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Raubbau an Wasser: Grünheide ist überall
Die Wasseraktivistinnen Carolina Vilches und Catalina Huerta über das Recht auf Wasser in Chile und Berlin
Am 17. Dezember 2023 soll in Chile ein Referendum über die vom Verfassungsrat ausgearbeitete und verabschiedete neue Verfassung stattfinden. Im Vorjahr wurde die progressive neue Verfassung der Verfassunggebenden Versammlung abgelehnt. Anstelle der linken Kräfte arbeitete nun die Rechte mit ihrer Mehrheit im Verfassungsrat an einer Alternative zur Verfassung der Diktatur. Was ist von diesem Projekt für das Menschenrecht auf Wasser zu erwarten?
CarolinaVilches: Nichts. Es ist nicht nur die neue Verfassung gescheitert. Es gibt auch kein Momentum mehr für eine neue Verfassung. Die Rechte, die im Verfassungsrat die Mehrheit hat und den neuen Entwurf erarbeitete, wollte und will überhaupt keine neue Verfassung. Als die Linke in der Verfassunggebenden Versammlung die Mehrheit hatte und an dem progressiven Entwurf arbeitete, hatte die Rechte nur ein Ziel: diesen Verfassungsprozess zu zerstören. Das hat sie erreicht. Jetzt ist es ihnen egal, ob ihr neuer Entwurf beim Plebiszit im Dezember angenommen wird oder nicht, denn sie haben mit der Verfassung von 1980 kein Problem. Sie brauchen keine neue Verfassung, sie können mit dem Status quo gut leben, da er ihnen die Privilegien sichert.
Die Verfassung aus der Pinochet-Diktatur steht im Zentrum der politischen Auseinandersetzung zwischen Links und Rechts. In der Verfassung von 1980 ist das Recht auf Privateigentum an der staatlichen Wasserversorgung verankert. Hat das neue Wassergesetz, das die linke Regierung von Gabriel Boric am 25. März 2022 verabschiedet hat, bereits Wirkung gezeigt?
Vilches: Diese Modifikation kam nach elf Jahren endloser Diskussionen und Verzögerungen. Bedauerlicherweise hat das neue Wassergesetz an den strukturellen Ungleichheiten des Wasserzugangs nichts geändert. Bisher waren Wasserrechte sogar vererbbar. Die Änderung führt nun dazu, dass die Gültigkeit der Wassernutzungsrechte auf 30 Jahre verkürzt wird und außerdem ein Neuregistrierungsverfahren eingeleitet wird. Um neue Rechte zu erwerben, muss nachgewiesen werden, dass in den Brunnen tatsächlich Wasser vorhanden ist. Dies bedeutet, dass die neuen Wassernutzungsrechte nicht auf Dauer gelten, nicht vererbbar sind, sondern eine maximale Gültigkeit von 30 Jahren haben. Allerdings sind die meisten Wasserrechte bereits übergeben worden. Und es wurden einst mehr Wasserrechte vergeben, als Wasser zur Verfügung stand. Das heißt der eingeschränkte Zugang zu Wasser für einen Großteil der Bevölkerung überwiegt bei Weitem den Nutzen, den die Beschränkung der Wasserrechte auf 30 Jahre mit sich bringt.
Carolina Vilches (unten) ist Aktivistin bei der chilenischen Umweltbewegung Modatima, die sich für das Recht auf Wasser einsetzt. Sie war gewähltes Mitglied der Verfassunggebenden Versammlung von Juli 2021 bis 2022, deren Entwurf im Plebiszit September 2022 abgelehnt wurde. Catalina Huerta ist Aktivistin bei der chilenischen Umweltbewegung und dort für die internationalen Kooperationen zuständig.
Die Wasserrechtsorganisation Modatima ist in der Provinz Petorca in der Region Valparaíso aktiv. Wie wirkt sich das neue Wassergesetz dort aus?
Vilches: Positiv ist, dass das neue Wassergesetz auch die Möglichkeit einräumt, das Wasser für den menschlichen Verbrauch umzuverteilen. Der Staat kann in die Wasserverteilungsentscheidungen der Wasserrechteinhaber eingreifen. Das geschah von April bis Juli, wo die staatliche Generaldirektion Wasser dafür sorgte, dass ein größerer Anteil des Wassers für den menschlichen Verbrauch in der Stadt Valparaíso zur Verfügung gestellt wurde. Leider greift das neue Wassergesetz nicht weit genug, es beendet die Kommerzialisierung nicht, es beendet die Übernutzung nicht, es beendet nicht den Markt mit dem Wasser als Ware. Im Gegenteil, die Kommerzialisierung wird sogar noch beschleunigt. Wasserrechte können jetzt teuer verkauft werden und wer sie kauft, wird das Wasser um jeden Preis nutzen und es noch stärker übernutzen.
