- Berlin
- Roman »Der Gaukler«
Zeuge im Luxemburg-Mordprozess
Rainer Raddatz aus Göhlsdorf spürt einem Lebenslauf nach und macht daraus seinen Roman »Der Gaukler«
»Ich kann nur bewundern, Rainer, wie enthusiastisch du dich einem geschichtlichen Thema zuwenden kannst.« Im Bürgertreff des Potsdamer Wohngebiets Waldstadt II herrschte auch noch nach einer Stunde Vortrag eine beinahe andächtige Stille. War man doch im Kreis der Rotfuchs-Gruppe gleichsam durch ein ganzes deutsches Jahrhundert marschiert.
Viele werden sich an das Buch des DDR-Erfolgsautors Harry Thürk »Der Gaukler« erinnern. Schon weniger werden wissen, dass es diesen Titel seit kurzem auch für ein zweites Buch gibt. Autor Rainer Raddatz hat den berühmten Kollegen Thürk, der 2005 starb, noch besucht und für »seinen« eigenen Gaukler-Roman wertvolle Tipps bekommen, wie er sagt. Raddatz, 1950 in Weimar geboren, lebt mit seiner Frau Ute in Göhlsdorf bei Lehnin in Westbrandenburg. Als Rentner ist er seit Jahren einem Fall auf der Spur und begleitet eine Figur durch die Jahre von 1914 bis 1972. So unglaublich es klingt: Dieser Willy Ranke (das ist der im Roman verwendete Name) hatte mit der Ermordung von Rosa Luxemburg zu tun und spielte dabei nach Aussage von Raddatz eine zwielichtige Rolle.
Raddatz sagt: »Mein Held ist eine negative Gestalt.« Die Tochter eines Freundes habe ihm vor vielen Jahren eine Kiste angeboten, die mit Dokumente einer echten Person gefüllt war, die das Vorbild für die Romanfigur des Willy Ranke wurde. Ranke kam im Jahr 1900 in einem proletarischen Milieu zur Welt und verrichtete als junger Mann die schwere Arbeit eines Formers in einer Gießerei. Dann musste er keineswegs unfreiwillig als Soldat im Ersten Weltkrieg dienen.
Drei Bände über diesen Menschen sollten es werden, nun wird Raddatz wohl noch einen vierten schreiben. Denn auch in der frühen DDR spielte Ranke noch eine merkwürdige und undurchsichtige Rolle. Der Autor wollte und konnte keine Biografie dieses Menschen schreiben, den er für einen Spion der politischen Polizei in der kommunistischen Bewegung hält. Aber in einer beeindruckenden Fleißarbeit trug er Zeugnisse aus dessen Leben zusammen, in Archiven von Lausitzer Betrieben, auch in Koblenz, Potsdam und Bremen wurde er fündig, selbst bei der Stasi-Unterlagenbehörde. Der Fantasie von Raddatz oblag es, die Lücken für den Roman so glaubhaft und naheliegend wie möglich zu füllen.
Der echte Willy Ranke trat 1919 nachweislich als falscher Zeuge der Reichswehr beim Luxemburg-Mordprozess auf mit der Behauptung, er habe neben der Kommunistin gesessen auf ihrer letzten Autofahrt, die sie nicht überlebte. Und ein Reservehauptmann Kurt Vogel habe den tödlichen Schuss aus nächster Nähe auf die schon bewusstlos geschlagene Frau abgegeben. Die Geschichtswissenschaft ist heute aber sicher, dass der wirkliche Mörder der Leutnant Hermann Souchon war, dessen Verwandtschaft mit einem Admiral der Kriegsflotte ihn in den Augen einer niederträchtigen Offizierskamarilla als schützenswert einstufte. In diese Kabale einbezogen war damals schon Hitlers späterer Abwehrchef Wilhelm Canaris. So wurde der zweifellos tatbeteiligte Landwirt und Reservehauptmann Vogel von einem Divisionsgericht als Mörder zu einer geringen Strafe verurteilt und von Canaris kurze Zeit später aus dem Gefängnis befreit. Der Soldat Ranke kann aber nicht in diesem Auto gesessen habe, weist Raddatz nach. Er ist auf die Diensteinteilung zum fraglichen Tag gestoßen, die Ranke auf einen ganz anderen Postengang beordert hatte.
Im Nachhinein hätten sich jene, die damals die Fäden in den Händen hielten, gegenüber dem 19-Jährigen erkenntlich gezeigt, mutmaßt Raddatz. Im Unterschied zu Millionen deutscher Soldaten, die noch 1918 demobilisiert und in eine unsichere Zukunft geschickt wurden, bekam er bis August 1919 seinen Sold. Danach beginnt seine Laufbahn bei den Kommunisten. Er lernte Maschine schreiben und empfahl sich als Kolporteur des »Volks-Echos«, der KPD-Zeitung in der Lausitz. Für dieses Blatt verfasste er auch Beiträge. Wenn man aber einbezieht, was sich für die Zeit davor und danach über Ranke in Erfahrung bringen lässt, dann war er damit in einer Position, die der politischen Polizei die Postadressen aller Kommunisten der Region in die Hände spielte.
In seinem nach 1945 für eine Bewerbung verfassten Lebenslauf gab Ranke an, 1933 in einem der »wilden« Konzentrationslager der SA in Leschwitz inhaftiert und gequält worden zu sein. Dafür lassen sich laut Raddatz keinerlei Belege auffinden, auch in vorliegenden Häftlingslisten nicht. »Dort war er nie«, sagt Raddatz. Seine Kenntnisse von den dort herrschenden Zuständen, die Ranke eingehend schilderte, müsste er dann aus anderen Quellen haben. Die sowjetische Besatzungsmacht setzte den vermeintlichen Kommunisten als lokalen Polizeichef ein – und umgehend auch wieder ab, weil er sich des Diebstahls schuldig machte und sich Übergriffe auf die sorbische Bevölkerung erlaubte.
1960 fand ein Prozess wegen staatsfeindlicher Hetze und des Besitzes staatsfeindlicher Schriften statt, die bei Ranke während einer Haussuchung gefunden worden waren. Rankes Sohn Wolfgang war Jahre zuvor von einem Offizier der Kasernierten Volkspolizei erschossen worden. Erkenntnisse dazu gewann Raddatz in Stasi-Unterlagen. Bearbeitet worden sei der Fall damals von der Hauptabteilung 9/11 des Ministeriums für Staatssicherheit, die gebildet wurde, um Naziverbrechen aufzuklären und zu ermitteln, was aus den Tätern geworden war.
Am Ende ist Raddatz mit seinen Nachforschungen noch lange nicht, lässt er wissen. »Mein Held ist kein strahlender«, sagt Raddatz im Bürgertreff.
Rainer Raddatz: Der Gaukler. Das Leben des Willy Ranke. Teil 1: Meineid. Eigenverlag, 12,90 €.
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