugang zu den eigenen Gefühlen hat, statt sich emotional komplett imprägniert durchs Leben zu grummeln. Konflikte werden nicht tabuisiert, sondern ausgetragen, Verletzlichkeit wird nicht versteckt oder lächerlich gemacht, sondern als heldenhaft gezeigt. Alles in allem wird die Serie zu Recht als ein Manifest gegen toxische Maskulinität, Chauvinismus und Normativität gefeiert. Und diese Qualität zeichnet sie über drei Staffeln hinweg aus.

In der nun vierten und letzten Staffel wird die Clique aus ihrem alten Umfeld im britischen Örtchen Moordale herausgeholt und an den verheißungsvollen Ort Cavendish College versetzt, ein Nimmerland für woke Teenies, ein Utopia der Awareness und Diversität. Die Schule wird von den Schüler*innen komplett selbst verwaltet; wer lästert, muss in eine Mobbing-Kasse einzahlen; es gibt Meditationsräume, Therapiesitzungen, Silent Discos für Hochsensible, und Toiletten und Umkleiden sind genderneutral. Das Miteinander ist oberflächlich betrachtet komplett konfliktbefreit und die einzigen beiden cis-normativen Charaktere, der strenge Lehrer und ehemalige Schulleiter Michael Groff (Alistair Petrie) und die Highschool-Schönheit Ruby (Mimi Keene) essen ihr Mittagessen auf dem Schulklo, weil sie zu Beginn nirgends hineinpassen und extreme Anpassungsschwierigkeiten in dieser queeren schönen, bunten Welt haben. Gleichzeitig gelten sie als Identifikationsfiguren für eingangs erwähnte Eltern, die sich zu Beginn vielleich ebenso lost vorkommen. Sehr clever gelöst.

Was die ersten drei Staffeln an sexueller Befreiung und Aufgeklärtheit unter den Protagonist*innen aufgebaut haben, reißt die vierte Staffel natürlich nicht wieder ein, im Gegenteil. Die finale Staffel macht es einem schwer, die vielen woken Themen als irgendwie sensibel aufgearbeitet wahrzunehmen, dabei wäre jeder Topos für sich genommen schon eine eigene Folge wert gewesen: postnatale Depression, transsexuelle Identitätskrisen, Tod, queere Beziehungsprobleme, Klassismus, Asexualität, Mobbing, Ableismus oder Homosexualität und Religion.

Es gibt aber in dieser Staffel nur acht Folgen, und daher verliert sich der Fokus, weil die Serie wie ein Hop-on-Hop-off-Seightseeing-Bus an jeder Haltestelle neue Themen aufnimmt und alte verliert.

Maeve, aufgewachsen mit einer drogenabhängigen Mutter in einem White-Trash-Trailerpark, hat ein Literatur-Stipendium an einer renommierten Uni in den USA bekommen und muss gegen Klassismus kämpfen, was stofflich wirklich ausbaufähig gewesen wäre und nur kurz in einem grandiosen Monolog über Geniekult und akademische Borniertheit mündet. Dann aber muss sie gleichzeitig ihre Beziehung zu Otis klarkriegen, der sich wiederum in einem eigenartigen Wettkampf mit zwei anderen Therapeut*innen um die Schüler-Patient*innen am College verliert (was wirklich überhaupt keinen Sinn ergibt und im Drehbuch am Ende wenigstens mit dem lakonischen Satz »Das war jetzt komplette Zeitverschwendung« kommentiert wird).

Man kann der finalen Staffel vorwerfen, ein pathetisches Plädoyer für eine Welt zu sein, in der niemand mehr Angst davor haben muss, anders zu sein, würde sich so aber als verkniffene*r Boomer*in oder Zynist*in outen, was meistens aufs selbe rauskommt. Worauf man sich aber einigen muss, ist, dass »Sex Eduation« wohl eine der besten Serien unserer Zeit ist.

Verfügbar auf Netflix.

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