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»Gaza = Stalingrad!«: Eselsbrücke ins Nirgendwo
Warum Geschichte besser nicht für eigene Zwecke herangezogen werden sollte
Über den Landwehrkanal in Berlin führt eine Brücke, die am 27. April 1945 den Frontverlauf der Befreiung der Stadt durch die Rote Armee markierte. Die Brücke selbst ist mehr als 100 Jahre alt, zunächst war sie aus Holz, nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie durch eine aus Stein ersetzt. Unserer Tage ist auf dieser Brücke, die von Neukölln nach Treptow führt, eine Parole zu lesen. Sie lautet »Gaza = Stalingrad«.
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Diese Eselsbrücke ins Nirgendwo analogisiert die Gegenwart des Jahres 2023 mit der Geschichte des Nationalsozialismus und seinem Vernichtungskrieg in Osteuropa und der Sowjetunion. Auch wenn nicht ganz sicher ist, was die Gedanken bei der ›Niederschrift‹ waren, ist dieses Szenario wahrscheinlich: Der Angriff auf Gaza wird – und soll – für die israelische Armee zur desaströsen Niederlage werden, so wie die Schlacht um Stalingrad 1942 und 1943 als der Anfang vom Ende der Wehrmacht und des nationalsozialistischen Kriegsglücks gilt. Die Soldat*innen des jüdischen Staates »sind« hier die Deutschen, sprich, die neuen Nazis, und die Kämpfer von Hamas und Islamischem Jihad »sind« die Rote Armee des Jahres 2023, die die neuen Nazis zurückschlägt. Der nächste logische Gedankenschritt: Wie das NS-System soll auch Israel enden.
Der – vermeintlich historisch begründete – Gedankengang ist so absurd wie brutal. Die beteiligten militärischen Verbände, ihre Gesellschaften, die Entstehung des Kriegs, sein Ausmaß, Charakter und Territorium sind völlig unterschiedlich. Dies wissen auch die Urheber*innen, die ja an der Brücke nicht Geschichtswissenschaft, sondern Agitation betreiben wollten. Es geht ihnen nur um den Moment, für den ›Stalingrad‹ steht: im Angesicht der Übermacht zu bestehen, zurückzuschlagen und letztlich zu gewinnen.
Die Verfasser*innen von »Gaza = Stalingrad« benutzen die desaströse aktuelle Situation, das Leiden und Sterben von so vielen Menschen in Israel und den palästinensischen Gebieten für einen historischen Shortcut, offenbar getrieben von einer politischen Überforderung durch diese nächste große Krise und – mehr oder weniger versteckt, je nachdem, wie genau man hinschauen mag – von antisemitischer Wunschproduktion.
Dieser Bezug auf Geschichte ist rein instrumentell: Durch die Anrufung eines konkreten Ereignisses aus der Vergangenheit, das abschließend als Heldentat definiert worden ist, soll ein anderes konkretes Ereignis ebenso eindeutig als solche dargestellt werden, und zwar – dies ist der Zweck der ganzen Veranstaltung – ohne dass es einer eigenständigen Analyse unterzogen werden muss. Es ist ein propagandistischer und anti-aufklärerischer Trick, der in seiner Abstraktion sowohl den mörderischen Russlandfeldzug der deutschen Wehrmacht wie die Massaker und den Krieg in Israel/Palästina relativiert. Mit emanzipatorischer Kritik hat die ganze Übung nichts zu tun, mit Zynismus sehr viel.
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