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Landeseigene in Berlin: Treffen der Mieterbeiräte eskaliert
Konferenz der Mietervertreter städtischer Wohnungsbaugesellschaften gerät zur Abrechnung
Es brodelt schon vor dem eigentlichen Beginn der von der Wohnraumversorgung Berlin ausgerichteten 7. Konferenz der Mieterräte und Mieterbeiräte der Berliner landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften am späten Mittwochnachmittag. Es brodelt so sehr, dass Moderatorin Marie Neumüllers gleich zum Auftakt der Veranstaltung im Hotel »Rossi« nahe dem Hauptbahnhof in Moabit um »Fairness bei der Wortwahl« bittet.
Vergebens. Denn der Prozess zur Erarbeitung einer Mustersatzung, die Rechte und Pflichten von Mieterbeirätinnen und -beiräten sowie der Wohnungsbaugesellschaften in ihrer Zusammenarbeit einheitlich für alle Unternehmen festschreibt, ist nach Ansicht vieler arg nach Gutsherrenart abgelaufen. Acht Monate ließen sich die Gesellschaften Zeit, einen Entwurf auszuarbeiten, der dann an einem Oktoberwochenende in einer Runde mit ausgelosten Vertretern der Mieterbeiräte in Verhandlungen noch angepasst wurde.
»Früher wurden solche Verhandlungen immer wieder unterbrochen, um sich rückkoppeln zu können. Diesmal war das nicht möglich«, kritisiert Howoge-Mieterrat Holger Sykulla auf dem Podium. Sieben Stunden am Stück sei verhandelt worden. Auch das Losverfahren nach Bewerbung sei als nicht besonders demokratisch empfunden worden, eine Legitimierung bisher nur durch Delegierung erfolgt.
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Dass es so ablief, überrascht nicht, wenn man weiß, wer intern die Federführung im Prozess an sich gezogen hat: Snezana Michaelis, die zum Jahresende scheidende Gewobag-Vorständin, übernimmt ab kommendem Jahr die Leitung der Saga, der städtischen Wohnungsbaugesellschaft von Hamburg. Erst kürzlich wertete Bausenator Christian Gaebler (SPD) das als Gelegenheit, den Kurs der Gewobag auf mehr Mieterfreundlichkeit zu trimmen. Über kein anderes Berliner Landes-Wohnungsunternehmen gebe es mehr Beschwerden bei seiner Verwaltung.
Allerdings, so hält Mieterrat Sykulla auch fest: »Die Gesellschaften waren bereit, konstruktiv mit uns zusammenzuarbeiten. Kritische Punkte sind in einer demokratischen Abstimmung beschlossen worden.« Der Entwurf der Satzung sei gut.
Auch Christian Teichert, Mieterbeirat bei der Degewo in Springpfuhl, hebt einen positiven Aspekt hervor: »Allen Mieterbeiräten werden in Zukunft einheitlich 1000 Euro jährlich zur Verfügung gestellt.« Bei der Degewo habe es bisher jährlich 500 Euro gegeben, anderswo überhaupt kein Budget. Ein Fortschritt sei, dass künftig Räumlichkeiten für die Mieterbeiratsarbeit verfügbar sein sollen. »Da steht leider nicht ›müssen‹«, sagt Teichert.
Ein Knackpunkt ist auch die Mindeststärke von drei Personen, damit von den Gesellschaften ein Mieterbeirat als solcher anerkannt wird. Immer wieder scheiden Mitglieder aus; wegen des oft hohen Alters sind Krankheiten oder auch Todesfälle die Gründe. Nicht selten finden sich auch schlicht zu wenige Kandidaten für das Ehrenamt. Immerhin sei vereinbart, dass die Landes-Wohnungsunternehmen in solchen Fällen trotzdem »bemüht« sein sollen, auch nur mit ein oder zwei Leuten zusammenzuarbeiten.
