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Apps über DDR: Mauergeschichte reloaded
Zwei Apps erzählen die Geschichte der Berliner Mauer
Geschichte ist für viele (junge) Menschen eine staubige Angelegenheit. Etwas, das die Boomer-Generation mag. Smartphones sind dagegen bei vielen jüngeren Menschen ein täglicher Begleiter. Die Apps »Mauerschau« und »Berliner Mauer« sind zwei sogenannte Mobile-History-Produkte, die den Bau und Fall der Berliner Mauer sowie die DDR-Geschichte in Berlin auf dem Smartphone-Display erlebbar machen wollen. Schaffen sie ein Update für die Geschichtsvermittlung oder wird hier lediglich Digitalisierung als Selbstzweck betrieben?
Es heißt, Geschichte wird von Gewinnern geschrieben. Im Fall der Geschichtsschreibung zur DDR finden Stimmen der »Verlierer« in den vergangenen Jahren mehr Gehör. Dokumentationen über die Treuhand füllen die Mediathek der Öffentlich-Rechtlichen und Sozialstudien zum Blick auf die Ostdeutschen werden heiß diskutiert. Ostdeutsche dürfen ihre Geschichte jetzt auch selbst erzählen und nicht in jeder Talkshow wird bei Fragen zur DDR ein schweres Hufeisen geschwungen.
App »Berliner Mauer«
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Mit der App »Berliner Mauer« ist 2021 ein gemeinsames Projekt der Bundeszentrale für politische Bildung, des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam und der Stiftung Berliner Mauer entstanden. Öffnet sich die App, ist die Verwirrung groß, denn das Interface erinnert an die frühen 2000er und die Menüführung ist unübersichtlich.
Angeboten werden hier neben einer Karte mit historischen Ereignissen Stadttouren entlang der Mauer. Diese beschränken sich fast ausschließlich auf die Zeit zwischen 1961 bis 1989. Der Mauerbau an sich und die Nachkriegszeit vor 1961 sind sekundär, die 90er Jahre erzählen Geschichten von neuen Freiräumen in Berlin.
»Berliner Mauer« arbeitet mit Fotos und Texten, bietet aber auch eine Filmproduktion der »Deutschen Welle« mit dem Titel »Eingemauert« an. Der Film ist zum 20-jährigen Jubiläum des Mauerfalls erschienen und sieht auch so aus. Ein Sprecher aus dem Off entführt mit Texten auf dem Niveau von »Guido Knopp« oder »Mr. Wissen2Go« in die virtuelle Darstellung einer Ostberliner Grenzstraße der 80er. Dramatische Musik unterlegt das Video, in dem der Sprecher anfangs erzählt: »Diese Grenze schneidet mitten durch Deutschland, trennt Ost und West, Kommunismus und Demokratie. Sie hat nur einen Zweck: Die Bürger der DDR im Osten an der Flucht in den Westen in die Bundesrepublik zu hindern.«
Allein die behauptete Dichotomie zwischen Kommunismus und Demokratie zeigt, dass es den namhaften Schöpfern vor allem darum geht, der Nutzerin noch einmal zu versichern, dass das System, das sich durchgesetzt hat, das richtige ist.
App »Mauerschau«
Optisch ansprechender kommt die fast zehn Jahre alte App »Mauerschau« daher. Hier hatte die Stiftung Berliner Mauer in Kooperation mit der Berliner Zeitung den Hut auf. Auch in dieser App gibt es eine Karte zum Mauerumriss und das Angebot, verschiedene Stadtrundgänge zu durchlaufen. Man kann mit Manfred Fischer, der das Konzept der Gedenkstätte Berliner Mauer prägte, in unterschiedliche Entwicklungsstadien der Mauer reisen oder dem ehemaligen Grenzer Heinz Schäfer von 1961 lauschen, als sowjetische und amerikanische Panzer am Checkpoint Charlie einander gegenüberstanden.
Das Projekt wirbt mit dem »Augmented-Reality-Effekt«. Fotos lassen sich mit dem Smartphone an ausgewählten Punkten der Route zum Leben erwecken. Grundsätzlich arbeitet die App multimedial mit Videos und Zeitzeug*innenberichten und ruft auf der Website zu Feedback und Mitgestaltung auf.
Geschichtsschreibung ohne Gegenwart
Das Erinnern an die Zeit des Realsozialismus auf deutschem Boden und an die Berliner Mauer ist ein umkämpftes Terrain. Über das Leben hinter der Fassade erfahren Nutzer*innen der Apps »Berliner Mauer« und »Mauerschau« leider wenig. Ostdeutsche Stimmen sind nur Geflüchtete, Westdeutsche sind Fluchthelfer*innen oder solche, die über die DDR sprechen.
Keine der in der App angebotenen Touren führt auf die Spuren des 9. November 1989 – die Mauer scheint gewesen und plötzlich gefallen. Ein Neues Forum oder Montagsdemonstrationen bleiben unerwähnt. Migrantische Stimmen aus Ost und West gibt es nicht. Und schon gar keine rechte Gewalt oder Kontinuitäten über die 90er hinaus.
Es scheint, als würde in diesen Apps der Traum vom Ende der Geschichte weiterleben. Sie sind ein Beispiel dafür, dass der Einsatz von Technologie in der Geschichtsvermittlung nicht davor bewahrt, Geschichte ohne Gegenwart zu schreiben.
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