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Zweckallianz mit Geburtsfehler

Roger Martelli analysiert die tiefen Konflikte im linken französischen Parteienbündnis Nupes, das auseinanderzubrechen droht

  • Interview: Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 8 Min.

Das zur Parlamentswahl vom Juni 2022 gebildete Parteienbündnis Nupes scheint vor dem Zerfall zu stehen. Die Kommunisten sehen in ihm inzwischen eine »Sackgasse«, die Sozialisten haben ihre Mitarbeit »bis auf Weiteres ausgesetzt«, weil Jean-Luc Mélenchon und seine Bewegung La France insoumise (»Unbeugsames Frankreich« LFI) sich geweigert haben, die Hamas als terroristische Organisation zu bezeichnen. Ist das bereits das Ende dieses Versuchs einer Einigung der Linken?

Viel wird davon abhängen, wie sich die Partner in der nächsten Zeit positionieren. Was sich zuletzt in und um Nupes abgespielt hat, war keine Überraschung. Schon seit einiger Zeit sind im Bündnis Meinungsverschiedenheiten und Reibungspunkte in den Vordergrund gerückt, zum Beispiel Anfang des Jahres im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die von Präsident Macron durchgedrückte Rentenreform. Da trat die LFI mit einem Kurs pauschaler und radikaler Ablehnung auf und hat dafür die soziale Unzufriedenheit genutzt und noch angeheizt. Dabei hat die LFI soziale und politische Alternativen vorgeschlagen, mit denen die anderen Partner im Prinzip einverstanden waren. Aber nicht mit der bis ins Parlament verfolgten Taktik einer kompromisslosen Ablehnung aller Vorschläge der anderen Seite. Darüber kam es innerhalb von Nupes wiederholt zu Auseinandersetzungen.

Wurzeln diese Konflikte nicht schon in der Art der Gründung von Nupes?

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Nupes ist im Anschluss an die Präsidentschaftswahl vom Mai 2022 entstanden, bei der Emmanuel Macron wiedergewählt wurde. Im ersten Wahlgang hatte dabei der LFI-Gründer Jean-Luc Mélenchon fast 22 Prozent geholt, während die anderen linken Kandidaten nur sehr bescheidene Ergebnisse erzielten. Wie schon bei der Wahl 2017 hat Mélenchon die Linke dominiert. Damit war vorgezeichnet, dass er und seine Bewegung LFI in der Parteienallianz, die er für die Parlamentswahl im Juni 2022 vorschlug, den Ton angeben würden. Es gab von Anfang an kein Forum für Diskussionen, für das Abwägen alternativer Positionen, für die Suche nach Kompromissen und für das kollegiale Erarbeiten eines gemeinsamen Kurses.

Das Problem ist, dass es sich hier um eine Zweckallianz handelt, die sich weitgehend auf die Führungen der beteiligten Parteien und Bewegungen beschränkt. Das Bündnis reicht nicht bis zur Basis, dafür wurde bislang auch politisch und organisatorisch nichts getan. Immerhin ist die Linke nicht untergegangen. Sie ist im Parlament in respektabler Größe vertreten.

Bereits vor Wochen weigerten sich die Partner, sich an einer von der LFI angeführten gemeinsamen Kandidatenliste für die Europawahl im Juni 2024 zu beteiligen. War das nicht bereits der Beginn der Krise?

