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Alternativer Drogenbericht: Hoher Konsum, kaum Regulierung
Der 10. Alternative Drogenbericht benennt Probleme mit den legalen Substanzen Alkohol und Tabak
Der Alternative Drogen- und Suchtbericht 2023, der in der letzten Woche in Berlin vorgestellt wurde, ist der zehnte in Folge. In früheren Jahren, bis 2021, gab es auch offizielle Berichte der Bundesregierung. Aktuell ist die alternative Version, eine Art Schattenbericht, die einzige Zusammenfassung dieser Art. Herausgegeben wird der Bericht vom Bundesverband Akzept e.V., der sich zu akzeptierender Drogenarbeit und humaner Drogenpolitik bekennt. In dem interdisziplinären Zusammenschluss sind Praktiker, Forscher, Profis und Betroffene vertreten, sowohl Einzelpersonen als auch 62 Einrichtungen und Verbände. Akzept-Vorstand Heino Stöver, der in Frankfurt zu Suchtfragen forscht, hält den Alternativbericht auch zu Zeiten der Ampel-Regierung für nötig: »Hier wurde viel versprochen, aber nicht viel gehalten. Es gibt sehr viel Optimierungsbedarf.«
An einigen Punkten hat sich dennoch einiges getan. Drugchecking, also ein Beratungs- und Testangebot zu meist illegal gehandelten psychoaktiven Substanzen, ist nach einer Gesetzesänderung in Verantwortung der Bundesländer seit dem Sommer möglich geworden. Nina Pritszens vom Berliner Vista-Verbund für integrative soziale und therapeutische Arbeit berichtet von ersten Erfahrungen in der Hauptstadt. »Hier wurden von uns bis jetzt 980 Proben genommen. Ein Drittel war problematisch, unter anderem durch Beimengungen oder zu hohe Wirkstoffkonzentrationen.«
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Der hohe Anteil auffälliger Proben überraschte Pritszens. Sie hält es für nötig, das Angebot auszuweiten, denn: »Die Zielgruppen sind sehr heterogen.« Die Tests müsse es sowohl in Beratungsstellen, mobil in der Nähe von Partystandorten oder Festivals, aber auch in Drogenkonsumräumen geben. An den letztgenannten Orten sei das besonders nötig, denn Menschen, die Drogen intravenös aufnehmen, haben das höchste Mortalitätsrisiko.
Sorgen macht Pritszens und ihren Mitstreitern ein weiteres Thema: die Substitutionstherapie für Konsumenten von Opiaten. 30 Jahre, nachdem dieser Ansatz zum Schutz dieser Menschen eingeführt wurde, werde aktuell nur jeder zweite von ihnen erreicht. Hier geht es unter anderem darum, geeignete Behandler zu finden, da ein großer Teil von ihnen jetzt ins Rentenalter kommt. Das gleichzeitige Angebot einer psychosozialen Begleitung ist nachgewiesen sinnvoll. Geeignete Standorte wie etwa Arztpraxen zu finden, gestalte sich schwierig. Die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach geplanten Gesundheitskioske sieht Pritszens dafür eher nicht als empfehlenswert an. Sie fürchtet etwa, dass diese von den Interessenten überrannt würden, und sieht die Finanzierungslücken bei den Kiosken ohnehin als Problem.
Indessen reden in Sachen Drogenregulierung vor allem viele Politiker ausschließlich von Cannabis, da sich die geplante Freigabe für Erwachsene nun doch auf dem Wege der Gesetzgebung befindet. Während einerseits die Gegner dieses Weges immer wieder lautstark ihre Bedenken äußern, zeigt sich der Soziologe Ingo Ilja Michels optimistisch: »Diese Entwicklung war so nicht zu erwarten.« Das Modell der künftigen Anbauvereinigungen hält jedoch auch Michels, der unter anderem zur Behandlung von Drogenabhängigkeit arbeitet, für überreguliert. Die Hürden für Interessierte seien im jetzigen Gesetzentwurf noch zu hoch. Diese Meinung wurde zuletzt auch bei einer Anhörung im Bundestag vertreten, sodass es am Entwurf aus dem Gesundheitsministerium noch Änderungen in dieser Frage geben soll. Wenn es zeitlich gelingt, das Gesetz noch im Dezember durch den Bundestag zu bringen, könnte es im März in Kraft treten.
