Kampf ums Kirchenasyl tobt in Bremen

Nach einer kürzlich verhinderten Abschiebung droht nun erneut eine Rückführung

Der St.-Petri-Dom ist die Kirche der größten evangelischen Gemeinde Bremens.
Der St.-Petri-Dom ist die Kirche der größten evangelischen Gemeinde Bremens.

In Bremen fehlt die Zeit zum Aufatmen. Noch am Dienstag verbot ein Verwaltungsgericht per Eilantrag die Abschiebung jenes Somaliers, dessen Aushändigung an die Behörden aus dem Kirchenasyl vergangene Woche verhindert werden konnte. Doch nur wenige Stunden später, am Abend desselben Tages, wurde bekannt: Einem weiteren Somalier im Kirchenasyl droht die Rückführung.

Wie die regionale Medienplattform »Buten un binnen« berichtete, handelt es sich dabei um einen 20-jährigen Schutzsuchenden, der nach Spanien zurückgeführt werden soll. Eigenen Angaben zufolge musste er dort auf der Straße leben. »Nicht alle europäischen Länder halten sich an die Asylrechtskonvention«, begründete Bernd Klingbeil-Jahr, Pastor der evangelischen Friedensgemeinde in Bremen, die Entscheidung der Kirche, Schutz zu gewähren. Man wolle die jungen Menschen dabei unterstützen, ihre Asylanträge in Bremen zu stellen, damit diese in Ruhe geprüft werden können.

Klingbeil-Jahr und der Bremer Flüchtlingsrat gehen davon aus, dass dem 20-Jährigen innerhalb der nächsten Tage die Abschiebung droht. Um das zu verhindern, trafen sich dem Verein zufolge am Dienstagabend mehr als 500 Menschen in der Friedensgemeinde. »Es gibt keinen vertretbaren Grund, ein folgenschweres und zugleich symbolpolitisches Exempel zu statuieren«, sagt Gundula Oerter vom Flüchtlingsrat.

»Nicht alle europäischen Länder halten sich an die Asylrechtskonvention.«

Bernd Klingbeil-Jahr Pastor der evangelischen Friedensgemeinde in Bremen

Die verhinderte Abschiebung in der vergangenen Woche hat indes einen Streit zwischen den Parteien losgetreten. Am Mittwoch tagte die bremische Bürgerschaft, das Landesparlament der Hansestadt. Die Sitzung musste zwischenzeitlich unterbrochen werden, weil Zuschauer*innen auf der Tribune Transparente ausrollten und lautstark gegen Abschiebungen protestierten.

Knackpunkt des Konflikts sind die vergleichsweise vielen Fälle von Kirchenasyl in Bremen. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl kam es 2024 in keinem Bundesland so häufig zur Anwendung wie in dem Stadtstaat. Nach Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) waren es 29 Fälle pro 100 000 Einwohner*innen. Hessen, das Bundesland mit der zweithöchsten Zahl, gewährte dem BAMF zufolge in fünf Fällen pro 100 000 Einwohner*innen Kirchenasyl, in mehreren Bundesländern liegt der Schnitt sogar unter einem Fall je 100 000 Einwohner*innen.

»Buten und binnen« zufolge kritisierte Innensenator Ulrich Mäurer (SPD), dass in Bremen das Kirchenasly deutlich überstrapaziert werde. Während der Bürgerschaftssitzung am Mittwoch sagte er demnach: »Ich weiß, in welcher Tradition das steht.« Die Praxis könne aber nur fortgesetzt werden, »wenn weiterhin mit Maß und Ziel dieses Thema kleingearbeitet wird«. Aus der FDP wurden Stimmen laut, die die Sonderstellung von Kirchen gleich ganz abschaffen wollen. »Für das Kirchenasyl in seiner ursprünglichen Form gibt es heute in Zeiten des Rechtsstaats keinen Grund mehr«, so der Abgeordnete Marcel Schröder.

»Der Bruch des Kirchenasyls ist für uns als Linke ein No-Go.«

Sofia Leonidakis Ko-Vorsitzende der Linke-Fraktion in Bremen

Widerrede kam von der Linkspartei, die auch Teil der rot-grün-roten Regierungskoalition ist: »Der Bruch des Kirchenasyls ist für uns als Linke ein No-Go. Das ist nicht im Namen der Linken geschehen«, machte Sofia Leonidakis deutlich. Sie habe »wahnsinnigen Respekt vor den Aktivisten, die die Abschiebung verhindert haben«. An diese wendete sich die Ko-Vorsitzende der Linke-Fraktion direkt: »Danke, dass ihr weitermacht.«

Auch der Flüchtlingsrat bezog zu den Vorwürfen Stellung, in Bremen würden die Regelungen des Kirchenasyls systematisch missbraucht, um eine gesetzeskonforme Abschiebepolitik im Rahmen des Dublin-Verfahrens zu unterwandern. Die Kirchen hätten die Forderungen der SPD längst erfüllt, teilte der Verein mit. »Selbstverständlich handelt es sich bei jedem Kirchenasyl um einen Einzelfall«, heißt es in einer Mitteilung. Denn die Kirchen seien mit jeder einzelnen betroffenen Person im engen persönlichen Kontakt, unterstützten und versorgten sie. »Sie sprechen mit den Betroffenen, hören deren individuelle Gründe, Sorgen, Wünsche und Hoffnungen an und berücksichtigen dies« – etwas, wozu Innensenator Mäurer und Bürgermeister Andreas Bovenschulte (beide SPD) nach Ansicht des Flüchtlingsrats »unfähig« seien. »Ein menschenfeindliches Verfahren nur um der vermeintlichen Ordnung willen umsetzen zu wollen, ist nicht das Vorhaben eines Rechtsstaates, sondern von Schreibtischtätern«, sagt Gundula Oerter im Namen des Vereins.

Religiöse Gemeinden können Geflüchtete in Ausnahmefällen vorübergehend in ihren Räumen aufnehmen, um sie vor Abschiebungen ins Heimatland oder vor Rücküberstellungen im Rahmen des Dublin-Verfahrens zu schützen. Zur Anwendung kommt das Kirchenasyl etwa bei drohenden Menschenrechtsverletzungen. Entscheidet sich eine Gemeinde für diesen Schritt, gewährt sie dem Schutzsuchenden für gewöhnlich Obhut, bis das BAMF das Asylverfahren wieder aufnimmt oder die sechsmonatige Überstellungsfrist abläuft, sodass die schutzsuchende Person in Deutschland einen Asylantrag stellen kann.

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