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»Leben einer Tänzerin«: Leben und Sterben in der Boheme
»Leben einer Tänzerin«, Ruth Landshoff-Yorcks Roman einer selbstbewussten Frau in den 1920er Jahren, gibt es in autorisierter Fassung
Die Erde sei dazu geschaffen, dass sie, Lena Amsel, auf ihr spazieren fahre, fasste Klaus Mann nach deren frühem Tod deren Lebensmaxime zusammen. Die Tänzerin Lena Amsel hatte ein aufsehenerregendes Leben und einen ebensolchen spektakulären Tod, als sie 1929 mit ihrem Rennwagen in der Nähe von Paris verunglückte. Diese junge, etwas exaltierte Frau brachte alle Voraussetzungen mit, um in der Zeit der Weimarer Republik berühmt zu werden: Sie war schön, begabt und mit einem unersättlichen Lebenshunger ausgestattet.
In der Berliner und Wiener Boheme wusste sie sich in Szene zu setzen, trat auf Theaterbühnen und in Nachtbars auf, kreierte Tanzabende, ohne eigentlich eine erkennbare Technik zu haben. Reihenweise machte sie die Männer in sich verliebt, konnte sie jedoch stets auch etwas auf Abstand halten. Keinen von ihnen aber ließ sie gleichgültig. Vier- oder fünfmal heiratete sie einen ihrer Verehrer und ließ sich ebenso schnell wieder scheiden. Ihre Moralbegriffe waren andere als die der Männer und der guten Gesellschaft. Sie verkörperte von Kopf bis Fuß den Typus der Neuen Frau, wie er nach dem Ersten Weltkrieg mit der Frauenbewegung entstanden war: unabhängig und mit dem neuen Selbstbewusstsein derer, die nicht mehr nur die Frau eines Mannes sein wollten, schon gar nicht dessen Besitz. Die etwas ganz aus sich selbst machen wollten.
Ruth Landshoff-Yorck erzählte 1933 in einem Roman die Geschichte der jungen Frau Lena Vogel, hinter der die authentische Person der Tänzerin und Schauspielerin Lena Amsel aus einer jüdischen Familie in Lodz steht. Das Buch mit dem ursprünglichen Titel »Roman einer Tänzerin« konnte damals in Deutschland nicht mehr erscheinen. Der Rowohlt-Verlag schickte Landshoff-Yorck die Druckfahnen nach Paris, wo sie sich aufhielt und ihre Korrekturen einfügte, so auch den endgültigen Titel »Leben einer Tänzerin«. Inzwischen wurden bei Recherchen diese Korrekturfahnen aufgefunden, und so gibt der Aviva-Verlag nun kurz vor dem 120. Geburtstag von Ruth Landshoff-Yorck im Januar 2024 die Neuausgabe heraus (nachdem bereits 2002 die Erstausgabe unter dem alten Titel erschienen ist). Die Autorin (1904–1966), eine Nichte des Großverlegers Samuel Fischer, debütierte 1930 mit dem Roman »Die Vielen und der Eine« und hatte sich mit ihren pointierten Feuilletons längst einen Namen gemacht, als die Nazis allem ein Ende setzten.
Besonders das neue Frauenbild und die Revolutionierung der Geschlechterrollen standen dem Ideal der »deutschen Frau«, wie es der Nationalsozialismus propagierte, diametral entgegen. Das konnte nicht gutgehen. Mit Lena Amsel verband Ruth Landshoff-Yorck nicht nur ihre jüdische Herkunft, sie kannten sich auch persönlich in der Berliner Zeit. Beiden gemeinsam ist diese ansteckende Lebenslust, die Klaus Mann einmal als »Genie des Lebens« bezeichnete. Dazu gehörte nicht zuletzt die Freude an schnellen Autos und rasanter Fahrweise.
Als Lena Amsel schließlich Ende der 20er Jahre in Paris lebt und in den beliebten Treffpunkten der Intellektuellen im Montparnasse-Viertel verkehrt, dem Café du Dôme oder dem Coupole, ist sie bald wiederum Mittelpunkt der Künstlerrunden, zu denen neben Malern und Bildhauern auch der Surrealist Aragon gehört (im Roman unter seinem Klarnamen). Ihre früheren Liebhaber, selbst einige der geschiedenen Ehemänner wie der Aristokrat Cerni oder der, der nur »der Dichter« genannt wird, hängen an ihr, aber am meisten wohl an ihren Erinnerungen an sie. Sie ist eine sehr sinnliche Frau, die den Lebensgenuss bejaht und ihre wechselnden Rollen im Leben bewusst ausstellt. Eine, die zugibt, immer nur so lange treu zu sein, »wie es mir irgend möglich ist«.
Ruth Landshoff-Yorck erzählt geistreich, schnell und spritzig, im speziellen Sound der Neuen Frau dieser Epoche. Die besondere Atmosphäre jener Künstlerkreise wird dabei sehr lebendig. Ganz meisterhaft die Szene des Unglücks, als Lena Vogel in ihrem schnittigen, aber zu leichten Bugatti-Rennwagen auf regennasser Straße viel zu schnell unterwegs ist; der Wagen überschlägt sich. Die impulsive, hochdramatische Schilderung, wie die Chauffeurin den Tod unausweichlich auf sich zukommen fühlt: Das ist große, avantgardistische Literatur.
Walter Fähnders, ausgewiesener Kenner der damaligen Literaturszene, hat sich im Aviva-Verlag um die Wiederentdeckung des Werks von Ruth Landshoff-Yorck verdient gemacht, darunter der Band mit Feuilletons aus den 20er Jahren »Das Mädchen mit wenig PS« und der Roman »Die Schatzsucher von Venedig«. In seinem ausführlichen und sehr instruktiven Nachwort verfolgt er die Lebensfäden der Autorin von den Anfängen bis ins US-Exil ab 1937. Auch dort erarbeitete sie sich als Publizistin, Übersetzerin und Theaterautorin einen öffentlichen Raum.
Ruth Landshoff-Yorck: Leben einer Tänzerin. Hg. u. mit einem Nachwort v. Walter Fähnders. Aviva-Verlag, 160 S., geb., 20 €.
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