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Geothermie in Berlin: Unendlich Wärme aus dem Boden
Alle Parteien befürworten den Ausbau von Geothermie, also Wärmegewinnung durch Erdwärme. Die Finanzierung bleibt jedoch offen
Eine nicht versiegende Ressource, die unabhängig von Jahreszeiten oder geopolitscher Lage angezapft werden kann und auch unter Berlin schlummert: Das klingt zu gut um wahr zu sein, soll aber in den kommenden Jahren zur Dekarbonisierung der städtischen Wärmeversorgung beitragen. So soll im Sinne der Energiewende weniger klimaschädliches Kohlendioxid freigesetzt werden.
Geothermie nennt sich das Verfahren, mit dem die Erdwärme zum Heizen von Wohnungen und Warmwasser genutzt werden kann. Am Donnerstag wurden im Umweltausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses Vertreter aus Wissenschaft, Energieversorgungsunternehmen und Senatsverwaltung angehört, um die Potenziale und Herausforderungen der Technologie für die Hauptstdtadt zu ergründen. Dabei herrscht parteiübergreifend Einigkeit darüber, Schritte zum Ausbau der Geothermieanlagen zu gehen. Fragen gibt es bei der Finanzierung und Planung.
Alle 100 Meter näher am Erdkern steigt die Temperatur der Erde um drei Grad Celsius. Bei der Gewinnung dieser Wärme wird zwischen oberflächennaher und tiefer Geothermie unterschieden. Anlagen mit bis zu 400 Metern Tiefe gelten als oberflächennah und werden bereits an tausenden Standorten in Berlin zum Heizen genutzt. Das sind meist »geschlossene« Systeme: In einem Rohr zirkuliert eine Flüssigkeit und wird im Untergrund erwärmt. So können Temperaturen von bis zu 25 Grad erreicht werden, eine Bohrung kann für das Heizen eines Einfamilienhauses genügen.
In tieferen Gesteinsschichten schlummert dagegen viel größeres Potenzial: Bei tiefer Geothermie wird kilometerweit gebohrt, um an bis zu 100 Grad heißes Wasser zu gelangen. In »offenen« Systemen wird warmes Wasser direkt aus den Erdschichten nach oben und kaltes Wasser wieder nach unten gepumpt. Ist ein Standpunkt gut geeignet, können so mit einer Geothermalanlage tausende Haushalte versorgt werden.
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Im Ausschuss wird das als wichtiger Bestandteil der Berliner Wärmewende gesehen. Denn hier gibt es das größte Fernwärmenetz Westeuropas, zurzeit werden 1,3 Millionen Haushalte beliefert. Doch das ist noch nicht mit den Klimazielen des Senats vereinbar. »50 Prozent des CO2-Ausstoßes werden durch die Wärmeversorgung verursacht«, sagt Johannes Birner von der Senatsverwaltung für Klimaschutz und Umwelt. 90 Prozent der Wärme werden derzeit durch fossile Energieträger gewonnen. Mit einer Dekarbonisierung der Wärmequellen könnten auf einen Schlag tausende Haushalte auf eine nachhaltige Variante umgestellt werden, ohne individuell ihren Anbieter zu wechseln.
Um die Zuverlässigkeit der Technologie zu verdeutlichen, verweist André Deinhardt, Geschäftsführer des Bundesverbands Geothermie, auf das erste deutsche Erdwärmekraftwerk im Megawattbereich: Es wurde 1984 in der DDR in Betrieb genommen und »liefert immer noch zuverlässig Wärme«. Das rechne sich auch finanziell, die Angebotspreise liegen unter denen von fossilen Energieträgern.
Doch wieso werden erst jetzt konkrete Schritte zur weiteren Erschließung des Wärmeschatzes in der Tiefe gegangen? »Wir standen immer in Konkurrenz zu billigem Erdgas«, sagt Birner, der in der Umweltverwaltung die Abteilung Landesgeologie leitet. Um zu den Erkenntnissen der DDR-Politik zu gelangen, braucht es für die BRD anscheinend erst Krieg und wirtschaftsgefährdende Gaspreise.
Ein weiterer Punkt sind die hohen Risikokosten, um herauszufinden, ob ein Standort zur Erdwärmegewinnung geeignet ist. »Investoren sind abgeschreckt, wenn sie Millionen in die Hand nehmen müssen, um überhaupt zu wissen, ob man fördern kann«, sagt Birner. Deinhard ergänzt: »Die Phase der ersten Bohrung birgt das größte Risiko.«
Das Risiko dieser Phase sollen in Zukunft nicht die Unternehmen tragen. »Es ist Aufgabe des Staates, Daten über den Untergrund zur Verfügung zu stellen«, sagt Deinhard. In München sei dies im Rahmen der Geologischen Landesaufnahme mit Bundesmitteln durchgeführt worden. Dies sei für eine gemeinsame Wärmestrategie unerlässlich. Laut Deinhard würde eine separate Untersuchung der einzelnen Aufsuchungsfelder durch verschiedene Energieversorgungsunternehmen (EVU) den Prozess verzögern.
