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Friedrichshain-Kreuzberg: Gute Arbeit im Viertel
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat eine bisher einmalige Befragung von Betriebsräten durchgeführt
Einmal musste Romana Wittmer gemeinsam mit dem zuständigen Bezirksstadtrat vermitteln. Die Chefetage einer Firma aus Friedrichshain-Kreuzberg wehrte sich mit Macht gegen die Gründung eines Betriebsrats im Unternehmen. Die Beschäftigten, die sich in ihrem Recht auf ein Mitbestimmungsgremium im Betrieb eingeschränkt sahen, suchten Wittmer auf. Am Ende konnte die Unternehmensführung beschwichtigt und der Betriebsrat gewählt werden. Der existiert noch heute, sagt Wittmer, »und er läuft gut«.
Wittmer ist Beauftragte für Gute Arbeit im Bezirk. Nicht nur für Arbeitsbedingungen im Allgemeinen, auch für Beschäftigte, die einen Betriebsrat gründen wollen oder Beratungsbedarf zur betrieblichen Mitbestimmung haben, hat das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg die Stelle der Beauftragten für Gute Arbeit eingerichtet. Wittmer bekleidet das Amt seit seiner Einrichtung 2019. Auch in Lichtenberg, Pankow und Tempelhof-Schöneberg gibt es solche Beauftragten.
2021 beschloss die Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg, sich dafür einzusetzen, »die Zahl der Betriebe mit aktiver Mitbestimmung im Bezirk zu erhöhen«. Dazu wurde die Beauftragte für Gute Arbeit angewiesen, eine Befragung von Betriebsräten im Bezirk durchzuführen. Die Ergebnisse sollten sodann im bezirklichen Netzwerk für Gute Arbeit – ein Zusammenschluss von Vertreter*innen von Bezirk, Senat, Gewerkschaften, Unternehmen, Jobcentern und Bildungsträgern – diskutiert werden.
Die Ergebnisse der Umfrage liegen nun vor. Asli Karaman, eine Studentin des Wirtschaftsrechts an der Hochschule für Wirtschaft und Recht, hat die Befragung durchgeführt. Vergangene Woche wurden die Ergebnisse präsentiert.
An der Befragung haben 33 Beschäftigtenvertretungen, darunter 23 Betriebs-, neun Personalräte und eine Mitarbeitervertretung teilgenommen. Die Themen, die die Befragten am meisten bewegten, waren die Arbeitszeiterfassung (26), die Einführung neuer Technologien und mobile Arbeit beziehungsweise Heimarbeit (jeweils 25).
Insbesondere bei der Einführung neuer Technologien wünschten sich die Gremien eine Unterstützung durch den Bezirk, aber auch beim Personalmangel und dem Wunsch nach flexiblen Arbeitszeiten. Als Hindernisse nannten etwa die Hälfte der Beschäftigtenvertretungen eine fehlende Durchsetzungsfähigkeit gegenüber dem Arbeitgeber, unzureichende Ressourcen und eine Behinderung der eigenen Arbeit durch den Arbeitgeber.
In ihrem Arbeitsalltag machen sämtliche der Befragten Gebrauch von der Möglichkeit, Betriebsvereinbarungen abzuschließen und Betriebsversammlungen einzuberufen. Gleichzeitig legt die Nutzung der Einigungsstelle von 42 Prozent der befragten Beschäftigtenvertreter*innen eine hohe Konfliktivität im Betrieb nahe. Die Einigungsstelle wird in der Regel von einer der beiden Betriebsparteien, also vom Arbeitgeber oder vom Betriebsrat, angerufen, wenn mit Blick auf ein bestimmtes Vorhaben keine Einigkeit erzielt werden kann. Dann wird eine beschlussfassende Einigungsstelle aus Vertreter*innen der beiden Parteien und einem neutralen Dritten gebildet, um den Konflikt zu beenden.
Studentin Asli Karaman, die die Umfrage durchgeführt und eingeordnet hat, schlägt einige bezirkspolitische Maßnahmen zur Unterstützung der Beschäftigtenvertretungen vor: das Beratungs- und Informationsangebot erweitern, bei Konflikten zwischen den Betriebsparteien unterstützen und die Beauftragte für Gute Arbeit zur zentralen Anlaufstelle für Beschäftigtenvertretungen ausbauen.
Einige Erkenntnisse der Befragung dürften auch den bei der Präsentation anwesenden Gewerkschaftsvertreter*innen ein paar Aufgaben mit auf den Weg gegeben haben. Konkret sicherte Daniel Wucherpfennig, Regionsgeschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Berlin zu, seine Kontakte spielen zu lassen und für die Betriebsratsarbeit relevante Gesetzestexte, die es bisher noch nicht auf Englisch gibt, übersetzen zu lassen.
»Die Sprachbarriere ist für uns das größte Hindernis.«
Betriebsratsvorsitzende
eines Einzelhandelsunternehmens
Ein Betriebsratsmitglied von einem Bildungsträger bemerkt, wenn der Bezirk zur Beratungsstelle für Beschäftigte ausgebaut würde, dann würde ihm ein Argument fehlen, mit dem es für die Gewerkschaft werben kann. Wucherpfennig sagt: Das gewerkschaftliche Angebot können die elf Prozent der Beschäftigten in Anspruch nehmen, die Mitglied in einer Gewerkschaft sind, »doch was ist mit den anderen 89 Prozent?«
Es waren gut zwei Handvoll Vertreter*innen von Betriebsräten aus dem Bezirk zur Präsentation erschienen. »Die Sprachbarriere ist für uns das größte Hindernis«, sagt die Betriebsratsvorsitzende eines jungen Einzelhandelsunternehmens mit Online-Versand. Die Belegschaft sei migrantisch geprägt, die Betriebssprache Englisch. Diese Realität würde sich noch nicht im formellen Rahmen der Betriebsratsarbeit widerspiegeln.
Die Unkenntnis über die Gesetzeslage unter den Kolleg*innen, so stellt sich in der Diskussion heraus, ist aber offenbar kein sprachlich begründetes Phänomen. »Die ist auch bei unseren deutschen Kolleg*innen nicht vorhanden«, sagt ein Betriebsratsmitglied eines IT-Unternehmens. Deshalb sei das immer wiederkehrende Thema Bildung so wichtig und jeden Tag aufs Neue den Kolleg*innen die Bedeutung und die Vorteile der Betriebsratsarbeit zu vermitteln.
Es ist nirgends registriert, wie viele Betriebsräte es tatsächlich gibt. Daher basieren die Aussagen über Entwicklungen oft auf Schätzungen, die auf regionaler Ebene noch ungenauer werden können. Inwieweit Maßnahmen also die Anzahl an Betriebsräten erhöhen können, ist schwer zu bemessen. Zumindest die Umfrage will das Bezirksamt wiederholen.
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