Das ist kompliziert. Seit 2017 liegt Frankreichs Linke mit ihren Ergebnissen bei den verschiedenen Wahlen auf dem niedrigsten Niveau nicht nur seit Gründung der Fünften Republik 1958, sondern seit Bestehen der Republik überhaupt. Zusammengenommen bringen es die linken Parteien je nach Art der Wahl auf ein Viertel bis bestenfalls ein Drittel der Stimmen. Während der ersten Amtszeit von Präsident Macron 2017 bis 2022 (als er »weder rechts noch links regieren« wollte, tatsächlich aber immer mehr nach rechts abgedriftet ist) hat das nicht zu einer Selbstbesinnung der Linken und zur Sammlung all ihrer Kräfte geführt, um zurück an die Macht zu gelangen. Da gleichzeitig die traditionelle bürgerliche Rechte in sich zusammengebrochen ist, hat das zu einer Übermacht des Regierungslagers um Macron einerseits und zu einem gefährlichen Erstarken der extremen Rechten andererseits geführt. Umfragen zufolge würde bei der kommenden Europawahl bis zu ein Viertel der Franzosen eine gemeinsame Liste Nupes wählen. Wenn deren Mitgliedsparteien jedoch separat antreten, könnte sich die Zahl der für sie abgegebenen Stimmen auf ein Drittel der Wähler summieren.

Welche Rolle spielt die französische Linke überhaupt noch in den innenpolitischen Auseinandersetzungen?

Heute stehen sich in der politischen Arena in Frankreich zwei Gesellschaftskonzepte gegenüber. Das ist zum einen Liberalismus beziehungsweise Ultraliberalismus mit Marktwirtschaft und Konkurrenzkampf als Kern. Hierbei geht es darum, Frankreich für den internationalen Wettbewerb zu stärken. Dazu gehören ein starker Staatsapparat, eine technokratisch wirkungsvolle Regierungsführung und ein Sicherheitsapparat, um die öffentliche Ruhe und Ordnung zu sichern. International soll das Land im Sinne der Globalisierung offen sein, also nicht nur auf sich selbst konzentriert. Das ist das Modell, für das Macron steht und mit dem sich auch große Teile der bürgerlichen Rechten identifizieren.

Das dem gegenüberstehende Modell geht davon aus, dass die Welt von heute voller Gefahren ist und dass es darum keine andere Lösung gibt, als sich zu schützen. Das bedeutet Abschottung, Einigelung, Zurückweisung fremder Menschen und Ideen. Dafür steht die extreme Rechte mit ihrer Galionsfigur Marine Le Pen. Mein Eindruck ist, dass die Linke diesen Konzepten gegenüber Alternativvorschläge hat, aber kein umfassendes Konzept, mit eigenen Werten und mit Projekten und Maßnahmen von Gewicht. Das ist die Lage, die sich für Frankreichs Linke seit dem Zusammenbruch des »real existierenden Sozialismus« einerseits und dem Rückzug der Sozialdemokratie zugunsten des Sozialliberalismus andererseits herausgebildet hat. Darum hat Frankreichs Linke nicht mehr das Gewicht und den Einfluss, den sie über Jahrzehnte und vor allem in den Jahren vor und nach dem Zweiten Weltkrieg hatte.

Wie kann die Linke wieder eine starke Rolle einnehmen, wenn sie nicht einig, sondern oft sogar zerstritten ist?

Die Einheit ist unbedingt nötig, aber wenn sie so aussieht wie in den vergangenen anderthalb Jahren – mit einer erdrückenden und nicht selten arroganten Hegemonie eines der Partner, nämlich der Bewegung La France insoumise und ihres Gründers Jean-Luc Mélenchon –, dann kommt man nicht voran auf diesem Weg. Darum war Nupes auch nicht in der Lage, die Stärken und die Dynamik der einzelnen Partner zu bündeln und in einer gemeinsam festgelegten Richtung wirksam zu machen. Man hatte den Eindruck, dass Nupes den Kommunisten, den Sozialisten und den Grünen aufgezwungen wurde aufgrund ihrer enttäuschend niedrigen Ergebnisse im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl. Daraus konnte keine positive Dynamik erwachsen.

Durch diese innere Schwäche ist die Linke anfällig für Streit, der die Differenzen deutlich macht. Das ist sehr anschaulich zu sehen bei der gegenwärtigen Krise, die ausgelöst wurde, weil die LFI nicht bereit war, den Hamas-Überfall auf Israel und die dabei verübten Massaker als Terrorismus zu verurteilen, sondern für diese »Widerstandsorganisation« noch nach Rechtfertigungen suchte.

