- Politik
- Polizeiproblem
IAA: Versammlungs- und Pressefreiheit massiv eingeschränkt
Das Grundrechtekomitee berichtet von Repressionen bei Protesten gegen die Internationale Automobilausstellung in München
Rund 100 Aktivist*innen blockierten die Bavariastraße in München. Einige weitere seilten sich von der darüber führenden Eisenbahnbrücke ab. So protestierte das Bündnis No Future for IAA am 9. September gegen die Internationale Automobilausstellung (IAA). Schnell war die Polizei vor Ort und kesselte die Sitzblockaden ein. Die Beamt*innen sollen Demonstrierende daran gehindert haben, zur Toilette zu gehen, und Demo-Sanis zeitweise daran, die Eingekesselten mit Wasser zu versorgen.
So beobachteten es fünf Personen des Komitees für Grundrechte und Demokratie. Bei der anschließenden Räumung »wurden teilweise Schmerzgriffen an Hals und Schulter angewandt, sowie das schmerzhafte Verdrehen von Armen und Beinen und sogar des Kopfes«, heißt es im Demonstrationsbeobachtungsbericht »Kontrolle um jeden Preis«, den das Komitee in der vergangenen Woche veröffentlichte. Auch bei den anschließenden Durchsuchungen seien teils Schmerzgriffe angewandt worden, für die es nach Einschätzung der Beobachter*innen »keinen zwingenden Grund« gab.
Um dieselbe Zeit sollen Protestierende der Gruppe Smash IAA am Mercedes-Tower an der Donnersberger Brücke von weiteren Beamt*innen mit Schlagstöcken und Reizgas angegriffen worden. Eine Person soll so schwer am Kopf verletzt worden sein, dass ein Ohr genäht werden musste. Das sind die beiden dokumentierten Situationen physischer Polizeigewalt, zu denen es bei den Protesten gegen die IAA Anfang September kam. Das Grundrechtekomitee begleitete diese mit bis zu acht Beobachter*innen täglich und stellte massive Einschränkungen der Versammlungsfreiheit fest.
Demnach waren Polizist*innen in Uniform wie in Zivil in dieser Woche in München dauerpräsent. In der Innenstadt und rund um das Protestcamp im Luitpoldpark sollen – auch unbeteiligte – Menschen mit »alternativem Aussehen« wahllos kontrolliert, angemeldete Demonstrationen gefilmt, aufgehalten oder von der Polizei abgeschirmt worden sein. Eine Kundgebung am 5. September »wirkte eher wie ein Polizeikessel als eine Begleitung durch die Polizei«, heißt es im Bericht. Das Protestcamp sei rund um die Uhr überwacht worden.
Für den 7. Oktober dokumentieren die Beobachter*innen, dass einer Person ohne Begründung zeitweise Handschellen angelegt wurden und dass harmloses Demo-Material beschlagnahmt wurde. Mehrmals seien sie selbst kontrolliert worden. »Unsere Beobachtungsrolle wurde von den Polizist*innen nicht respektiert.« Genau so sei es zahlreichen Journalist*innen und parlamentarischen Beobachter*innen gegangen, die Presse zum Teil auch festgehalten oder von Protestorten verwiesen und an ihrer Arbeit gehindert worden.
Bei einem Protest von Sand im Getriebe in Dingolfing sollen Polizist*innen zunächst provoziert haben, »indem sie an den Bannern zogen« und die Demonstration schlussendlich aufgelöst haben, weil Personen vermummt waren. Am Bahnhof seien Personen kontrolliert worden mit dem Argument, »dass sie auf dem Weg nach München seien und dort möglicherweise z.B. morgen an einer anderen Versammlung teilnehmen könnten«.
Eine andere Kontrolle sei von der Polizei als »verdachtsunabhängig« benannt worden. Dies ist laut Grundrechtekomitee »ein höchst umstrittenes Werkzeug, weil es dem racial profiling verwandt ist« und für den Einsatz in München »nicht begründbar« gewesen. Generell »konnten wir den unbedingten
Willen der Polizei zur Feststellung von Identitäten und das Erstellen von Fotomaterial beobachten, sowie den Versuch, absolute Kontrolle über jegliches Protestgeschehen zu erhalten«.
So seien Versammlungen mit 3000 Teilnehmenden durchgängig gefilmt und zum Teil sogar Nahaufnahmen von Einzelpersonen gemacht worden. »Die stete Präsenz von Videokameras der Polizei – ob aktiv oder im Ruhezustand – kreiert eine Situation pausenloser Überwachung«, schreibt das Komitee und bewertet diese Überwachung als Abschreckung, die das Versammlungsrecht einschränke.
Insgesamt sei in zahlreichen Situation nicht nur die Versammlungs-, sondern auch die Pressefreiheit massiv beschnitten worden, so das Fazit. Abschließend warnt das Grundrechtekomitee vor »einer immer weitergehenden Entgrenzung polizeilicher Befugnisse – zugunsten privater Unternehmen und einer rückwärtsgewandten Mobilitäts- und Klimapolitik«.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.