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Autobranche erneut hofiert
Mobilitätswendebündnis kritisiert Nichteinladung zum »Autogipfel« im Kanzleramt
Wieder einmal haben Bundesregierung und Industrie den »Schulterschluss beim Ausbau der Elektromobilität« gesucht. Der Sprecher der Bundesregierung teilte nach dem Treffen im Kanzleramt mit: »Alle Teilnehmenden waren sich einig, dass mit Blick auf den Hochlauf der Elektromobilität, aber auch die digitale Transformation, eine erfolgreiche Zukunft automobiler Wertschöpfung in Deutschland nur gemeinsam erreicht werden kann.«
Im Mittelpunkt des Gesprächs von Regierungschef Olaf Scholz (SPD) insbesondere mit Vertretern der Autokonzerne habe die Frage gestanden, wie das Ziel von 15 Millionen vollelektrischen Pkw bis 2030 in Deutschland erreicht und die Verbreitung dieser Fahrzeuge langfristig gestärkt werden könne, so der Sprecher. Vollelektrische Pkw könnten maßgeblich zur Emissionsminderung und Dekarbonisierung im Verkehrsbereich beitragen. Die Teilnehmer der Runde seien sich einig gewesen, dass die Anschaffungskosten von Elektroautos gesenkt werden müssten.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) begrüßte das »klare Bekenntnis der Automobilindustrie«, auch selbst in Ladeinfrastruktur zu investieren – dies sei beim Gipfel bekräftigt worden. Bislang hatte die Industrie vor allem Bund und Länder aufgefordert, hier in Vorleistung zu gehen.
Am Gipfel nahmen die Vorstandsvorsitzenden der in Deutschland produzierenden Automobilunternehmen sowie Unternehmenschefs der Zulieferbrache, Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaften und Betriebsräte der Unternehmen teil. Außerdem waren Personen aus der Energiewirtschaft, von Halbleiter- und Batterieproduzenten und technischen Wissenschaften dabei.
Die Umweltorganisation Greenpeace protestierte derweil vor dem Kanzleramt mit einer spektakulären Aktion gegen die Fixierung der Ampel-Koalition auf den motorisierten Individualverkehr. Zudem kritisierten im Bündnis für eine sozial gerechte Mobilitätswende zusammengeschlossene Umwelt-, Verkehrs und -Klimaschutzinitiativen die Ausrichtung der Veranstaltung. Die notwendige Transformation des Mobilitätssystems könne nur gelingen, wenn neben Schlüsselbereichen wie Finanzierung und Ausbau von Schiene und öffentlichem Nahverkehr und der Umgestaltung städtischer Verkehrsräume auch die Autoindustrie ihr Potenzial »im Bereich nachhaltigere Mobilität ausschöpft und sich sozial, innovativ und zukunftsgerichtet aufstellt«, heißt es in einem von dem Bündnis soeben veröffentlichten Positionspapier.
Die etwa 750 000 Beschäftigten in der Automobil- und Zulieferindustrie seien von den laufenden und anstehenden Entwicklungen besonders betroffen, so das Bündnis. Arbeitsplätze gehen bereits jetzt in hohem Tempo verloren, etwa 60 000 in den zurückliegenden vier Jahren. Gleichzeitig fehlen qualifizierte Fachkräfte in expandierenden Zukunftsbereichen. »Für eine vorausschauende Beschäftigungs- und Rentenpolitik, Vorbeugung zunehmender Altersarmut sowie breiten gesellschaftlichen Rückhalt« für die notwendige Mobilitätswende sei deren sozialverträgliche und »proaktive Gestaltung unumgänglich«, schreibt das Bündnis. Der Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor müsse politisch eng begleitet und Beschäftigung durch Ansiedlung neuer Schlüsselbereiche gesichert werden.
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Zugleich konstatiert das Bündnis, dass der Absatz von E-Mobilen massiv eingebrochen ist. Sie seien schlicht zu teuer, vor allem Haushalte mit geringem Einkommen würden vom »Antriebswechsel ausgeschlossen«.
Für eine Verkehrswende und eine sozialverträgliche und aktive Gestaltung der Transformation der Automobilwirtschaft fordert das Bündnis unter anderem eine veränderte Modellpolitik hin zu kleinen, ressourcenschonenden und preiswerten Fahrzeugen. Auch kleinere und neue Fahrzeugmodelle für Handwerk, Fuhrunternehmen, Pflegedienstleister und andere sollten gebaut und angeboten werden. Die Ladeinfrastruktur solle schnell und barrierefrei ausgebaut werden.
Sinnvoll wären, so das Bündnis, zudem die am CO2-Ausstoß orientierte Anpassung von Dienstwagenbesteuerung und Kfz-Steuer, die Ausrichtung von Subventionen am produktions- und transportbedingten CO2-Fußabdruck sowie dessen preisliche Berücksichtigung im internationalen Handel. Gefordert werden für kleinere und mittlere Unternehmen Transformationsfonds, die bei Investitionen in die Zukunft helfen.
Solche Liquiditätshilfen müssten zudem an umwelt- und sozialpolitische Bedingungen geknüpft sein. So müssten geförderte Unternehmen tarifgebunden sein und Neuentwicklungen zukunftsweisender klima- wie umweltfreundlicher Produkte aus einer ebensolchen sozialen Produktion stammen.
Gefordert wird eine präventive Strukturpolitik auf Bundes- und regionaler Ebene: In stark von der Automobilwirtschaft abhängigen Regionen können Transformationsnetzwerke aus Industrie- und Handelskammern, Unternehmen, Gewerkschaften, Sozial- und Umweltverbänden sowie weiteren Beteiligten regionale Transformationsstrategien entwickeln. Bisher sind Sozial- und Umweltverbände sowie Klima- und Verkehrsinitiativen weitgehend aus diesen Transformationsnetzwerken ausgeschlossen.
In einigen Fällen werden Standorte hierzulande geschlossen und im Ausland neu aufgebaut, wo geringere Umwelt- und Sozialstandards gelten sowie niedrigere Steuern und Löhne gezahlt werden. Das Bündnis spricht sich ausdrücklich gegen ein solches Vorgehen aus. Denn dieses gefährde massiv den Rückhalt in Bevölkerung und Belegschaften für die dringend notwendige Transformation. Gewerkschaften und Betriebsräte können hier ein Schlüssel für eine nachhaltige Standortsicherung sein.
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