- Sport
- Fußball Nationalmannschaft
DFB-Team: Bundestrainer Julian Nagelsmann verliert Souveränität
Nach der Niederlage gegen die Türkei könnte der DFB in Wien schon wieder an einem Tiefpunkt ankommen
Julian Nagelsmann hat zum »Schwarzmalen« eingeladen. »Das können Sie gerne tun, eine bessere Fußball-Nation werden wir dadurch aber nicht«, sagte der Bundestrainer am späten Samstagabend im Berliner Olympiastadion. Von einer denkwürdigen Pressekonferenz nach dem 2:3 (1:2) im Länderspiel gegen die türkische Nationalmannschaft zu sprechen, ist vielleicht etwas übertrieben. Ein extrem unsouveräner Auftritt des 36-Jährigen war es allemal.
»Erstmal Glückwunsch an die Türken zum Sieg.« Schon die ersten Worte von Julian Nagelsmann ließen aufhorchen, so grob, wie er sie ausgesprochen hatte. Später sagte er: »Das dritte türkische Tor zählt nicht.« Über den Elfmeterpfiff, der zu diesem Treffer in der 71. Minute geführt hatte, kann man streiten. Aber auf dem Podium saß nicht nur ein enttäuschter Bundestrainer, sondern ein schlechter Verlierer. Schon nach dem dritten Spiel mit dem DFB-Team verlor Nagelsmann die Nerven. Für alle Schwarzmaler hier der Trend: Sieg gegen die USA, Remis gegen Mexiko, Niederlage gegen die Türkei. Und sollte am kommenden Dienstag in Wien gegen gut aufgelegte Österreicher mit dem Trainer Ralf Rangnick eine weitere Pleite folgen, dann wäre die Fußball-Nation Deutschland wieder genau dort, wo sie vor den Trainerwechseln von Joachim Löw zu Hansi Flick zu Nagelsmann schon war.
Diese Sorge treibt auch Bernd Neuendorf um. Man dürfe nicht sagen, dass alles schlecht war, meinte der DFB-Präsident am Sonntag. Denn: »Jetzt alles infrage zu stellen, macht es schwierig.« Ansehensverlust durch verschiedene Skandale und den sportlichen Niedergang, dazu die finanzielle Not – für Neuendorf und seinen Verband ist die Europameisterschaft im eigenen Land von größter Bedeutung. Um wenigstens etwas Selbstbewusstes zu sagen, zählte er zugleich die Kritiker an. »Immer dieses himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt.«
Würde man heute Zehnjährige fragen, sie könnten sich an gute Zeiten der deutschen Nationalmannschaft nicht erinnern. Jeder Jubel ist längst im Fußballkosmos verhallt, jede Kritik an der Entwicklung berechtigt und Besserung auch unter Nagelsmann nicht auszumachen. Alle Probleme, die das Team seit Jahren belasten, wurden auch in Berlin offenbar. Die anfällige Abwehr wollte der neue Bundestrainer stärken und »variabler verteidigen«. Gegen die Türkei formierte sich die Defensive dann mal in einer Dreier-, Vierer- oder Fünferkette. Schlecht sah sie nicht nur bei den Gegentoren durch Ferdi Kadioglu in der 38. Minute und Kenan Yildiz in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit aus.
Nagelsmann verlor sich später in schwer verständlichen taktischen Ausführungen, einfache Erklärungen für Fehler fand er nicht. Fataler noch, als alles schlecht zu reden, ist, die Probleme nicht wahrhaben zu wollen. Auch da glich der neue Bundestrainer seinen Vorgängern. Schon über seine Ansicht, dass die Türken »nicht besser waren« und »weniger Chancen« hatten, lässt sich streiten. »Beide Gegentore waren auch nicht super herausgespielt.« Dieser Satz von Nagelsmann verschreckte viele im großen Presseraum des Olympiastadions. Einerseits ist die Respektlosigkeit gegenüber dem Gegner erschreckend, anderseits fehlte dessen Einordnung in die Fußballwelt. Die Türkei schaffte es erst zweimal zu einer Weltmeisterschaft, zuletzt vor 21 Jahren. Wer solch einen Gegner trotz einer Niederlage schlecht macht, kann selbst sehr schnell zur Gefahr für die Fußball-Nation Deutschland werden.
