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24/7-Unterkunft in Berlin schließt: Zurück in die Notübernachtung
Die ganztägige Notunterkunft der Stadtmission wird wieder als Hotel genutzt – alle müssen raus
»Sie haben uns Plätze angeboten, aber nur zum Schlafen. Ein Freund ist gerade gegangen, der weiß gar nicht, wohin.« Armando hält ein handgeschriebenes Schild hoch, auf dem »Wohnen ist Menschenrecht« zu lesen ist. Damit steht er vor dem Augustinenhof im Bezirk Mitte, wo er ein Jahr lang gelebt hat. Bis zu diesem Donnerstag. Denn die von der Berliner Stadtmission betriebene 24/7-Notunterkunft, in der obdachlose Menschen in den vergangenen zwei Jahren über die gesamte Woche rund um die Uhr leben konnten und Unterstützung erhalten haben, schließt, um künftig wieder als Hotel von der Stadtmission betrieben zu werden. Eine Ersatz-immobilie für den gewünschten Weiterbetrieb der Unterkunft konnte aber nicht gefunden werden. Deshalb hat die Union für Obdachlosenrechte zu einer Kundgebung zur Unterstützung der 88 Bewohner*innen aufgerufen, der sich Armando spontan angeschlossen hat.
»Mir wurde ein Platz in einer Unterkunft in Wannsee reserviert. Das ist sehr weit weg, ich kann da nur nachts bleiben und muss morgens wieder raus. Außerdem muss ich irgendwie meine ganzen Sachen transportieren, die ich hier habe«, sagt Armando zu »nd«. Artur, ein Freund von ihm, ist ebenfalls durch die Schließung der Unterkunft in einer Notsituation: »Ich habe erst kürzlich einen Job gefunden, aber ich habe keine Dokumente. Wie soll ich das machen, wenn ich jetzt wieder auf die Straße muss?«
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Artur fürchtet, dass er den Job direkt wieder verlieren könnte, weil er während des Auszugs aus dem Augustinenhof nicht zur Arbeit erscheinen kann. Aber am schlimmsten ist für ihn die Vorstellung, wieder auf der Straße leben zu müssen. »Hier in der Unterkunft ging es mir gut, hier war ich in Sicherheit. Auf der Straße gehe ich kaputt, da lande ich in ein paar Monaten im Krankenhaus.« Beide Bewohner der 24/7-Unterkunft in der Auguststraße erzählen, dass sie dort gut versorgt wurden. Vor allem hätten die Mitarbeiter*innen vor Ort ihnen sehr weitergeholfen, um zum Beispiel Beschäftigung oder Dokumente zu organisieren oder mit gesundheitlichen Problemen umzugehen. »So viele Menschen hier haben kein Geld, keinen Job. Das war ein gutes Projekt, die Leute hier haben wirklich geholfen«, sagt Artur.
Dass es 24/7-Unterkünfte braucht, um wohnungslosen Menschen tatsächlich nachhaltig weiterzuhelfen und ihnen perspektivisch das Leben in eigenem Wohnraum zu ermöglichen, wird weder von der Stadtmission noch von der Senatssozialverwaltung angezweifelt. So hat der Senat inzwischen auch die Mittel zur Weiterführung der 24/7-Unterkünfte im Haushaltsentwurf eingeplant und die Weiterfinanzierung zugesagt. Bislang wurde das Projekt über EU-Gelder finanziert, die zweijährige Förderung ist aber im November ausgelaufen.
»Unsere Erfahrungen und die Auswertung der bisherigen Arbeit zeigen deutlich, dass das Konzept von 24/7 richtig ist. Obdachlose Menschen brauchen Zeit, nach einem Leben auf der Straße wieder Stabilität zu erreichen, sich den Fragen nach ihrer persönlichen Zukunft zu stellen. Dabei bekommen sie professionelle Unterstützung«, sagt Stefan Strauß, Sprecher der Sozialverwaltung, zu »nd«. Im kommenden Doppelhaushalt seien dafür 4,6 Millionen Euro pro Jahr vorgesehen.
Die Sozialverwaltung habe die Stadtmission dabei unterstützt, ein alternatives Gebäude für den Weiterbetrieb der 24/7-Unterkunft in der Auguststraße zu finden, so Strauß. Offensichtlich bislang ohne Erfolg. Die Stadtmission hatte mitgeteilt, in den vergangenen fünf Monaten nach Immobilien gesucht zu haben. Zwischendurch schien sogar ein Standort für die Hälfte der Bewohner*innen gefunden, doch der Vermieter sprang vergangene Woche ab, kurz vor dem geplanten Umzug. Sie Sozialverwaltung teilt »nd« derweil mit, sie könne mit »Interessensbekundungsverfahren«, also dem Prozess, Immobilien zu finden und Eigentümern mitzuteilen, man wolle diese für 24/7-Unterkünfte anmieten, erst mit Inkrafttreten des Hauhshalts im Januar 2024 beginnen. »Wir wollen, dass es dann schnell geht. Die 24/7-Unterkunft, die die Stadtmission nun schließt, wird angesichts der Wartelisten dringend gebraucht«, sagt Strauß.
Die Stadtmission verkündete am Mittwoch, einen Tag vor dem Auszug der Bewohner*innen, man habe allen ein Angebot zur Unterbingung unterbreiten können. Viele seien schon vor Donnerstag umgezogen, sagt Pressesprecherin Barbara Breuer vor Ort in Mitte. So hätten einige Wohnungen gefunden oder seien in therapeutischen Einrichtungen untergekommen, wie Breuer erklärt. Viele seien auch durch die bezirklichen Wohnhilfen vermittelt und in den Einrichtungen der Obdachlosenhilfe untergebracht worden. Wie viele der 88 Bewohner*innen das sind, kann die Stadtmission-Sprecherin allerdings nicht sagen.
Dass die Stadtmission die 24/7-Unterkunft nicht weiter im Augustinenhof betreiben will, begründet sie mit dem Baurecht. Dieses sehe die Nutzung des Gebäudes als Hotel vor. Nähere Angaben diesbezüglich kann Breuer ebenfalls nicht machen, etwa ob die Nutzung als Notunterkunft in den vergangenen zwei Jahren über eine Sondergenehmigung lief oder ob sich bislang jemand wegen der baurechtswidrigen Nutzung beschwert habe. Auch die Sozialverwaltung äußert sich zu diesen Fragen gegenüber »nd« nicht.
Die Union für Obdachlosenrechte (UfO) kritisiert das Vorgehen der Stadtmission. Ein Bewohner der 24/7-Unterkunft habe noch am Dienstag erzählt, er wisse nicht, wo er nun unterkommen werde. »Wir stehen dafür ein, dass es eine menschenwürdige Unterbringung der 88 Bewohner*innen gibt«, sagt Uwe Mehrtens von UfO. Er selbst habe vorübergehend in Notunterkünften gelebt und sie oft als »abwertend und diskriminierend« wahrgenommen. Die Zimmer erfüllten selten die angemessenen Standards.
Gerade bei Notübernachtungen sei außerdem das Problem, dass sich Menschen dort nur in der Nacht aufhalten können und am Tag die Unterkunft verlassen müssen – so, wie Bewohner Armando es über die Notübernachtung in Wannsee erzählt, die nach Schließung der 24/7-Unterkunft nun seine einzige Perspektive sei. »Wir wollen, dass nachgewiesen wird, wo die Bewohner*innen untergebracht worden sind und auch, wie viele nicht in die angebotenen Unterkünfte gehen wollten«, so Mehrtens.
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