Und zudem sind viele Wassernutzungsrechte an große Infrastrukturprojekte gebunden, die nicht einfach mit einem Blatt Papier widerrufen werden können. Zum Beispiel tiefe Brunnen, Entwässerungsanlagen, große Wassersammelbecken. Denen kann man die Wasserrechte pro forma nehmen, aber sie werden sich davon nicht abschrecken lassen, das Wasser weiter zu nutzen.
Die Verfassung der Diktatur war der Anlass für die Rebellion 2019. Wenn sie bleibt, bedeutet das nicht neuen Konfliktstoff für die chilenische Gesellschaft?
Vilches: Ja. Die soziale und ökologische Krise einschließlich der Wasserkrise gehen ja weiter und verschärfen sich, ebenso die ökonomische Krise bei den Renten im Gesundheits- und Bildungssektor, wo es überall an Geld fehlt. Das verstärkt sich wechselseitig, der Druck wächst und keine Lösung ist in Sicht. Die Antwort kann nur in einem neuen verfassunggebenden Prozess liegen, wo wir Lehren aus dem ersten, gescheiterten Prozess ziehen müssen. Wir brauchen eine neue Mobilisierung, einen neuen Anlauf. Und wir brauchen eine bessere und stärkere politische Kommunikation als beim ersten Anlauf.
Catalina Huerta: Die Rechte hat den Verfassungsprozess gekapert. Das führt zu solchen Absurditäten, dass die Klimakrise keine Rolle mehr spielt, weil sie von der Rechten geleugnet wird. Deshalb gab es im aktuellen Verfassungsprozess keine Hoffnung, das Recht auf Wasser zu verankern.
Die sozialen Bewegungen waren im jetzigen Verfassungsprozess auch nicht mehr durch gewählte Vertreter repräsentiert. Unsere Forderungen nach dem Recht auf Wasser erhielten wir dennoch aufrecht und machten Vorschläge von außen, auch wenn wir wussten, dass die nicht aufgegriffen werden. In den sozialen Bewegungen und den zivilgesellschaftlichen Organisationen wird derzeit diskutiert, ob wir für eine Zurückweisung des neuen Verfassungsentwurfs beim Plebiszit am 17. Dezember aufrufen sollen. Chile braucht eine neue Verfassung, aber keine wie die, die jetzt ausgearbeitet wurde.
Ist das Recht auf Wasser weiter eine Forderung, die von der Bevölkerung trotz des Rückschlages im Verfassungsprozess erhoben wird?
Vilches: Ja. Mehr als 400 000 Familien sind seit mehr als zehn Jahren auf Wasser aus Tankwagen angewiesen. Viele Kommunen werden immer ärmer, weil sie Wasser für die Gemeinden kaufen müssen, die in der Kommune kein Wasser haben. Selbst Babys fehlt es oft an Wasser. Das Menschenrecht auf Wasser wird täglich verletzt. Der Bevölkerung ist das klar und sie fordert es nach wie vor ein. Die Menschen leiden unter Hitzewellen, Wasserknappheit, Rationierung, leeren Zisternen. Der fehlende Zugang zu Wasser erinnert die Menschen also jeden Tag an die Notwendigkeit, eine andere Politik einzufordern.
Ihre Organisation Modatima wurde gegründet, um dieses Wasserrecht zu verteidigen. Welcher Repression sind sie ausgesetzt?
Vilches: Jeder Menge. Das fängt bei politischer Verfolgung an, das reicht von Repressionen bei der Arbeit bis hin zu Morddrohungen. Wir werden als Ökoterroristen diffamiert. Die Geschichte hat gezeigt, dass wir uns davon nicht einschüchtern lassen. Wir sind eine Bewegung, die lebt und weitermacht und aufzeigt, wie Systeme solidarischer Wassernutzung funktionieren können, und bringen die Umweltbildung voran. Unser Vorschlag ist, Wasser ganzheitlich und langfristig zu regulieren, wie es seit Jahrzehnten bei der Verwaltung der ländlichen Wassergenossenschaften der Fall ist. Wir wollen einen Ausweg aufzeigen und nicht nur anprangern.
