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»Grüner« Wasserstoff: Klimaneutrales Wundermittel
»Grüner« Wasserstoff ist elementar für die Energiewende – aber einige Probleme sind ungelöst
Die Stahlindustrie will welchen, die Chemieindustrie sowieso und auch der Bundesverkehrsminister bräuchte welchen für die erträumten »eFuels« – Öko-Kraftstoffe für Autos und Flugzeuge: Es geht um »grünen« Wasserstoff. »Grün« deshalb, weil dieser Wasserstoff ausschließlich mithilfe von Windkraft, Wasserkraft und Solarenergie hergestellt wird. Das Interesse von Politik und Wirtschaft hat vor allem einen Grund: Ohne Wasserstoff lassen sich die fossilen Energieträger Erdöl, Erdgas und Kohle in der Chemie- und Stahlproduktion nicht klimaneutral ersetzen.
Auch wird das leichte Gas als Möglichkeit gesehen, überschüssigen Wind- und Solarstrom zwischenzuspeichern. Denn der fließt nicht immer in dem Umfang, wie er gebraucht wird. So wurden im vergangenen Jahr etwa 8000 Gigawattstunden Strom in Deutschland »abgeregelt« – Strom, den Windkraft- und Fotovoltaikanlagen hätten einspeisen können, der aber wegen fehlender Kapazitäten im Übertragungsnetz nicht genutzt werden konnte.
Andererseits gibt es immer wieder Zeiten, in denen weder genügend starker Wind weht, noch die Sonne scheint. Ideal wäre also, wenn man den überschüssigen Strom für Flauten und die Nachtstunden zwischenspeichern könnte. Batterien sind für große Langzeitspeicher zu kostspielig. Und die Kapazität für die bewährten Pumpspeicherkraftwerke ist weitgehend ausgeschöpft.
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Deshalb will man die Wind- und Solarkraftwerke mit Elektrolyseanlagen koppeln, in denen Wasser mit Strom in Wasserstoff und Sauerstoff gespaltet wird. Den Wasserstoff kann man dann speichern und bei Bedarf in Gasturbinen wieder in Strom umwandeln – so die Idee.
Der Aufbau der nötigen Infrastruktur steht allerdings am Anfang. So sollen die Elektrolysekapazitäten erst bis 2030 auf eine Leistung von zehn Gigawatt ausgebaut werden. Eine Speicherung von Wasserstoff über längere Zeit wäre allerdings nur in den bereits als Erdgasspeicher genutzten unterirdischen Salzkavernen kostengünstig, wie eine Modellrechnung von Tom Brown (TU Berlin) und Johannes Hampp (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung) ergeben hat, die im Fachjournal »Joule« veröffentlicht wurde.
Für Standorte ohne Zugang zu solchen unterirdischen Speichern schlagen die Forscher vor, den Wasserstoff mit CO2 in Methanol umzuwandeln. Das ließe sich mithilfe von Gasturbinen jederzeit in Strom umsetzen. Ferner lässt sich Methanol wie Benzin in Tanks lagern. Das bei der Verbrennung mit reinem Sauerstoff (etwa aus der elektrolytischen Wasserspaltung) entstehende CO2 kann wieder zur Methanolsynthese genutzt werden.
Das würde auch ein weiteres Problem lösen: Die Bundesregierung geht von einem Importbedarf an »grünem« Wasserstoff von 50 bis 70 Prozent aus, wenn Wirtschaft und Verkehr klimaneutral werden sollen. Deswegen bereisten deutsche Politiker im vergangenen Jahr Länder im Nahen Osten und Afrika und warben dort für gemeinsame Investitionen in die Großproduktion von »grünem« Wasserstoff. Der Experte für Ressourcenstrategie Martin Stuchtey riet in einem Gastkommentar im »Handelsblatt« dazu, insbesondere mit Namibia, Mauretanien und Marokko die Zusammenarbeit auszubauen.
Doch während Wasserstoff innerhalb von Europa nach einigen Umrüstungen durch die vorhandenen Erdgasleitungen fließen kann, müsste er aus dem südlichen Afrika oder dem Nahen Osten mit Tankern nach Europa befördert werden. Und das ist bei Wasserstoff mit noch höheren Energieverlusten bei Verflüssigung und Transport verbunden als bei Erdgas.
Da kommen Wasserstoffträger ins Spiel. Einer ist das bereits erwähnte Methanol, weitere wären Methan – gewissermaßen synthetisches Erdgas – und Ammoniak. Bei allen Varianten muss auf die elektrolytische Wasserspaltung noch ein energieaufwendiger Syntheseschritt folgen, sodass nur etwa zwei Drittel der ursprünglichen Wind- oder Sonnenenergie am Ende nutzbar sind.
Bei den ersten beiden Wasserstoffträgern wird CO2 gebunden, und beide sind gut geeignet als Ausgangsstoff für Synthesen in der Chemieindustrie. Letzteres gilt auch für den dritten: Ammoniak wird seit über 100 Jahren als Ausgangsstoff für die Düngemittelindustrie produziert. Allerdings ist die Synthese des giftigen Gases aus Luftstickstoff und Wasserstoff wegen der hohen Temperatur und des hohen Drucks beim Haber-Bosch-Verfahren bislang energieaufwendig.
Durch fortschrittliche Reaktorkonzepte und bessere Katalysatoren lässt sich der Energieaufwand indes etwa halbieren, wie Ouda Salem vom Fraunhofer-Institut für Solarenergiesysteme auf nd-Anfrage sagt. Salem sieht einen wesentlichen Vorteil des »grünen« Ammoniaks darin, dass es gegenüber der konventionellen Synthese mehr CO2-Emissionen einspart, als der Weg über Methan oder Methanol. Den größten Vorteil solcher Energieträger sieht Salem aber im »Dual-Use«-Charakter: Sie können als Ausgangsstoff für die Chemie genutzt werden, aber auch energetisch.
Die Nutzung von Ammoniak in Kraftwerken oder als Kraftstoff sehen Experten wegen des Risikos entstehender klimawirksamer und umweltbelastender Stickoxide kritisch, wie eine Veröffentlichung in den US-amerikanischen »Proceedings of the National Academies of Science« zeigt. Auch Brown sieht für »grünes« Methanol die Hauptanwendung in der Chemie und bei synthetischen Treibstoffen für die Luftfahrt – jedoch nur in geringem Umfang bei der Stromspeicherung.
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