Krieg in Nahost: Katar als Widersprüchlicher Vermittler

In den Verhandlungen mit der Hamas führt kein Weg an Katar vorbei. Doch ganz glücklich ist man im Land mit dieser Rolle nicht.

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 6 Min.

Eine halbe Stunde lang stand Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Mittwoch auf dem Flughafen von Doha in der offenen Flugzeugtür, den Schriftzug Bundesrepublik Deutschland neben sich auf der Außenwand des Regierungsfliegers, wartend darauf, dass ihn jemand in Empfang nimmt und über den roten Teppich leitet. Absicht? Ein Versehen?

Im Fall Katars macht man sich über so etwas nicht so arg viele Gedanken, lächelt es weg. Denn das kleine Land am Persischen Golf ist in der Weltpolitik derzeit unverzichtbar, wird dringend gebraucht. Dass eine Waffenruhe zwischen Israel, der Hamas und dem Islamischen Dschihad samt Austausch von Geiseln und Gefangenen vereinbart wurde, alles ziemlich nach Plan verlief, ist vor allem der Regierung in Katar zu verdanken. Man hat das, was keine der Weltmächte und Deutschland schon gar nicht besitzt: Kontakte. Man findet Gehör, hat die guten Vorschläge zur richtigen Zeit.

Als Israels Regierung vor einigen Jahren diplomatische Beziehungen zu den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Bahrain aufnahm, war in Jerusalem und Tel Aviv Konsens, dass ein Botschafteraustausch mit Katar mehr schaden als nutzen würde. Denn schon da war man sich darüber im Klaren, wie enorm das diplomatische Gewicht der Führung in Doha bei jenen Protagonisten in der Region ist, die weder bei den Vereinten Nationen noch auf irgendeiner anderen internationalen Bühne abgebildet sind. Und die heute oft eine wichtigere Rolle spielen, als Regierungen: Kampfgruppen, Terrororganisationen, in jedem Fall nicht-staatliche Gruppen, die oft de facto staatliche Strukturen unterhalten.

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Schon seit dem Jom Kippur-Krieg hat Israel keinen Krieg gegen einen Staat mehr geführt. Am Anfang war es die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), später wurde sie dann von der Hisbollah im Libanon und der Hamas und dem Islamischen Dschihad in den palästinensischen Gebieten abgelöst. In Doha hat man die Kontakte aufgebaut, die gebraucht werden, um die Dinge zu moderieren.

Was alle, die Regierung Katars eingeschlossen, mit gemischten Gefühlen betrachten. International wirft man Katars Führung vor, eine gefährliche Gratwanderung zwischen Extremismusunterstützung und Diplomatie zu unternehmen. Im Land selbst würde man lieber wieder aus dem Rampenlicht verschwinden und gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) mit gläsernen Hochhausfassaden und gigantischen Stadtplanungsprojekten, als wäre nichts gewesen, unschuldig im Sonnenlicht funkeln.

Aber anders als die Touristenmagnete in den VAE ist man in Katar sehr nah, zu nah ans Feuer geraten. Dass die VAE dank Rüstungslieferungen aus dem Westen bei den Bombardements im Norden des Jemen eine substanzielle Rolle spielten, hat es nie ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit geschafft. Doch Katar ging einen anderen Weg: Den afghanischen Taliban erlaubte man die Eröffnung eines Verbindungsbüros in Doha. Das Politbüro der Hamas durfte gar vollständig nach Katar umsiedeln, als man es anderswo nicht mehr haben wollte.

Und wenn in den vergangenen Jahren Geld gebraucht wurde, um die Lage im Gazastreifen unter Kontrolle zu behalten, dann stand man in Doha auch mal mit einigen Milliarden Dollar bereit. Das Geld war immer mit dem Versprechen versehen, dass man darauf achte, dass es nicht in die Hand der Hamas gerate, keinesfalls in den Waffenbau gesteckt werde. Funktioniert hat das ganz offensichtlich nicht. »Wir sehen mit einigem Frust, dass wir jetzt vom Westen als Terror-Finanzierer dargestellt werden«, sagt ein Mitarbeiter des katarischen Außenministeriums, der nicht namentlich genannt werden möchte: »Dabei ist das auf Bitten Israels und der Vereinigten Staaten passiert.« In Gesprächen mit Vertretern aller Seiten entsteht tatsächlich ein vielschichtiges Bild der Rolle Katars in der Nahost-Politik: Am Anfang wollte man als ein kleines Land ganz groß sein. Heute muss man.