Wie wird es mit Nupes jetzt weitergehen?
Das kann ich schwer voraussagen. Als Historiker liegt es mir ja sowieso mehr, zurückzublicken und Entwicklungen im Nachhinein zu analysieren. Aber ich teile mit vielen linken Intellektuellen ein Gefühl der Besorgnis. Ich sehe da etwas zerfallen, was Mängel hatte, was nicht richtig funktioniert hat, was aber immerhin existierte. Es gab die Überzeugung, dass trotz der unterschiedlichen Positionen die gemeinsamen Interessen überwiegen.

Jetzt ist die Lage so, dass es der Sozialistischen Partei immer schwerer fällt, die erdrückende Hegemonie von La France insoumise hinzunehmen. Die Kommunistische Partei ist schon früh auf Distanz zu Mélenchon gegangen. Sie ist seit langem überzeugt, dass ihre schlechten Wahlergebnisse darauf zurückzuführen sind, dass sie zu oft in linken Bündnissen eingebunden war, deren politischer Kurs nicht wirklich der Identität der Kommunisten entsprach. Sie glaubt, besser abschneiden zu können, wenn sie mit ihrem eigenen Programm antritt. Das hat Fabien Roussel mit viel Talent vorgemacht, seit er Nationalsekretär der FKP ist. Dabei bezieht er sich auf die historische Rolle der Kommunisten in Frankreich. Damit konnte er sich in der Öffentlichkeit profilieren. In Umfragen ist er der beliebteste linke Politiker des Landes, noch weit vor Jean-Luc Mélenchon.

Interview

Roger Martelli (geb.1950) war von Jugend an Kommunist, wurde 1982 Mitglied des ZK der Kommunistischen Partei Frankreichs (FKP) und rückte 2000 ins ZK-Sekretariat auf. Aus Protest über ihre politische Entwicklung trat er 2010 aus der FKP aus und schloss sich der Gruppe der »Erneuerer« an. Mit dem Historiker und Mitherausgeber der Zeitschrift »Regards« sprach für »nd« in Paris Ralf Klingsieck.

Roussels Stärke ist aber zugleich eine Schwäche, denn er betont die Besonderheiten seiner Partei, um sich abzugrenzen und in der öffentlichen Wahrnehmung zu existieren. Diese Schwäche hat er mit fast allen Spitzenpolitikern der verschiedenen linken Parteien und Bewegungen gemeinsam. Man grenzt sich von den Partnern ab, auch von denen, die einem eigentlich nahestehen. Dabei besteht die Kunst darin, sowohl seine Eigenständigkeit zu wahren als auch das Gemeinsame zu vertreten. Das ist ein schwieriger Balanceakt.

Sind bei der Suche nach einer Einigung der Linken ausgesprochen ich-bezogene Persönlichkeiten wie Mélenchon nicht eher hinderlich?

Mélenchon hat seine Verdienste. Innerhalb der Sozialistischen Partei (PS) hat er als einer der ersten mit dem Sozialliberalismus gebrochen. Nachdem er 2008 die PS verlassen hatte, gründete er zunächst mit Gleichgesinnten eine eigene, entschieden linke Partei Parti de Gauche. Sie hatte wenig Erfolg, die später gegründete Bewegung La France insoumise dafür umso mehr. Bei den Präsidentschaftswahlen 2017 und 2022 war er die einzige linke Persönlichkeit, die den Großteil der entsprechend eingestellten Wähler auf sich vereinen konnte.

Heute gibt es am äußeren linken Flügel noch andere markante Persönlichkeiten, die das könnten, beispielsweise die Abgeordneten François Ruffin oder Clémentine Autin, aber sie haben noch nicht die Autorität von Mélenchon, ganz zu schweigen von seinem Charisma und seinem Rednertalent. Er ist der linke Politiker, der am stärksten anzieht, aber aufgrund seines Charakters ist er zugleich der, der am stärksten abstößt. Das ist nach meiner Überzeugung untragbar für einen Politiker, der die Ambition hat, die ganze Linke anzuführen.

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