Das sieht auch die Senatsverwaltung so: Sie will den Untergrund des gesamten Stadtgebiets von knapp 900 Quadratkilometern per 3D-Seismik erfassen und ein einziges großes Bergrechtsfeld beantragen. In Kooperation mit kommunalen und privaten EVU sollen dann bis 2028 gleich zwölf Bohrungen realisiert werden.
Laut Landesgeologieleiter Birner sollen die Bohrungen von gemeinsamen Projektgesellschaften aller Akteure durchgeführt werden. Bei Misserfolg sollen diese wieder liquidiert werden, bei Erfolg könne man über den Verkauf an private Interessenten oder eine Dividendenausschüttung an das Land nachdenken. Fraglich ist, wieso Berlin nach dem geplanten Kauf des Wärmenetzes von Vattenfall nicht selbst die risikoarmen Investitionen der späteren Phasen im Prozess übernehmen will, sondern diese Privaten überlässt.
Ein Grund sind die finanziellen Einschränkungen des Landeshaushalts, denn die Senatspläne benötigen 98 Millionen Euro. Sorgen bereitet Deinhardt vom Bundesverband Geothermie das Urteil zum Klimafonds des Bundes, der kürzlich vom Verfassungsgericht in seiner Form als rechtswidrig erklärt wurde. Dadurch seien auch Geothermieprojekte gefährdet. Die Stadtwerke bräuchten trotzdem finanzielle Unterstützung. »Der Bund muss zu seinen Zusagen stehen, um diese Transformation zu ermöglichen«, so Deinhardt.
Zur Anhöhrung eingeladen ist auch Eckard Veil, Geschäftsführer der Energie und Wasser Potsdam GmbH (EWP). In Potsdam hat die EWP nach sechs Monaten Bohrung im Sommer eine Geothermalanlage fertiggestellt. Die erbrachte Leistung übertrifft alle Erwartungen. »Wir haben auf eine Leistung von zwei Megawatt gehofft, erreichen aber deutlich über vier Megawatt«, sagt Veil. Damit könne man ganze 6900 Haushalte mit Wärme versorgen.
Veil sieht gute Kommunikation und Information als zentral an, um Bedenken auszuräumen: »Wenn sie die Bürger nicht dabei haben, funktioniert es nicht.« Das Potsdamer Projekt sei besonders, da es direkt im Wohngebiet liege. Weil ein elektronischer Bohrer verwendet wurde, sei der Lärm minimal gewesen. Veil freut sich: »Wir haben keine einzige Klage bekommen, es ist alles reibungslos verlaufen.« Jetzt wolle die ganze Nachbarschaft ans Fernwärmenetz angeschlossen werden, um von der Erdwärme versorgt zu werden.
»Wir haben gleichzeitig Bohrung und Forschung durchgeführt«, so Veil. Die Eile sei den Fristen für Förderungen geschuldet. Der Genehmigungsprozess muss beschleunigt werden, fordert auch Marko Voß von der Vattenfall Wärme Berlin. »Wir wünschen uns einen priorisierten baurechtlichen Zugang zu Grün- und Brachflächen«, sagt Voß. Dazu sei auch eine engere Kooperation mit den Grünflächenämtern nötig.
Ferat Kocak, Sprecher für Klimapolitik der Linksfraktion, fragt nach den Auswirkungen auf die Umwelt. Johannes Birner von der Umweltverwaltung beschwichtigt, die Anlagen seien ohne Staub oder Lärm praktisch emissionsfrei. Auch für die Trinkwasserbestände gehe von den Bohrungen keine Gefahr aus, sagt Simona Regenspurg vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ). In der Erde unter Berlin gebe es eine meist 80 Meter tiefe Schicht aus dichtem Rupelton. Diese trenne die zur Trinkwasserförderung verwendeten Süßwassereinlagerungen von den heißen Salzwasservorkommen für die Geothermie.
Geothermie ist grundlastgeeignet, kann also kontiunuierlich eine bestimmte Menge an Wärme bereitstellen. Da im Sommer weniger Wärme benötigt wird, sei es sinnvoll, diese zu speichern, so Regenspurg. Dazu könne das Wasser in geeignete Erdschichten hinunter- und bei Bedarf wieder hinaufgepumpt werden. In Adlershof soll ein solcher Speicher in 400 Metern Tiefe kommendes Jahr entstehen.
Bei all den Potenzialen und Vorteilen der Wärmeversorgung durch Geothermie bleibt das Risiko, dass bei der Gewinnung der Erdwärme auch Dinge schieflaufen: In Baden-Württemberg erhoben sich 2007 Teile der Stadt Staufen im Breisgau, nachdem eine Geothermie-Bohrung missglückt war.
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