Französische Umweltschützer doch keine Ökoterroristen

Die Regierung in Frankreich musste vor Gericht mehrere Schlappen einstecken

  • Ralf Klingsieck
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Juni hatte Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin per Dekret die Umweltschutzorganisation »Soulèvements de la Terre« (Aufstände der Erde) aufgelöst. Nun hat der Staatsrat, das oberste Verwaltungsgericht Frankreichs, das Verbot der Organisation außer Kraft gesetzt. Den Umweltschützern könne »keine Provokation oder Aufrufe zu Gewalt gegen Personen« angelastet werden, heißt es in dem Urteil. Die Auflösung sei keine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme.

Im März war die Organisation auf einen Schlag landesweit und international bekannt geworden, als eine von ihr organisierte Protestdemonstration gegen den Bau von Mega-Wasserbecken für intensive Landwirtschaft in der kleinen Gemeinde Sainte-Soline zu schweren Zusammenstößen mit der Polizei führte. 40 Demonstranten und 47 Polizisten wurden damals verletzt.

Dabei sollen Demonstranten aus einem sogenannten schwarzen Block heraus die Konfrontation mit der Polizei gesucht haben. Die Vereinigung »Soulèvements de la Terre« hatte dagegen als Organisatorin des Protests ausdrücklich zu einer gewaltlosen Demonstration aufgerufen. Ungeachtet dessen hat Innenminister Darmanin die Gruppe daraufhin als »Ökoterroristen« bezeichnet.

Trotzdem erfolgte die Auflösung erst im Juni. So lange dauerte wohl die Suche nach Argumenten und »Beweisen«. Doch die Richter fanden diese schwach und wenig überzeugend. Aus ihrer Sicht war es völlig überzogen, dass sich der Minister in seinem Dekret auf eine »Gefährdung der öffentlichen Ordnung« und das Gesetz über die innere Sicherheit berief.

Die Regierung muss in diesem Zusammenhang noch weitere Niederlagen hinnehmen. Denn die von den Umweltschützern angerufene Justiz hat in den zurückliegenden Monaten die bereits erteilten Baugenehmigungen für das Becken in Sainte-Soline und für mehr als ein Dutzend weiterer Becken in den umliegenden westfranzösischen Departements annulliert. Die Bauanträge müssen nun noch einmal gründlich auf wirtschaftliche Relevanz und ökologische Konsequenzen geprüft werden, so die Anordnung.

Die Interessengemeinschaften von Landwirten, die diese Becken in Auftrag gegeben und finanziert haben, argumentieren, dass nur im Winter, wenn ausreichend Grundwasser vorhanden ist, einiges davon entnommen, nach oben gepumpt und in den Becken gespeichert wird. Es kann dann im Frühjahr und Sommer, wenn es zu wenig regnet, zur künstlichen Bewässerung genutzt werden. Diese Praxis verbreitet sich in Frankreich angesichts der um sich greifenden Trockenheitsperioden immer mehr. Umweltschädigend sei das nicht, behaupten die Sprecher der Bauern und ihre Anwälte.

Doch die Richter entschieden, dass 15 Becken mit einem Gesamtfassungsvermögen von drei Millionen Kubikmetern »überdimensioniert« und »nicht geeignet sind, den Konsequenzen des Klimawandels angemessen entgegenzuwirken«. Die Dimensionen seien noch nach den Vergleichszahlen der Jahre 2000 bis 2010 berechnet worden, als es weniger Trockenperioden gab als gegenwärtig und entsprechend mehr Grundwasser für künstliche Bewässerung entnommen werden konnte. Heute wären solche Mengen »unverantwortlich«.

»Soulèvements de la Terre« und die anderen Vereine, die die Klagen eingereicht hatten, zeigten sich zufrieden mit den Urteilen. Dadurch würden »die Desinformationskampagnen gestoppt, die seit Jahren die Megabassins als Mittel zur Verringerung der Wasserentnahme anpreisen«, stellten sie in einer gemeinsamen Erklärung fest.

Dagegen vertrat die Präfektur des Departements Vienne die Ansicht, dass die vom Gericht angeführten Gründe Fragen aufwerfen. Sie kündigte an, gegen die Entscheidung Berufung einzulegen. Auch die betroffenen Interessengemeinschaften als Auftraggeber der Bassins wollen in Berufung gehen. Doch für die Gültigkeit der Urteile hat das keine aufschiebende Wirkung. Somit darf bis zur nächsten Runde vor Gericht an den Becken erst einmal nicht weitergebaut werden.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.