- Wirtschaft und Umwelt
- Amazon
Black Friday: Kapitalistisches Schlaraffenland
Amazon liefert alles, jederzeit. Die Stadtforscherin Maja-Lee Voigt spricht über die Monopolstellung des Megakonzerns und dem Widerstand gegen ihn
Am 24. November ist der sogenannte Black Friday. Der Begriff stammt aus den USA. Immer am Freitag nach Thanksgiving lockt der Einzelhandel die Kund*innen mit angeblich unschlagbar hohen Rabatten. Menschenmassen, die in Geschäfte stürmen, prägen die Bilder an diesem Tag. Welche Rolle spielt der Black Friday in Zeiten des Online-Handels?
Bei meiner Forschung zu Amazon und anderen Tech-Konzernen wird die Dominanz deutlich, die diese Konzerne über diesen Tag haben. Also die wahnsinnig langen Ankündigungen, die besondere Werbung dafür im Vorhinein, auf allen möglichen Medien und Formaten. So kennen wir es zum Beispiel aus der Weihnachtswerbung. Bestimmte Tage im Jahr werden besonders beworben, teilweise mit emotionaler Verbindung. Wer gerade nach Amazon googelt, bekommt in den Neuigkeiten immer Anzeigen wie »Das sind die neuesten Black Friday Deals« oder ähnliches. Auch bei der Fernsehwerbung ist es auffällig, dass im November nicht nur Weihnachten eine große Rolle spielt, sondern ebenso die Black Friday Deals. Diese sind ein Indikator für die Feiertage zum Ende des Jahres, und die Werbung für Geschenke dient dazu, das Weihnachtsgeld abzugreifen. Es wird angeregt, schon Ende November Geld auszugeben, um bestimmte Produkte zu bekommen.
Neben dem Black Friday gibt es immer mehr solcher Tage, die den Konsum ankurbeln sollen. Im Einzelhandel sind es Rabatte zum Ende jeder Jahreszeit oder verkaufsoffene Sonntage. Wie sieht es bei einem Online-Händler wie Amazon aus?
Auch Amazon hat das ausgeweitet. Es gibt den Prime Day, der dieses Jahr im Juli war, und im Oktober noch mal zwei Aktionstage, die sogenannten Prime Deal Days. Das zeigt, diese Tage sind wirklich wichtig für den Umsatz. Bei Amazon wird zudem die Angebotszeit des Black Friday auf den Cyber Monday verlängert. Das ist wie eine Art Feiertag für Amazon mit besonderen Angeboten für die eigenen Produkte, die vielleicht noch günstiger sind als am Black Friday. Damit dominieren sie dann nahezu den kompletten Markt. Zudem werden besondere Angebotspakete gemacht. Für Amazon ist es sehr praktisch, wenn Menschen auf ihrer Plattform einkaufen und dann gleichzeitig noch unternehmenseigene Smart Home Technologie dazubekommen. Sie kaufen beispielsweise die Waschmaschine und bekommen dann ein Echo Dot mit der Software Alexa für ihr Smart Home oben drauf. Das macht es Amazon möglich, Produkte zu platzieren, die wirklich explizit von ihnen selbst hergestellt wurden, wie eben diese Echo Dots. Genau diese Mentalität von »buy one get one free« macht es für Amazon total einfach, gerade Smart Homes auszubauen und ihre Produkte in unseren Haushalten zu platzieren.
Maja-Lee Voigt ist Stadtforscherin und Mitbegründerin des interdisziplinären Kollektivs Akteurinnen für urbanen Ungehorsam in Hamburg. Derzeit forscht sie im Projekt »Automating the Logistical City« an der Leuphana-Universität Lüneburg zu Amazons Bits, Bytes und Boxen. Darüber hinaus widmet sie sich Fragen zum Widerstand gegen algorithmische Architekturen der Unterdrückung und setzt sich akademisch-aktivistisch für gerechtere urbane Zukünfte ein.
Stimmt, Amazon betreibt nicht nur Online-Handel, sondern bietet auch eigene Produkte an. Gibt es weitere Bereiche, mit denen Amazon Geld verdient, die nicht so bekannt sind?
Ja, Amazon ist viel, viel mehr als nur dieses virtuelle Warenhaus, das viele damit assoziieren. Amazon ist ein ganzes Konglomerat riesiger Unternehmen, die sehr viele unterschiedliche Bereiche bedienen. Wichtig ist die Tochtergesellschaft Amazon Web Services (AWS). Es ist das profitabelste Unternehmen für Amazon und finanziert sozusagen den Onlinehandel mit, weil der sich gar nicht zwangsläufig von selbst rentiert. AWS ist ein Cloud Computing Anbieter, der Server und Serverkapazitäten, Netzwerke oder auch verschiedene Datenmanagementdienste betreibt. Diese werden Unternehmen zur Verfügung gestellt, aber auch einige Städte nutzen die Cloud-Services von Amazon und deren Infrastruktur. Die Datenverwaltung, die die Stadt managt, über Planungen, Finanzielles und so weiter, wird plötzlich von einem privaten Unternehmen mit betrieben. Da stellt sich die Frage, inwiefern private Unternehmen in diesen öffentlichen Sektor eingreifen können – oder es schon tun – und damit die Produktion und Förderung von Infrastrukturen und bestimmte Entscheidungen beeinflussen. Es ist wichtig im Hinterkopf zu behalten, dass diese privaten Unternehmen kapitalistische Interessen haben und nach dieser Logik funktionieren. Ich glaube, dass wir das Ausmaß des Einflusses privater Unternehmen auf Städte, auf Länder, auf den öffentlichen Sektor noch nicht wirklich erfasst haben. Da ist es wichtig hinzuschauen, weil das Entwicklungen sind, die uns alle betreffen und die wir eigentlich demokratisch verhandeln sollten. Dafür fehlt uns aber absolut die Einsicht in solche Prozesse und auch eine digitale Alphabetisierung.