Nein, es war nicht alles schlecht. Leroy Sané zeigte ein überragendes Länderspiel. Schnelligkeit, Ballbehandlung, Laufwege: Der Münchner sorgte auf der rechten Außenbahn stets für Gefahr und bereitete die Führung von Kai Havertz in der fünften Spielminute fabelhaft vor. Florian Wirtz konnte im offensiven Mittelfeld überzeugen. Mit einer starken Einzelaktion leitete er vier Minuten nach Wiederanpfiff das zwischenzeitliche 2:2 von Niclas Füllkrug ein. Schon wieder ein aber: Starke offensive Momente hatte das DFB-Team auch in seinen schlechtesten Zeiten. »Wir haben die ersten zehn, zwölf Minuten gut angefangen«, lobte Nagelsmann dann auch. Eine Analyse, die bei Trainern von Abstiegskandidaten beliebt ist. Eine Erklärung, warum seine Mannschaft die Spielkontrolle verloren hat, lieferte der Bundestrainer nicht.
Direkt nach dem Abpfiff verschwand Sané in den Katakomben. Sicherlich war er enttäuscht, hatte er doch selbst so glänzen können. Respektlos gegenüber dem eigenen Team, dem Gegner und dem Publikum war dieser Abgang aber allemal. Es scheint, dass das DFB-Team auch unter dem neuen Bundestrainer noch keine Mannschaft geworden ist. Die Einstellung wurde ja allzu oft in den vergangenen Jahren kritisiert, Nagelsmann nennt es »Emotionalität«. Diese wollte er unbedingt wecken. Sie habe gefehlt, sagte er nach dem Spiel.
Eine alte Weisheit könnte dem jungen Nagelsmann helfen. Ein Team ist mehr als die Summe seiner Mitglieder, das gilt nicht nur im Fußball. Bislang hält es der Bundestrainer, wie auch seine Vorgänger, anders. »Wenn ich zehn Weltklassespieler habe, sollen die zehn auch spielen.« Dabei liegt eines der andauernden Probleme der Nationalmannschaft auch darin, dass immer im selben Spieler-Pool gefischt wird. Weil jeder neue Trainer denkt, mit seiner Taktik wird es schon besser werden. Zwar wird immer mal wieder der ein oder andere Neuling im Team begrüßt, gesetzt bleiben aber andere.
Als Joshua Kimmich am Sonnabend nach 71 Minuten den Platz verlassen musste, wurde Leon Goretzka für ihn eingewechselt. Über beide wird seit langem diskutiert. Kimmich gelang es auch gegen die Türken nicht, das Spiel zu prägen. Stattdessen verlor er im zentralen Mittelfeld, an der Seite des ordentlich spielenden Kapitäns Ilkay Gündogan, des Öfteren die defensive Orientierung. Während Kimmich trotz anhaltender Kritik beim FC Bayern noch zum Stammpersonal zählt, läuft Goretzka seiner Form schon ewig hinterher. Trotzdem dürfen beide Münchner im Nationalteam ran. Eine Alternative ist nur dann wertvoll, wenn sie genutzt wird. Robert Andrich, Pascal Groß und Grischa Prömel blieben beim Test gegen die Türken auf der Bank.
Für alle Schwarzmaler: Es kann alles noch anders kommen mit Nagelsmann. Darauf hoffen vor allem der DFB und dessen Präsident. »Für uns ist diese EM so zentral, dass wir den Fokus voll darauf richten«, sagte Neuendorf am Sonntag. Deshalb führe er jetzt auch keine Trainerdiskussion. »Nach der EM sehen wir dann, ob es weitergeht.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.