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  • Verschärfte Abschiebungen

Abschiebung auf Verdacht

Die Bundesregierung will mehr Menschen ausweisen, was aus rechtsstaatlicher Sicht fragwürdig ist

  • Simon Zamora Martin
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit dem »Rückführungsverbesserungsgesetz« soll Deutschland noch abweisender werden.
Mit dem »Rückführungsverbesserungsgesetz« soll Deutschland noch abweisender werden.

Dass Menschen alle Aufenthaltstitel entzogen werden und ihnen die Abschiebung droht, obwohl strafrechtliche Ermittlungen mangels Beweisen eingestellt wurden, ermöglicht der Paragraf 54 des Aufenthaltsgesetzes. Während im Strafrecht die Unterstützung von Terrorismus bewiesen werden muss, braucht es im Ausländerrecht nur »Tatsachen, die die Schlussfolgerung rechtfertigen«.

Tatsachen wie die Teilnahme an einer Demonstration oder das Posten einer Fahne auf Social-Media-Kanälen reichen heutzutage offenbar schon aus, um den Verdacht zu begründen und Menschen auszuweisen. Genau diesen aus rechtsstaatlicher Sicht kritischen Paragrafen will die Bundesregierung jetzt erheblich ausweiten. Künftig benötigt die Ausländerbehörde lediglich einen begründeten Verdacht, dass eine Person Mitglied einer »kriminellen Vereinigung« im Sinne des Paragrafen 129 des Strafgesetzbuches angehört oder angehört hat, um diese auszuweisen. »Aus rechtsstaatlicher Sicht ist das sehr problematisch«, sagt Maximilian Pichl »nd«, »weil am Ende die Ausländerbehörde aufgrund von Anhaltspunkten festlegt, wer zu einer kriminellen Vereinigung gehört und wer nicht.« Das sei aber eine strafrechtliche Frage, die eigentlich der Paragraf 129 im Strafgesetzbuch regele, so der Professor für Soziales Recht an der Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden und Rüsselsheim.

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Bekannt ist der Paragraf 129 auch unter dem Namen »Schnüffelparagraf«, weil der Verdacht auf Bildung einer kriminellen Vereinigung umfangreiche Überwachungsmaßnahmen rechtfertigt. Geschaffen wurde er einst in der Kaiserzeit, um Sozialdemokraten aufgrund ihrer Gesinnung zu verfolgen. Jetzt könnte ausgerechnet die Sozialdemokratie den Paragrafen 129 zum Abschiebeparagrafen machen.

Die Voraussetzungen für die Anwendung des Paragrafen 129 würden zurzeit stark heruntergeschraubt, sagt Pichl. Das zeigten auch die Ermittlungen gegen die Letzte Generation. Zuletzt wurde der Paragraf 129 im Jahr 2017 reformiert. Seitdem braucht es nur noch einen losen Organisationszusammenhang, wie beispielsweise eine Chatgruppe und Bagatelldelikte wie den Straftatbestand der Nötigung, für den Angehörige der Letzten Generation verurteilt wurden. Unter diese Bagatelldelikte fallen auch Straftaten, deretwegen oft im Zusammenhang von Demonstrationen ermittelt wird: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung oder Landfriedensbruch.

Seit 30 Jahren ist die Kommunistische Partei Kurdistan (PKK) inzwischen verboten. In den vergangenen Jahren wurde das Verbot noch einmal stark ausgeweitet. Seitdem die kurdischen Milizen YPG/YPJ den Terror des Islamischen Staates in Syrien weitestgehend beendeten, zählen sie für die deutschen Behörden als Ersatzorganisation der als terroristisch eingestuften PKK. Als Nachweis für die Nähe zu verbotenen Organisationen wird die Teilnahme an Demonstrationen oder das Zeigen verbotener Fahnen herangezogen. »Wenn die strafrechtliche Repression nicht greift, wird versucht, über aufenthaltsrechtliche Wege Repression auszuüben«, erklärt Dilan Akdoğan, Sprecherin der Kampagne »PKK-Verbot aufheben«, gegenüber »nd«.

Aber nicht nur politisch aktive Menschen ohne deutschen Pass könnten von der Abschiebereform der Ampel-Koalition betroffen sein. Im August wurde genau dieser Passus im Aufenthaltsgesetz dafür kritisiert, dass er gegen vermeintliche Clankriminelle verwendet werden soll. Nicht nur, weil Innenministerin Nancy Faeser (SPD) den Kampf gegen »Clankriminalität« zu einem Schwerpunkt ihrer Amtszeit deklariert hat. Auch weil die polizeiliche Definition des rassistischen Konstruktes der »Clankriminalität« förmlich auf den Tatbestand des Paragrafen 129 zugeschnitten ist. Zwar solle niemand nur wegen seines Namens abgeschoben werden, teilt das Bundesinnenministerium auf Anfrage von »nd« mit. Aber die Möglichkeit sei nötig, Menschen ohne Verurteilungen auszuweisen, da von der organisierten Kriminalität eine »besondere Gefahr« für die »Sicherheit unseres Landes« ausgehe. Dass sich der Paragraf 129 nicht nur gegen organisierte Kriminalität richtet, wird genauso ignoriert wie Fragen nach den rechtsstaatlichen Problemen.

»Das Gesetz schafft Grundlagen für die Zukunft«, erklärt Pichl. Es könne gut sein, dass es künftig deutlich mehr Strafverfahren nach dem Paragrafen 129 gebe. Die größte Gefahr sieht der Jurist darin, dass die Ausländerbehörden selbstständig Personen kriminellen Vereinigungen zuordnen. »Die Ausländerbehörden dürfen nicht entscheiden, wer als kriminelle Vereinigung eingestuft wird.« Pichl sieht derzeit viele rechtsstaatliche Selbstverständlichkeiten in Erosion begriffen. Das Innenministerium beantwortete auch hier die Nachfrage des »nd« nicht. »Wir laufen Gefahr«, schlussfolgert Pichl, »dass extrem rechte Parteien in den Kommunen und Ländern an die Macht kommen. Ich möchte in diesem Kontext vor Gesetzesverschärfungen warnen, die Parteien wie der AfD entgegenkommen.«

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