Katar hat das, was keine der Weltmächte besitzt: Kontakte

Die Staaten am persischen Golf befinden sich seit der Islamischen Revolution im Iran in einer besonderen Situation: Man befindet sich genau zwischen den beiden mal mehr, mal weniger verfeindeten Staaten Iran und Saudi-Arabien. Lange Zeit war auch der eigene Öl- und Gaswohlstand von der Straße von Hormus abhängig, einer kleinen Meerenge zwischen dem Oman und Iran. Gleichzeitig suchten die Monarchen auch nach einer Legitimation für ihren Herrschaftsanspruch. Der schnelle Reichtum fügte dem Ganzen ein Übermaß an Selbstbewusstsein hinzu.

In den VAE brachte man das durch die zur Schau gestellte Vorliebe für alles was glitzert zum Ausdruck. In Katar wollte man Weltpolitik machen, und auch gleichzeitig das ganz große Geschäft. Das Geld aus den Öl- und Gaseinnahmen wurde in Unternehmensbeteiligungen, Hotelketten, Fußballclubs und vieles mehr investiert. Das weltpolitische Engagement diente indes auch als Antwort auf die Strategie der iranischen Revolutionsgarden. Diese versuchen, ihren militärischen Einfluss auf die gesamte Region auszuweiten, indem sie Terrorgruppen in vielen arabischen Ländern mit Waffen und Geld unterstützen. Das Engagement Katars war ursprünglich als Gegengewicht dazu gedacht, sollte auch verhindern, dass das eigene Regierungssystem destabilisiert werden könnte.

Denn wie fast alle Staaten auf der Halbinsel befinden sich die Kataris selber in der Unterzahl: Der überwiegende Teil der Bevölkerung besteht aus Gastarbeitern aus asiatischen Ländern. Und damit steht immer die Befürchtung im Raum, dass mit diesen Menschen auch radikale Gruppen im Land Fuß fassen könnten. Wenn schon, dann wolle man das lieber unter Kontrolle haben, so der Mitarbeiter des katarischen Außenministeriums.

Nun ist man froh, dass man den Gaza-Deal aushandeln konnte; immerhin steigert das das Ansehen bei anderen Regierungen. Doch gleichzeitig wird in den Gesprächen auch deutlich, dass man sich damit nicht mehr wohl fühlt: Dass das Massaker am 7. Oktober in Israel wahrscheinlich auch an einem Konferenztisch in Katar geplant wurde, die Sicherheitsdienste davon nichts mitbekommen haben, ist ein Problem an und für sich. Zudem schadet die örtliche Nähe zur Hamas nun dem Ruf Katars, der wegen der Fußballweltmeisterschaft ohnehin schon angeschlagen ist. Wen immer man auch fragt: Am allerliebsten hätte man die Hamas aus dem Land raus.

Aber es gibt aktuell kein arabisches Land, das das Politbüro aufnehmen wollen würde. Und die Regierungen der Vereinigten Staaten und Israels möchten dem Vernehmen nach, dass das Politbüro der Hamas zumindest so lange dort bleibt, wo es ist, bis die Hamas entweder unheilbar geschwächt oder ganz zerstört ist. Denn in Katar weiß man, wo sie ist, hat Gesprächskanäle. Und die sind unverzichtbar. Ohne sie hätte es keine Waffenruhe gegeben, befänden sich alle Geiseln immer noch in Gaza.

Und wenn die Sprache in den Hintergrundgesprächen mit katarischen Regierungsvertretern darauf kommt, dann sieht man, wie die Augen kurz auffunkeln: Auch ein kleines Land könne eine wichtige Rolle spielen. Ob zum Guten, zum Schlechten, was überwiegt, darüber wird die Geschichte entscheiden.

Das Frank-Walter Steinmeier am Flughafen warten musste, lag übrigens auch an der Hamas: Die Regierungsvertreter, die ihn empfangen sollten, hingen am Telefon fest, so die Version der Kataris.

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