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Streik in Berlin: Es geht um die Wurst
In einer Salamifabrik wird für die Erneuerung des Tarifvertrags gestreikt
Am Mittwoch um 12 Uhr kommen Arbeiter*innen durch die Tore eines Industriegeländes in Spandau. Es erklingen Trillerpfeifen. Transparente und Flaggen werden präsentiert, Kaffee wird ausgeschenkt – der Streikposten vor der Salamifabrik ist gut aufgestellt. Die Mitarbeiter*innen der Berliner KS Fleisch- und Wurstwaren GmbH sind in den zweiten Ausstand in kürzester Zeit gegangen. Sie kämpfen für 650 Euro mehr Lohn und feste Gehaltstabellen, doch der Arbeitgeber zeigt auf ihre Verhandlungsangebote nicht die leiseste Reaktion. Die Forderung sei zwar hoch, aber »absolut verdient, da die Mitarbeiter hier am unteren Ende des Lohnniveaus in der Branche stehen«, sagt Veit Groß, Gewerkschaftssekretär der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG).
Denn vor zwei Jahren konnte überhaupt erst ein Tarifvertrag inklusive leichter Lohnerhöhungen erkämpft werden, wozu bereits Streiks nötig waren. Er ist Ende September ausgelaufen, womit auch die Friedenspflicht entfällt. Laut Groß machten die Arbeitnehmer*innen im Sommer bereits ein Angebot für Neuverhandlungen. Weil jegliche Reaktion ausblieb, wurde bereits vergangene Woche das erste Mal gestreikt.
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Über drei Viertel der knapp 100 Beschäftigten sind laut Groß in der NGG organisiert. »Wenn jetzt auf diesen Streik keine Reaktion folgt, werden wir in Abstimmung mit den Kollegen hier vor Ort die Streikmaßnahmen ausweiten.« In der Branche gebe es Tarifverträge, die ein deutlich höheres Lohnniveau hätten. Durch den Erfolg vor zwei Jahren sei eine große Motivation da, den Arbeitskampf für vergleichbare Konditionen weiterzuführen, freut sich Groß.
Wer beim Einkaufen ab und zu ins Tiefkühlregal greift, hatte wahrscheinlich schon einmal eine in der Spandauer Fabrik hergestellte Salami auf der Pizza. Die Beschäftigten verarbeiten dort Schwein, Hähnchen und Pute für die bekanntesten Hersteller von Tiefkühlwaren. Das Werk gehört zur Sprehe-Gruppe, einem der größten Fleischproduzenten Europas. Die Gruppe stand in der Vergangenheit bereits wegen Tierquälerei, Hygienemängeln und schlechten Arbeitsbedingungen bei ihren Subunternehmen in der Kritik.
Michael Hein arbeitet seit 43 Jahren im Werk, geht aber ab Januar in Rente und erzählt deshalb locker über die Arbeitsbedingungen. Er hat noch einen alten Arbeitsvertrag. Beim Verkauf der KS Fleisch- und Wurstwaren GmbH an die Sprehe-Gruppe 2012 sei der alte Tarifvertrag jedoch gekündigt worden. »Die neuen Kollegen müssen in den sauren Apfel beißen.« 40 Stunden, kein Urlaubs- oder Weihnachtsgeld mehr, »die Motivation ist ganz schön im Keller bei so etwas«, sagt Hein.
Um pro Woche 70 Tonnen Salami zu produzieren, werde von der Geschäftsführung immer häufiger auf Leiharbeiter*innen gesetzt. Dennoch klagt Hein über die immer höhere Arbeitsbelastung, vor allem weil immer weniger neue Mitarbeiter*innen eingestellt und gleichzeitig viele kündigen würden: »Es haben schon etliche die Segel gestrichen und sind woanders hin, die Konkurrenz zahlt oft besser.« Neben ihm sitzt ein ehemaliger Kollege, der vor einem Jahr das Unternehmen gewechselt hat. Er will den Streik unterstützen.
»Viele sind immer noch verwurzelt in diesem Werk. Das ist eigentlich ein hohes Gut, was unsere Geschäftsführung hier aufs Spiel setzt«, sagt Thorald Fitzke, auch Theo genannt. Er ist Betriebsratsvorsitzender der Firma und sieht keine Attraktivität des Unternehmens für junge Leute: »Die Zeiten, wo man für Mindestlohn und 24 Tage Urlaub arbeitet, sind vorbei.«
Besonders schlimm sei, dass aufgrund von Personalmangel Aufträge abgelehnt werden müssten, sagt Fitzke – laut Gewerkschaftssekretär Groß vom Unternehmen komplett selbstverschuldet. »Es gibt eine unglaubliche Personalknappheit, weil hier verweigert wird, über anständige Tariflöhne überhaupt zu reden.« Sich an den Verhandlungstisch zu setzen, bedeute noch lange keine Zustimmung zu den Forderungen, würde den Beschäftigten aber erst einmal den nötigen Respekt entgegenbringen. »Von Sozialpartnerschaft sind wir hier weit entfernt«, sagt Groß.
»In den vergangenen Jahren wurden keine Kapazitäten abgebaut, es wurden Stellen abgebaut«, sagt Groß. Während des Streiks dürfen keine Leiharbeiter*innen beschäftigt werden. Dann »ist die Arbeit knüppelhart«, sagt Hein. Die hohe Arbeitsbelastung führe zudem zu einem hohen Krankenstand, klagt Groß. Dies verschärfe den Personalmangel zusätzlich, wodurch ein Teufelskreis entstehe. Nachhaltig gerettet werden könne das Unternehmen nur, indem mit einem Tarifvertrag Lohnerhöhungen und einheitliche Gehaltstabellen eingeführt würden. So werde der Beruf laut Sekretät Groß attraktiver.
Andere Subunternehmen der Sprehe-Gruppe sind in der Vergangenheit aufgefallen, weil ausländische Angestellte ohne Kenntnisse des deutschen Arbeitsrechts unter besonders schlechten Arbeitsbedingungen arbeiteten. Laut Fitzke integrierten sich ausländische Mitarbeiter*innen hier sehr gut, der Zusammenhalt ist groß. Sie kämen teils aus schlimmeren wirtschaftlichen Verhältnissen, wüssten aber dennoch, was die Belegschaft mit ihrem Streik erreichen wolle. Man müsse sie im Betrieb halten, überall werde nach guten Mitarbeiter*innen gesucht. »In der Produktion ist oft weniger Fachwissen gefordert, aber Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit – das sind Tugenden, die sie einfach mitbringen«, sagt Fitzke.
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