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Senator Joël Guerriau: Katze tot, Kollegin unter Drogen gesetzt
Der Fall Joël Guerriau verrät viel über patriarchiale Herrschaftsverhältnisse, kommentiert Veronika Kracher
Der Tod eines geliebten Haustieres kann wirklich schlimm sein. Und regelmäßig verlangt er ähnliche Trauerarbeit wie der Tod eines menschlichen Freundes: weinen, mit Freund*innen darüber sprechen, sich betrinken, selbst Jahre später noch an das geliebte Tier denken. Für den französischen Senator Joël Guerriau scheint die adäquate Bewältigungsstrategie für den Tod seiner Katze zu sein: eine Politikerkollegin unter Drogen zu setzen.
Kürzlich hatte der 66 Jahre alte Politiker der zentristisch-konservativen Kleinpartei »Horizons« seiner Politikerkollegin Sandrine Josso MDMA in den Champagner gekippt, um – so Josso – ihren drogeninduzierten Zustand auszunutzen. Das Ziel war es ihrer Auffassung nach, sie zum Geschlechtsverkehr zu nötigen.
Guerriau, seit zehn Jahren ein »Arbeitsfreund« von Josso, hatte der Politikerin erzählt, er wolle gerne mit ein paar Freund*innen seine Wiederwahl in den französischen Senat in einem Restaurant feiern. Dann, so die Politikerin, hätte Guerriau sie kurzfristig in sein Haus eingeladen – alleine, wie sie feststellen musste. Dort hätte er ihr Champagner serviert, der »süßlich« geschmeckt hätte, sie regelmäßig zum Trinken aufgefordert und währenddessen immer wieder das Licht gedimmt und wieder aufgedreht. Das soll angeblich den Wirkungseffekt der Droge steigern.
Veronika Kracher, geboren 1990, hat Soziologie und Literatur studiert und ist seit 2015 regelmäßig als Autorin und Referentin mit den Arbeitsschwerpunkten Antifeminismus, Rechtsextremismus und Online-Radikalisierung tätig. Zudem ist sie Expertin für belastende Männer im Internet. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Jenseits des Patriarchats«.
Innerhalb von 15 Minuten bemerkte die 48-Jährige Schweißausbrüche und begann zu zittern. Sie ging in die Küche und sah, dass der Senator einen kleinen Beutel mit weißem Pulver in einer Küchenschublade verschwinden ließ und realisierte: Sie wurde offenbar ohne ihr Wissen unter Drogen gesetzt. Josso schaffte es, sich ein Taxi zu rufen und verließ das Haus des Mannes. Sie ließ sich im Krankenhaus auf Substanzen testen – dort wurde ihr bestätigt, dass sie MDMA in ihrem Körper hatte.
Zum Thema: Gewalt an Frauen: Mehr als abstrakte Theorie – Livia Lergenmüller über gewalttätige Alltagserfahrungen im Patriarchiat
MDMA wirkt euphorisierend, macht empathisch und weckt häufig den Wunsch nach körperlicher Nähe. Sandrine Jussos Vorwurf, der Senator wolle sie vergewaltigen, ist also nicht abwegig. Die Rechtfertigung des ehemaligen Bänkers hingegen um so mehr: Er hätte das alles nicht gewollt. Seine Katze sei gestorben – das habe ihn sehr mitgenommen. Und ein guter Freund hatte eine Krebsdiagnose bekommen. Guerriau habe deshalb einen Freund gebeten, er möge ihm »etwas Euphorisierendes« besorgen. Das MDMA wäre also nur zufällig im Glas von Josso.
Wer kennt es nicht: Da hat man einen schlechten Tag, das geliebte Haustier stirbt, und dann ist man nicht mehr in der Lage einzuschätzen, ob man eine Kollegin zufällig unter Drogen setzt.
Der patriarchale Herrschaftsansspruch ist nach wie vor auf einer angeblichen männlichen Selbstbeherrschung und Rationalität begründet. Doch sobald es um patriarchale Gewalt geht, reduzieren sich Männer selbst zu triebgesteuerten Primaten: »Ich habe die Kontrolle über mich verloren«, heißt es bei häuslicher Gewalt. »Wie soll sich ein Mann bei so einem Rock beherrschen können« bei sexueller Belästigung. Und »Meine Katze ist gestorben«, wenn es darum geht, die Kollegin unter Drogen zu setzen.
Häufig funktionieren diese Ausreden bei Männern, um gewalttätiges Verhalten zu entschuldigen – während Frauen hingegen jeder noch so kleine Kontrollverlust zur Last gelegt wird, um gerade bei sexueller und häuslicher Gewalt dem Opfer eine Mitschuld zu geben. Der Klassiker: Bei einem sexuell übergriffigen Mann kann der Alkoholeinfluss strafmildernd wirken. Er hatte sich ja nicht mehr unter Kontrolle. Bei einer Frau hingegen wird die Trunkenheit zur Mitverantwortung für den Übergriff: Wenn sie nicht getrunken hätte, wäre ihr das nicht passiert.
Männer in patriarchalen Strukturen wollen zwar Macht – aber die wenigsten haben je gelernt, Verantwortung zu übernehmen. Vor allem nicht für sich selbst. Patriarchale Gewalt wird von klein auf entschuldigt und relativiert. Zudem wird die Verantwortung dieser Gewalt von den Tätern auf die Betroffenen verlagert. So wird von potenziell Betroffenen verlangt, Gewalt zu verhindern statt von Tätern, sie zu unterlassen. Dadurch wird das System gestützt, das diese Männer immer wieder von Schuld und Verantwortung frei spricht.
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Dieses System hat einen Mann wie Joël Guerriau dazu gebracht, zu einer derart billigen Ausrede zu greifen. Oft genug funktioniert es ja auch – als Gesellschaft verzeihen wir liebend gerne Tätern, vor allem wenn diese weiß und bürgerlich sind. Und darauf verlassen sich diese Männer.
Diesmal jedoch ist es anders: Josso hat Anzeige erstattet. Bei einer Hausdurchsuchung wurden bei dem Politiker, der vor drei Jahren übrigens zu einem »unerbittlichen Kampf« gegen Drogenkonsum aufgerufen hatte, ein Tütchen mit MDMA entdeckt. Und Guerriau wurde von seiner Partei und Fraktion ausgeschlossen. Er und sein Anwalt beteuern nach wie vor, dass Joël Guerriau ein ehrlicher Mann sei, der keiner Frau je etwas zuleide tun würde. Außerdem sei ja seine Katze verstorben.
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