Bürgergeld: Rückwärtsgewandt und zukunftsblind

Joachim Rock hält nichts von der Kürzung des Bürgergeldes

  • Joachim Rock
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Bürgergeld ist in diesen Tagen Gegenstand einer hart geführten Kontroverse. Zur Diskussion und nach Auffassung nicht weniger auch zur Disposition stehen die existenzsichernden Leistungen von etwa 5,5 Millionen Menschen, darunter zahlreichen Kindern, und über einer Million weiteren Beziehenden von Mindestsicherungsleistungen. Dass immer dann, wenn es angeblich nicht mehr für alle reicht, zuerst bei den Ärmsten gespart werden soll, ist und bleibt ein Skandal. Es fügt sich aber in das Bild einer Gesellschaft, die seit Jahren von Armut und Ungleichheit auf Rekordniveau gespalten wird, ohne dass die Bundesregierung daraus die notwendige Konsequenz gezogen hätte. Die kann nur lauten: Umverteilung – und das von oben nach unten.

Mit dem Jahreswechsel wird das Bürgergeld ein Jahr alt. Mit seiner Einführung war der Anspruch verbunden, Hartz IV zu überwinden und einen Neubeginn zu wagen. Von Anfang an bestanden Zweifel daran, dass sich in der Praxis mehr als nur der Name ändert. Heute wissen wir: Die Befürchtungen waren berechtigt.

Das Bürgergeld bleibt in elementaren Bereichen rückwärtsgewandt und zukunftsblind. Rückwärtsgewandt, weil mit seiner Einführung das befristete Sanktionsmoratorium vorzeitig beendet und die schwarze Pädagogik des Sanktionsregimes wieder eingeführt wurde. Dies geschah, obwohl gezeigt wurde, dass Sanktionen dazu führen können, dass Menschen langfristig weniger nachhaltig in Arbeit und dabei in schlechtere Jobs vermittelt werden. Rückwärtsgewandt ist auch das Verfahren der Regelsatzbemessung. Die Regelsätze für das laufende und das folgende Jahr beruhen noch auf den Ergebnissen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe aus dem Jahr 2018, die ebenfalls mit Daten aus der Vergangenheit fortgeschrieben wurde. Kommende Preiserhöhungen, etwa durch den Wegfall der Strompreisbremse, bleiben außer Betracht.

Joachim Rock
Foto: paritaet-bw.de

Joachim Rock ist Abteilungsleiter Sozial- und Europapolitik beim Paritätischen Gesamtverband.

Mehr zum Thema: Attacken auf den Sozialstaat – Union und AfD fordern anlässlich der Regierungserklärung von Kanzler Scholz erneut Kürzungen bei Bürgergeld und Kindergrundsicherung

Zukunftsblind sind die Regelungen, weil die für die Arbeitsmarktintegration hinterlegten Mittel in keiner Weise ausreichen, um das Förderversprechen der Bundesregierung einzulösen. Nur etwa sechs Prozent der Bürgergeldempfänger, die einen Job finden, werden durch die Bundesagentur für Arbeit vermittelt, die damit weder ihrem Namen noch ihrem Auftrag Ehre macht.

Arme Kinder leben immer in armen Familien. Die Debatte um das Bürgergeld ist deshalb nicht von der um die Kindergrundsicherung zu trennen. Mit den gegebenen Mitteln steht zu befürchten, dass eine so konzipierte Kindergrundsicherung an der hohen Kinderarmut nur wenig ändert, aber zusätzliche Bürokratie schafft.

Zum Thema: Krieg gegen Arbeitslose – Felix Sassmannshausen zur Forderung nach einer Arbeitspflicht

Die neu aufgeworfene Debatte um ein Lohnabstandsgebot geht in die falsche Richtung. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2010 betont, dass das soziokulturelle Minimum in jedem Fall garantiert werden muss. Der Gesetzgeber hat daraufhin das Lohnabstandsgebot gestrichen. Mit der Einführung und Erhöhung des Mindestlohns und dem Ausbau des Wohngeldes, das zum Jahresbeginn im Durchschnitt von 180 auf 370 Euro im Monat verdoppelt wurde, wobei sich die Zahl der Anspruchsberechtigten verdreifacht hat, wurden Schritte unternommen, einen Lohnabstand durch Erhöhung der Einkommen von Erwerbstätigen sicherzustellen. Dieser Weg muss fortgesetzt werden mit einem Mindestlohn von zumindest 14 Euro und hohen Primäreinkommen. Der derzeit diskutierte Weg, den Lohnabstand zu Lasten der Ärmsten und der Erwerbstätigen gleichermaßen herzustellen, ist ein Irrweg.

Ein Bürgergeld, das seinen Namen verdient, muss sanktionsfrei sein und Armut überwinden. Der Paritätische hat nachgewiesen, dass der Regelsatz 2024 auf mindestens 813 Euro angehoben werden müsste, um aus der Armut zu führen. Armut abzuschaffen, umzuverteilen und ein hohes Einkommensniveau in der Breite zu schaffen, das ist eine Sozialpolitik mit Zukunft.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.