Es herrscht Übereinstimmung in der Fachwelt, dass sich hier etwas ändern muss. Die Zahlen sprechen schon länger eine deutliche Sprache: Mehr als 60 Prozent von über 360 000 Betäubungsmittel-Delikten sind durch Erwerb, Besitz oder Vertrieb von Cannabis verursacht, erinnert Michels. Davon wiederum 80 Prozent sind konsumnahe Delikte wie der Besitz kleiner Mengen zum Eigengebrauch. Aber die deutliche Steigerung der Strafverfolgung habe nicht zu einem Rückgang des Konsums geführt. Ebensowenig konnte die Verfügbarkeit der Droge auf diesem Weg reduziert werden.
Das Akzept-Bündnis begrüßt insgesamt die Absicht des Gesetzentwurfs, den verantwortungsvollen Cannabiskonsum zu erleichtern, fordert aber dringend dazu auf, die Erfahrungen anderer Länder einzubeziehen. Die besagen unter anderem, dass der Konsum unter jüngeren Menschen eben nicht zunimmt, wenn, dann im Kreis der über 50-Jährigen. Eine Entwicklung hin zur Legalisierung lässt eine Substanz vermutlich weniger interessant erscheinen, einmal davon abgesehen, dass ihr Gebrauch müde macht.
Ein deutlich größeres Problem sieht der alternative Bericht in der deutschen Politik im Hinblick auf die legalen Substanzen Tabak und Alkohol. Laut Suchtforscher Stöver ist Deutschland auch in diesem Bereich ein Hochkonsumland. Es verfüge aber über wenig Regulierung und eine nur mangelhafte Steuerung des Konsums. Und gerade bei den legalen Drogen will die jetzige Regierung zumindest laut Koalitionsvertrag nichts ändern.
Anders als fast alle europäischen Nachbarn habe Deutschland zum Beispiel keinen nationen Plan der Tabakkontrolle. Stöver fragt, wie Deutschland 2040 rauchfrei werden will (das bedeutet, dass weniger als fünf Prozent der Erwachsenen noch rauchen), während es gegenwärtig noch 35 Prozent Raucherinnen und Raucher in der Bevölkerung gibt. Auf der anderen Seite der Bilanz stehen 127 000 tabakbedingte vorzeitige Sterbefälle und etwa 100 Milliarden Euro volkswirtschaftliche Gesamtkosten des Rauchens, jeweils pro Jahr.
Ähnlich großer Handlungsbedarf bestünde beim Thema Alkohol. Zwar geht der Konsum unter den 12- bis 17-Jährigen zurück, bei den Erwachsenen bleibe er sehr hoch. Nicht nur die Alkoholwerbung, »die nur die angenehmen Seiten dieses Drogenkonsums beleuchtet«, so Stöver, sei omnipräsent. Von ausländischen Besuchern werde oft der Eindruck wiedergegeben, man muss oder man sollte hierzulande Alkohol trinken. Die Trinkkultur von Oktoberfest bis zu den glühweinseligen Weihnachtsmärkten ist stark verwurzelt. Zu danken ist der Zustand auch einer CSU-Drogenbeauftragten der Bundesregierung, die 16 Jahre im Amt war. Der unendliche Spaß für die einen mündet jedoch in Gewalt, alkoholbedingte Straftaten und Verkehrsdelikte – mit unguten Folgen für Betroffene, unter anderem in Form von 74 000 alkoholbedingten vorzeitigen Sterbefälle jedes Jahr.
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