Hubert Aiwanger aus Bayern: Antisemitismus als Bonuspunkt

Leo Fischer über die spezielle bayrische Art der Geschichtsaufarbeitung

  • Leo Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit den letzten Landtagswahlen wird überall vor einer kommenden Regierung mit AfD-Beteiligung gewarnt – wenn nicht gar schon die absolute Mehrheit droht. Dabei ist sie de facto bereits am Ruder, und das auch noch in einem der lange Zeit als immun fantasierten westlichen Bundesländer, in Bayern.

Dort haben das widerliche antisemitische Flugblatt, die lächerlichen, zum Teil direkt kindischen Ausflüchte des Freie-Wähler-Vorsitzenden Hubert Aiwanger und der verständnisvolle Umgang Markus Söders mit alledem trotz des scharfen Protests jüdischer Organisationen keineswegs zu irgendwelchen naheliegenden Abwehrgesten geführt. Im Gegenteil. Die Freien Wähler gingen gestärkt aus den Wahlen hervor; Söder belohnt den zwischen Clownerie, Gestümper und Rechtsradikalismus agierenden Vize auch noch mit einem vierten Ministerium. Währenddessen ermittelt die Staatsanwaltschaft – nicht etwa gegen den Urheber des Flugblatts. Sondern gegen denjenigen, der die Öffentlichkeit überhaupt erst darauf hinwies, dass hinter dem ohnehin schon menschenfeindlichen Gedankengut eines stellvertretenden Ministerpräsidenten eventuell noch bedrohlichere Ansichten stecken könnten. Dem Hinweisgeber wird Verletzung von Dienstgeheimnissen vorgeworfen – ein absurder Vorgang, denn das Flugblatt wurde ja nicht geheim verteilt, sondern mit Absicht, in aller Öffentlichkeit.

Leo Fischer

Leo Fischer ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chef des Satiremagazins »Titanic«. In seiner Kolumne »Die Stimme der Vernunft« unterbreitet er der aufgeregten Öffentlichkeit nützliche Vorschläge und entsorgt den liegen gelassenen Politikmüll. Alle Texte auf dasnd.de/vernunft.

Währenddessen inszeniert sich Söder, als hätte er mit dem Koalitionsvertrag Aiwanger in die Schranken gewiesen. Regierungsmacht als Disziplinarmaßnahme, darauf kann man nur in Bayern kommen! Im Vertrag steht nun ein Auftrag gegen Antisemitismus; Schüler*innen sollen verpflichtend eine KZ-Gedenkstätte besuchen. Was für einen Sinn das haben soll, wenn Antisemitismus keine Konsequenzen hat, sogar mit Ministerien belohnt wird, der Hinweis darauf aber Gerichtsverfahren nach sich zieht? Schüler*innen lernen durch Vorbilder.

Die Sache wurde, wie in solchen Fällen üblich, als bayerische Provinzklamotte abgetan, als betrunkenes Versehen gemütlich-schrulliger Bierdimpfel. Die Wahlergebnisse sprechen eine andere Sprache: 15,8 Prozent für die Freien Wähler, 14,6 Prozent für die AfD, 37 Prozent für die CSU – die inhaltlichen Überschneidungen muss man nicht betonen, zwischen die drei passt kaum Bierdeckel. Mehrheitlich wünschen sich die bayerischen Wähler*innen eine autoritäre, anti-humanitäre Regierung, die mit allem, was nicht unmittelbar dem Wirtschaftswachstum dient, kurzen Prozess macht.

Der spezifisch bayerische Umgang mit dem Erbe der Nazizeit ist meines Wissens wenig erforscht. Jahrelang redeten sich ganze Familien damit raus, dass man ja viel zu katholisch gewesen sei, um wirklich mitzulaufen. In der CSU des Franz-Josef Strauß berief man sich gern aufs christliche Erbe, um Faschismus und Sozialismus gemeinsam verdammen zu können. Später waren alle vom bayerischen Wirtschaftswunder so sehr geblendet, dass Fragen nach der Vergangenheit nicht beliebt waren.

Die Sprache des Aiwanger-Flugblatts konnte ich jedenfalls noch im Bayern der 90er hören – etwa, wenn ein Lehrer den NS-Spruch »Durch Kampf zum Sieg« vor der Klasse aufsagen lassen wollte.

Jetzt regiert in Bayern eine Partei mit, die aus Antisemitsmus-Vorwürfen nicht geschwächt, sondern gestärkt hervorgeht. Was für eine schreckliche Präzedenz dies setzt, wird das Land schneller erfahren, als ihm lieb sein kann.

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