Huerta: Die Repression hat mit dem Modell zu tun, das die Agrarindustrie hierzulande verfolgt und darüberhinaus. Lateinamerika ist der Subkontinent, wo die meisten Umweltaktivisten ermordet werden, weil sie die Umwelt und die Natur gegen die Monokulturen der Agrarwirtschaft und den Extraktivismus der Bergbaukonzerne verteidigen. Im Norden Chiles ist es die Bergbauindustrie, in der Mitte Chiles ist es die Agrarindustrie und im Süden ist es die Forstwirtschaft, die ihre Interessen auf Kosten der allgemeinen Bevölkerung durchsetzen. Sie üben nicht nur auf Modatima starken Druck aus, sondern auch auf indigene Völker wie die Mapuche, die sich dem Bau von Wasserkraftwerken widersetzen, weil Land der Mapuche dafür enteignet werden soll.
Welche Rolle spielt die Globalisierung im Fall von Petorca und bei anderen sozio-ökologischen Konflikten, wie im Zusammenhang mit der Bergbau- und Forstindustrie?
Vilches: Die Globalisierung erhöht den Druck. Die wachsende Nachfrage im Norden nach Agrarprodukten aus dem Süden wie Avocados verschärft die Wasserknappheit und die Ressourcenkämpfe im Süden. Es findet quasi eine Transnationalisierung von Territorien statt. Die Nachfrage aus dem Norden macht unsere Gebiete transnational und geht über das Leben und über die Gesundheit der Menschen hier hinweg. Das ist eine wichtige Erkenntnis.
Huerta: Das Agrarsystem versucht aus dem Land soviel Profite herauszupressen wie möglich, nicht nur bei der Avocado. Die Menschen in Chile haben sehr wenig Souveränität über die natürlichen Gemeingüter. Das chilenische Entwicklungsmodell basiert auf dem Export und dem wird alles untergeordnet. Dafür werden Enteignungen vorgenommen, keine existenzsichernden Löhne gezahlt, wird das Ökosystem beschädigt.
Wie wirkt sich der Avocodo-Anbau auf die Ernährungssicherheit aus?
Vilches: Die verschlechtert sich. Wasser und Land für den Anbau von Lebensmitteln für die Kleinbauern wird dadurch immer knapper. Ihnen wird Wasser genommen, ihnen wird Land genommen. Viele können nicht mehr genügend Lebensmittel für die Subsistenz produzieren und müssen Nahrungsmittel dazukaufen, wenn sie es sich leisten können.
Huerta: Es gibt Kleinbauern, die aufgeben müssen und in den Bergbau gehen, um überhaupt ihre Familien weiter ernähren zu können. Derzeit formiert sich auch in Berlin Protest zum Beispiel gegen die Tesla-Fabrik in Grünheide für das Recht auf Wasser.
Gibt es Strategien oder Erfahrungen aus Ihrem Aktivismus, die man auch hier in Deutschland anwenden kann?
Vilches: Ich denke schon. Wir machen in Chile Sensibilisierungskampagnen. Was bedeutet der Raubbau an Wasser mittel- oder langfristig? Was können wir tun, um für Transparenz zu sorgen, um zu überwachen, was das Unternehmen tut? Diese Fragen stellen sich bei Tesla genauso wie in Chile bei Agrar- oder Bergbauunternehmen. Wie viel Wasser verbrauchen sie, wie ist die Wasserqualität, wie viel zahlen sie für das Wasser? Wie viele Arbeitsplätze schaffen sie wirklich? Wie ist die Qualität der Arbeitsplätze? Dies sind Fragen, die sowohl auf ökologischer als auch auf sozialer Ebene gestellt werden sollten und die Antworten überprüft. Schlicht, um zu zeigen, welche Auswirkungen der Raubbau am Wasser hat – ob in Chile oder in Berlin.
Was in Zukunft in Berlin passieren kann, lässt sich in anderen Ländern sehen, wo bereits Raubbau am Wasser betrieben wird. Wir kommen von einem Ort, an dem das Wasser über die Maßen ausgebeutet wurde, und das ist es, was in Berlin nicht passieren sollte. Es geht darum, die Wassersicherheit zu erhalten, das ist von nationaler Bedeutung. Ohne Wasser geht nichts, es ist letztendlich eine Frage der nationalen Sicherheit.
Ohne Wasser gibt es bekanntlich kein Leben …
Vilches: Genau. Deshalb müssen die Unternehmen von der Politik dazu gezwungen werden, transparent zu sein und den Gemeinden die Kontrolle zu ermöglichen. Das gilt auch für Tesla. Hier in Petorca haben wir Werkzeuge geschaffen, mit denen wir die Wasserqualität messen und das Wasser schützen können. Die Gemeinden haben sich zu Allianzen zusammengeschlossen, um gemeinsam mehr Schlagkraft für die Durchsetzung des Rechtes auf Wasser zu haben. Das Wasser darf nicht nur von denen in Anspruch genommen werden, die direkt im Umfeld leben. Es muss so verteilt werden, dass alle zu ihrem Recht kommen, ob in Chile oder in Grünheide.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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