Rassismus in Brandenburg: Ritas Tod soll nicht ungeklärt bleiben

Organisationen fordern die Generalstaatsanwaltschaft Brandenburg auf, den Fall der mutmaßlich getöteten Geflüchteten zu übernehmen

Aktivistinnen von Pawlo (links) und Women in Exile (rechts und Mitte)
Aktivistinnen von Pawlo (links) und Women in Exile (rechts und Mitte)

Seit über viereinhalb Jahren warten sie auf eine Antwort. Auf die Frage, was mit ihrer Mutter, ihrer Tochter, seiner Partnerin, ihrer Schwester, ihrer Verwandten, ihrer Bekannten Rita geschah. Seit dem Frühling 2019, in dem Rita aus der Gemeinschaftsunterkunft im südbrandenburgischen Hohenleipisch (Elbe-Elster) verschwand.

Die Betroffenenorganisation Women in Exile (Frauen im Exil), die Opferperspektive und der Flüchtlingsrat Brandenburg haben den Fall von Beginn an begleitet, dafür gesorgt, dass er bisher nicht gänzlich aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden ist und darauf aufmerksam gemacht, dass eine Aufklärung noch immer aussteht.

»Wir haben uns gefragt, wie wir in dem ungelösten Mordfall gesellschaftlichen Druck aufbauen können, so dass der Fall endlich aufgeklärt wird«, so eine Aktivistin von Women in Exile am Freitag auf einer Pressekonferenz in Potsdam anlässlich des Internationalen Tages zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen. Sie seien zu dem Schluss gekommen, dass ein wichtiger Schritt eine Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft in Brandenburg an der Havel sei.

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Seit Anbeginn erheben die Geflüchtetenorganisationen Kritik an den Ermittlungsbehörden – am Handeln der Staatsanwaltschaft Cottbus im Besonderen. In dem Beschwerdeschreiben an die Generalstaatsanwaltschaft und die Fachstelle Hasskriminalität der Generalstaatsanwaltschaft heißt es: »Wir wenden uns an Sie mit der Forderung, das Agieren der Staatsanwaltschaft Cottbus in diesem Fall zu überprüfen und den Fall an sich zu ziehen, um endlich die Aufklärung in diesem Fall, in dem es immerhin um einen Tötungsdelikt geht, voranzutreiben.« Das Schreiben wurde von Women in Exile verfasst und wird vom Flüchtlingsrat und der Opferperspektive unterstützt.

Darin heißt es weiter, dass nach Ansicht der Anwält*innen von Ritas Familie gegen einen Tatverdächtigen ein hinreichender Tatverdacht vorliege. Doch bisher gab es weder einen Prozess noch eine Anklage. Stattdessen habe »der zuständige Oberstaatsanwalt in der Presse die Möglichkeit eines Unfalls oder auch eines Suizids in den Raum gestellt«, sagt ein Mitarbeiter der Opferperspektive auf der Pressekonferenz. »Wir haben den dringenden Verdacht, dass eine baldige Einstellung des Verfahrens vorbereitet oder legitimieret werden soll«, schließt er.

Rita Awour Ojungé kommt 2012 aus Kenia nach Deutschland, bekommt zwei Kinder, arbeitet als Au-pair. Ihr Partner, der Vater der Kinder, erhält einen Aufenthalt und die Möglichkeit zu arbeiten. Er zieht nach Berlin. Rita bleibt mit den zwei Kindern in der Unterkunft in Hohenleipisch. Als sie am 7. April 2019 verschwindet, ist sie 32 Jahre alt. Es dauert bis zum 12. Juni, bis ihre Leiche gefunden wird.

Von Anfang an steht der Verdacht im Raum, dass weniger akribisch ermittelt wird als sonst. Über zwei Wochen dauert es, bis die Polizei eine Suchmeldung herausgibt, nochmals zwei Wochen, bis Rita offiziell als vermisst gemeldet wird. Die ersten Suchaktionen verlaufen in zu geringem Umkreis, um die Leiche Ritas zu finden. Gefunden wird sie am 12. Juni in Teilen und verbrannt. In einer von Women in Exile erstellten Chronologie heißt es, die Staatsanwaltschaft Cottbus habe mitgeteilt, dass das Verschwinden von Rita aus Kapazitätsgründen nicht intensiver verfolgt werde. Man ermittle gleichzeitig wegen eines Doppelmords in Forst.