Der Einfluss der Unternehmen des Online-Handels auf den öffentlichen Raum ist unübersehbar. Immer öfter auch in Form von riesigen Gebäuden mitten in der Stadt. So wie das höchste Gebäude Berlins, das letzten Monat Richtfest feierte: der Edge East Side Tower, bekannt als Amazon-Tower. Wofür soll er genutzt werden?
Das wird eine Riesengeschäftsstelle an der Warschauer Brücke in Friedrichshain – ein sehr prominenter Ort. Wichtig ist, wenn wir über den Tower in Berlin reden, dass da hauptsächlich Developer*innen sitzen, also der sogenannte White-Collar-Sektor, die Programmierer*innen und Entwickler*innen, die ihre Arbeit am Schreibtisch verrichten, sehr viel am sogenannten »Back End« arbeiten und damit die digitalen Arbeitsbereiche abdecken. Im Gegensatz zum Blue-Collar-Sektor, der sehr körperliche und belastende Arbeit in den Logistikzentren leistet. Da haben wir eine extreme Diskrepanz, eben auch beim damit einhergehenden finanziellen Kapital.
Welche Auswirkungen wird dieses Kapital der Beschäftigten im Amazon-Tower auf den Stadtraum haben?
Wer aus dem White-Collar-Sektor nach Friedrichshain zieht, bringt in der Regel ein gewisses finanzielles Kapital mit. Darin liegt die Angst der Bevölkerung vor Ort oder der Initiativen, die sich darüber gründen. Denn damit einher geht eine Gentrifizierungsbewegung: Bestimmte Räume werden eingenommen, Mieten können bezahlt werden und steigen dementsprechend dann für andere. So finden ganz klassische Verdrängungsprozesse statt. Da stellt sich die Frage: Für wen ist die Stadt eigentlich da, wenn ein bestimmtes Klientel angezogen wird und Menschen mit ähnlicher finanzieller Situation, Berufsbildern und vielleicht auch Weltanschauungen in einen Stadtteil ziehen? Was macht das dann mit der Diversität einer Stadt? Und was machen solche Konzerne damit, die in Wohngebiete reinwalzen und ihren Tower bauen, aber sich damit rühmen, gute Nachbar*innen zu sein? Was meinen sie eigentlich damit? Und wie sehr beschäftigen sie sich mit der Struktur vor Ort und der gewissen Eigenlogik, die eine Stadt oder ein Viertel ja ausmacht?
Neben dem Widerstand, der sich gegen Gentrifizierungsprozesse formiert, gibt es auch konkreten Widerstand gegen Aktionstage wie den Black Friday, mit dem sogenannten Kauf-nix-Tag. Aber auch die Arbeiter*innen bei Amazon haben ihrem Streiktag einen Namen gegeben.
Genau, für Amazon-Arbeiter*innen spezifisch ist das der »Make-Amazon-Pay- Day«. Hierzu ruft eine große globale Initiative aus sehr unterschiedlichen Akteur*innen auf. Der Black Friday, an dem Amazon besonders viel Profit macht, wird in den unterschiedlichen Logistik- und Verteilerzentren immer wieder als Streiktag ausgerufen. Die Arbeit soll niedergelegt werden, um Amazon daran zu hindern, Bestellungen ausliefern, lagern und weiterverarbeiten zu können. Diese globale Initiative ist auch in Deutschland wirksam. Letztes Jahr gab es sehr viele Streiks an unterschiedlichen Standorten von Amazon, und dieses Jahr wird sicherlich wieder zu Streiks aufgerufen. Es ist ein schöner Tag, um auch zivilgesellschaftlich auf Amazon zu schauen und sich zu fragen, was wir individuell dazu beitragen, dass dieser Konzern diese krasse Monopolstellung hat. An dem Tag wird die Bevölkerung aufgerufen, sich solidarisch zu zeigen, zu Demos und Streiks zu kommen und an der Seite der Arbeiter*innen zu stehen, um gegen den Konzern zu protestieren. Es wird auch dazu aufgerufen, am Black Friday nicht unbedingt etwas bei Amazon zu kaufen. Wobei ich sagen würde, dass es letztlich nicht in der individuellen Verantwortung liegt, das Unternehmen zu bestreiken. Das muss viel struktureller und systematischer gedacht werden.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.