Mythos totale Verstaatlichung: Private Unternehmen in der DDR

Ausstellung zu ostdeutschen Familienbetrieben von 1945 bis heute im Brandenburger Landtag

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 6 Min.

Nachdem die berühmte Marwitzer Keramikerin Hedwig Bollhagen nach der Wende hochbetagt ihr zu DDR-Zeiten verstaatlichtes Unternehmen zurückerhalten und als sogenannte Jungunternehmerin allerhand Preise eingeheimst hatte, wurde sie gefragt, wie sie ihre einstige Enteignung im Nachhinein bewerte. »Ich konnte mich danach auf meine Entwürfe konzentrieren«, lautete die Antwort der über 80-Jährigen. »Und außerdem haben wir endlich mal richtig Geld verdient.«

Von den vielen Legenden über die DDR hält sich die vom »notleidenden Handwerk« am hartnäckigsten. Was die derzeit im Foyer des Potsdamer Landtags gezeigte Ausstellung betrifft, scheint sie diese Sichtweise auf den ersten Blick zu bestätigen. »Verdrängung, Enteignung, Neuanfang – Familienunternehmen in Ostdeutschland von 1945 bis heute« heißt die Schau, die im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen erarbeitet wurde. Laut einer vom Landtag verbreiteten Pressemeldung erzählt die Ausstellung die Geschichte »von Familienunternehmen, die unter der SED-Führung in der DDR die Diskriminierung des Privateigentums, politische Verfolgung sowie die Verstaatlichung industrieller Unternehmen miterlebt haben«.

Wenn es nichts anderes als das wäre, dann würde sich das in die einseitige Darstellung einreihen, die so oft den Rückblick auf die DDR kennzeichnet. Aber weder die informativen Schautafeln selbst, noch das bei der Eröffnung am Montag zu Hörende bleiben dabei stehen. Wieder einmal zeigt sich: Die damalige Wirklichkeit war vielfältig und alles viel komplizierter.

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Was haben Kathi-Backpulver, Glashütte-Uhren, Wilthener Weinbrand, TT-Modelleisenbahnen, Komet-Speiseeispulver und die Blüthener Pianos gemeinsam? Sie waren ostdeutsche Firmen, die noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg privat waren, bis sie in halbstaatlicher Form fortlebten und schließlich als volkseigene Betriebe weitergeführt wurden. Ihren Namen behielten sie auch nach der Enteignung. Die Ausstellung zeichnet den interessanten Weg dieser Betriebe nach. Beleuchtet werden die Pflege von Marken und Warenzeichen, Lizenzverkäufe ins Ausland und anderes.

»Wie viel Staat verträgt die Wirtschaft?« Das fragte Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) bei der Ausstellungseröffnung. Sie skizzierte den Weg des ostdeutschen Mittelstands von der Eigenständigkeit, die noch einige Jahre nach Gründung der DDR bewahrt werden konnte, über die Existenz dieser Firmen als Privatbetriebe mit staatlicher Beteiligung bis zur vollständigen Enteignung 1972. Abgeschafft wurden in diesem Jahr nicht Familienbetriebe insgesamt, sondern industrielle Familienbetriebe.

In seiner Rede stellte der Geschäftsführer der Stiftung Familienbetriebe, David Deißer, die Einschränkungen in den Vordergrund, die bis zur Unterdrückung reichen konnten. »Das war es dann für Sie«, habe ein Unternehmer vernommen, bevor »sein Lebenswerk dahin« gewesen sei. Großbetriebe über 500 Beschäftigte waren schon vor 1949 enteignet worden. Die sozialistischen Staaten sahen in privaten Betrieben zweifellos Relikte einer zu überwindenden Epoche. Auch das Strafrecht wurde bei tatsächlichen oder vermeintlichen Vergehen der Eigentümer eingesetzt. Deißer sprach von der »Missachtung von Eigentum« und empfahl angesichts heutiger Ideen, sich die Vergesellschaftung angesichts der historischen Erfahrungen damit genau zu überlegen oder auch besser sein zu lassen.

Dass der private Sektor im Laufe der Jahre zurückgedrängt wurde, ist richtig. Dennoch fand das in der DDR nie so radikal statt wie in der Sowjetunion, in der Tschechoslowakei, in Bulgarien und Rumänien, wo die Privatwirtschaft selbst in ihrer kleinsten Erscheinungsform rücksichtslos ausgemerzt wurde. »1990 existierten etwa 100 000 private Unternehmen in der DDR«, sagte der Historiker Max Trecker. Damit hätten die westdeutschen Berater und Missionare, die alsbald Ostdeutschland nach ihrem Bilde umgestalteten, gar nicht gerechnet.