In Cottbus ziehen sich Ermittlungsverfahren besonders lang hin. In einem Fall von rechter Gewalt ist Anfang Oktober erst nach sechs Jahren das Urteil gesprochen worden. Für den Mitarbeiter der Opferperspektive reiht sich der Fall von Rita in die Strafverfolgung in Südbrandenburg ein, in der die Besonderheit von Verfahren im Zusammenhang mit vulnerablen Gruppen und Hasskriminalität nicht gesehen werde.

Die Arbeit von Women in Exile beschäftigt sich nicht in erster Linie mit Einzelfällen wie dem ungeklärten Tod von Rita. »Rita war eine Frau, eine geflüchtete Frau. Wie wir Gerechtigkeit für Rita fordern, fordern wir Gerechtigkeit für alle anderen geflüchteten Frauen«, sagt eine der Aktivist*innen von Women in Exile. Die rassistische und geschlechtliche Dimension der Gewalt, die Rita erlitten habe, sei ein gesellschaftliches Phänomen. »Unsere Schwester hat mehr als sieben Jahre in Deutschland gelebt und allein in der Unterkunft in Hohenleipisch wiederholt auf sexuelle Übergriffe hingewiesen«, sagt eine Sprecherin der panafrikanischen Frauenorganisation Pawlo. Rita hatte sich bei der damaligen Heimleitung über Belästigungen durch den Mitbewohner beschwert, der als tatverdächtig gilt.

Deshalb hat Women in Exile das Datum der Beschwerde und der Konferenz bewusst gewählt. Die Organisation sieht den Tod von Rita und seine bisher unabgeschlossene Aufklärung im Kontext des internationalen Tages für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Die Pressekonferenz steht unter dem Titel »Stoppt Femizide – Justice (Gerechtigkeit) for Rita!«. Als Femizid wird die Ermordung einer Frau verstanden, deren Beweggrund im Frausein des Opfers als solchem oder mit damit einhergehenden Ungleichheiten liegt. Eine Nichtverfolgung der Tötung von Rita sei ein Verstoß gegen die von Deutschland ratifizierte Istanbul-Konvention zur Verhütung, Verfolgung und Beseitigung von allen Formen von Gewalt gegen Frauen, heißt es in dem Beschwerdeschreiben an die Generalstaatsanwaltschaft. Doch in Brandenburg sei die demokratische Kontrolle der staatlichen Akteure kaum vorhanden, sagt der Mitarbeiter der Opferperspektive.

Die Personen auf der Konferenz machen klar: Wäre Rita keine geflüchtete Frau gewesen, dann stünden sie nicht hier. Dann wären Ermittlungen anders gelaufen. Und auch die Gegebenheiten zur Zeit des mutmaßlichen Verbrechens an Rita wären andere gewesen. Die noch immer genutzte Unterkunft in Hohenleipisch – Women in Exile spricht von einem Lager – stand vielfach in der Kritik. Sie liegt außerhalb des Orts mit 2000 Einwohnern in einem Wald, nicht weit von der sächsischen Grenze. Es gibt hier nur die Unterkunft. Zum Verlassen brauchten die Untergebrachten eine Erlaubnis, die Unterkunft wurde daher auch zuweilen Gefängnis genannt. »Women of Exile setzen sich seit 20 Jahren dafür ein, dass eine Unterbringung in Lagern, insbesondere von Frauen und Kindern, aber auch von Queers und Transpersonen, abgeschafft wird«, sagt eine der Aktivist*innen. Aber: »Wir sind weder im Lager noch außerhalb sicher.« »Gerade in diesen Tagen«, stimmt die Sprecherin von Pawlo zu.

Die Staatsanwaltschaft Cottbus teilte auf eine nd-Anfrage zum Stand der Ermittlungen um die mutmaßliche Tötung Ritas lediglich mit: »Die Ermittlungen in dem von Ihnen benannten Verfahren dauern noch an, sodass keine weitergehenden Auskünfte erteilt werden können.«

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