»Der Entwurf der Mustersatzung ist trotz der besänftigenden und zustimmenden Töne auf dem Podium ein Machwerk«, sagt Howoge-Mieterbeirat Eberhard Elsing, der im Publikum sitzt. Er gehört der Initiativgruppe Berliner Mieterbeiräte an, die bereits im Juni bei ihrer Konferenz das Verfahren um die Mustersatzung scharf kritisiert hatte. Im März hatte die Initiativgruppe einen eigenen Entwurf an die Wohnraumversorgung und die Landesunternehmen verschickt. Jedoch sei es nie zu einer Diskussion darüber gekommen. Massive Kritik aus dem Publikum gibt es vor allem, weil die meisten der über 100 anwesenden Mieterbeiräte den Entwurf überhaupt nicht kennen. »Da steht: ›Chancen der Mitgestaltung‹, nicht: ›des Mithörens‹«, erklärt einer; ein anderer bezeichnet das Vorgehen als »absolut unprofessionell«.
»Es war nicht das Ziel, die Inhalte noch einmal zu diskutieren«, entgegnet Jasmin Rudolph, Koordinatorin für Mieter*innengremien bei der Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte.
»Man kann sehr geteilter Meinung sein, ob man Entwürfe in die große Runde schickt oder nicht. Man hätte sich auch andere Verfahren vorstellen können«, räumt Sandra Obermeyer ein. Sie ist Vorständin der Wohnraumversorgung, die bei dem Verfahren eigentlich nur in der Zuschauerrolle ist. Denn vor einer breiteren Veröffentlichung haben Senatsbauverwaltung und die Landes-Unternehmen sich ausbedungen, den Entwurf noch einmal zu prüfen.
Bausenator Christian Gaebler, der im Publikum Zeuge des ganzen Aufruhrs ist, spricht schließlich ein Machtwort: »Ich verstehe den Unmut. Ich verstehe nicht, warum der Entwurf nicht herumgeschickt werden konnte«, sagt er. Und er verfügt, den Entwurf im Nachgang der Konferenz zu verschicken. »Ich glaube, dann legt sich der Unmut.«
Vor dem Unmut stand ein eigentlich erfreulicher Anlass. Denn nach rund 30 Jahren ihrer Existenz haben die auf Quartiersebene tätigen Mieterbeiräte mit der Ende Februar in Kraft getretenen Novelle des Berliner Wohnraumversorgungsgesetzes endlich eine klare gesetzliche Grundlage für ihre Tätigkeit bekommen. Auch die Zusammenarbeit mit den auf Konzernebene tätigen Mieterräten ist nun endlich geregelt. Lange hatte die SPD das Anliegen in der Koalition mit Grünen und Linke blockiert.
Das ändert nichts daran, dass unter Schwarz-Rot der Einfluss der Wohnraumversorgung, die ein Ergebnis des Mietenvolksentscheids von 2015 ist, beschnitten werden soll. Das Fachcontrolling der Landes-Wohnungsunternehmen soll ihr entzogen werden. Die seit Monaten überfällige Veröffentlichung des Berichts für das Jahr 2022 ist immer noch nicht erfolgt.
Man wolle die Wohnraumversorgung Berlin weiterentwickeln, heißt es im Koalitionsvertrag von CDU und SPD. »Ihre Aufgaben werden verstärkt und auf die Beratung und Partizipation der Mieterinnen und Mieter sowie auf die Schlichtung von Mietstreitigkeiten konzentriert.« 2024 soll eine Ombudsstelle für Mietstreitigkeiten bei den Landeseigenen ihre Arbeit aufnehmen. Mieten-Staatssekretär Stephan Machulik (SPD) erklärte kürzlich sogar, die Tätigkeit der Ombudsstelle auch auf private Vermieter auszuweiten zu wollen. Ein Ansinnen, das in Fachkreisen als aussichtslos angesehen wird, denn zu einer Kooperation können diese nicht gezwungen werden. Das fast wirkungslose Mietenbündnis ist beispielhaft.
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