Noch 1950 sei ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts der DDR – damals Nationaleinkommen genannt – in Privatunternehmen erarbeitet worden, erfährt der Ausstellungsbesucher. Restriktionen via Steuerpolitik und Investitionsverweigerung waren Methoden, diesen Anteil ständig zu verringern. Doch gab es private Betriebe noch sehr lange. 1972 wurden die letzten knapp 12 000 größeren zu Volkseigenen Betrieben (VEB). Aber die Enteignung war oft mit Investitionen verbunden. Die Beschäftigten erlebten die Enteignung somit als Modernisierung.

Ab 1972 konnten die kleinen Selbstständigen noch privat wirtschaften. Sie wurden nicht verdrängt, verfolgt und enteignet, sondern unterstützt, gefördert und geehrt. Es gab Produktionsgenossenschaften des Handwerks und diese waren das vielleicht eindrucksvollste Beispiel dafür, die Idee von privater Initiative und sozialistischer Gemeinschaft sinnvoll zu vereinbaren. Nicht wenige Genossenschaften haben die Wende überlebt, nicht wenige gründen sich heute neu.

Renate und Andreas Lewerken hatten ihre Werkstatt für therapeutisches Holzspielzeug 1985 mit Billigung und Unterstützung der Behörden gegründet. Ihr Familienbetrieb Kiebitzberg ist heute der größte Arbeitgeber im sachsen-anhaltischen Havelberg. Andreas Leweken erzählte, 1990 seien »die neuen Maschinen aus Bulgarien und Polen gerade aufgestellt« gewesen. Der Absatz musste neu gefunden werden. Das Paar ließ sich nicht entmutigen, führt heute eine Werft in Havelberg.

Catherine Loclair passt auch nicht in das Schema der entrechteten DDR-Unternehmer, wohl aber in das vom Neuanfang nach 1990. Ihr Vater war bis 1990 Direktor im Oranienburger VEB Lacke und Farben. Weil er »an die Zukunft dieses Betriebes nicht mehr glaubte«, gründete er sich aus und übernahm mit 60 Kollegen einen Teil der Belegschaft. Gegen erhebliche Widerstände der Treuhandanstalt gründete er das bis heute erfolgreiche Unternehmen Orafol. Mit seiner Beharrlichkeit hatte er sich im entscheidenden Moment den unabdingbaren Überbrückungskredit verschafft. Tochter Loclair sagte: »Die Treuhand konnte sich nicht vorstellen, dass er das konnte.«

Dass die Treuhand den Ostdeutschen Managementfähigkeiten nicht zutraute, bestätigte auch Historiker Trecker. Deshalb zögerte die Treuhand, Betriebe an Ostdeutsche zu verkaufen. Wenn sie es doch tat, dann ließ man durchblicken, »dass sie nicht die erste Wahl waren«. In einigen tausend Fällen sei dies aber dann doch »pragmatisch« geschehen, vor allem weil die oft und gerade von Kanzler Helmut Kohl (CDU) versprochenen Investoren aus Westdeutschland schlicht ausblieben. Trecker berichtete, dass westdeutschen Banken in den ostdeutschen Großstädten die Filet-Grundstücke zugeschanzt worden seien in der Hoffnung, dass sie von dort aus das nötige Geld in die Wirtschaft der neuen Länder pumpen würden. Das aber sei längst nicht im erhofften Umfang geschehen. Die Banken steckten das Geld lieber in den US-Immobilienmarkt. Die wirtschaftliche Neuorientierung sei unter dem »Reformkommunisten« und Ministerpräsidenten Hans Modrow (SED) vielversprechender gewesen als das, was später unter Kanzler Kohl geschah.

Während die Umwandlung der halbstaatlichen Betriebe in VEB keineswegs ihr Ende bedeutete, war das nach 1990 vielfach anders. Die Firma TT-Modelleisenbahnen wurde zwar reprivatisiert, doch ein wirtschaftlicher Neuanfang gelang nicht.

Ausstellung »Verdrängung, Enteignung, Neuanfang: Familienunternehmen in Ostdeutschland von 1945 bis heute«, Landtag Brandenburg, Alter Markt in Potsdam, montags bis freitags von 8 bis 18 Uhr, Eintritt frei

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