Erdoğan macht Abstecher nach Athen

Der griechische Präsident und sein türkischer Amtskollege suchen nach Jahren des Konflikts den Ausgleich

  • John Malamatinas, Athen
  • Lesedauer: 5 Min.

Das Treffen zwischen dem griechischen Präsidenten Kyriakos Mitsotakis und seinem türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdoğan an diesem Donnerstag in der Villa Maximos, dem Amtssitz des griechischen Ministerpräsidenten, und die geplante gemeinsame Erklärung der beiden Staatsoberhäupter werden den Ton für die nächsten Schritte der griechisch-türkischen Annäherung vorgeben. Gleichzeitig werden Minister der beiden Regierungen eine Reihe von Abkommen mit dem Ziel einer Verbesserung der Beziehungen zwischen beiden Ländern unterzeichnen.

In einem Exklusivinterview mit der griechischen Tageszeitung »Kathimerini«, 24 Stunden vor seiner Ankunft in Athen, betonte Erdoğan, dass er sich auf »eine neue Seite« auf der Grundlage des »Win-Win-Prinzips« freue. »Kyriakos, mein Freund, wir drohen dir nicht, wenn du uns nicht drohst«, sagte er in Richtung Mitsotakis und fügte hinzu, dass »es kein Problem gibt, das wir nicht im Dialog auf der Grundlage des gegenseitigen guten Willens lösen können«.

Der türkische Präsident relativierte in dem Gespräch auch eine frühere bedrohliche Aussage im Konflikt mit den griechischen Nachbarn. Seine Aussage »Wenn die Zeit kommt, werden wir tun, was nötig ist, wir können plötzlich über Nacht kommen« sei allein auf »terroristische Elemente« gemünzt gewesen, die sein Land bedrohten. Außerdem versprach er die Unversehrtheit der Hagia Sophia zu garantieren, der byzantinischen Kirche in Istanbul, die seit 2020 wieder als Moschee genutzt wird.

Doch zwischen den beiden Staaten steht nicht nur die Hagia Sophia. Die Türkei erhebt im östlichen Mittelmeer Anspruch auf einen Festlandsockel, der unmittelbar an das Küstenmeer Zyperns und an das der griechischen Inseln heranreicht. Griechenland und Zypern machen dort ebenfalls Festlandsockelrechte geltend.

Die daraus resultierenden Spannungen, wie zu den maritimen Grenzen und Bohrrechten für Erdöl und Erdgas, destabilisieren seit Jahren die Region. Griechenland bezichtigte den Nachbarn, mit Forschungsschiffen vor griechischen Inseln illegal Vorkommen zu erkunden. Erdoğans Gasstreit mit den EU-Mitgliedern Griechenland und Zypern einschließlich militärischer Machtdemonstrationen belastete auch immer wieder das Verhältnis zwischen Ankara und Brüssel. Um Zwischenfälle zu vermeiden, die eine Eskalation zum Krieg herbeiführen könnten, vermittelte die Nato zwischen beiden Paktstaaten.

Auf die Frage, ob es möglich sei, sich darauf zu einigen, den Internationalen Gerichtshof mit der Klärung der Fragen in Bezug auf den Festlandsockel zu beauftragen, sagte Erdoğan, dass ein möglicher Vorstoß in diese Richtung weitere Themen umfassen sollte. »Es gibt viele miteinander verknüpfte Probleme, die zusätzlich zum Festlandsockel gelöst werden müssen. Wenn wir uns an die internationale Justiz wenden, sollten wir kein Problem zurücklassen.«

Beim Treffen der Staatschefs wollen beide Seiten als erstes vor allem solche Fragen erörtern, in denen die beiden Länder am ehesten eine Übereinstimmung erzielen können. Dazu gehören gemeinsame archäologische Ausgrabungen, die Einrichtung von Sommerkursen für griechische und türkische Studenten und das Migrationsabkommen.

Der türkische Präsident wird von Konteradmiral Ahmet Kendir, dem Chef der türkischen Küstenwache begleitet, der offenbar eine Schlüsselrolle bei den Plänen spielt. Bilaterale Fragen wie der Austausch von Beamten der Küstenwachen in Lesbos und Izmir gelten schon als weitgehend geklärt, während über eine Visumsregelung für türkische Staatsbürger für einen Aufenthalt bis zu sieben Tagen auf den griechischen Inseln noch verhandelt wird.

Vor einigen Tagen hat sich als einer der Wortführer des rechten Flügels der in Griechenland regierenden Nea Dimokratia Ex-Ministerpräsident Antonis Samaras mit donnernden Worten von der derzeitigen Politik der Villa Maximos distanziert und sich gegen den Besuch Erdoğans ausgesprochen.

Während sich die Regierung zunächst dazu in Schweigen hüllte, lieferte die Ex-Außenministerin Dora Bakoyanni, Schwester von Premier Mitsotakis, umgehend eine Replik. In ihrer Stellungnahme erinnerte Bakoyanni daran, dass während der Samaras-Regierung die Besuche zwischen Griechenland und der Türkei fortgesetzt wurden. »Es gab Kontakte zwischen Samaras und Erdoğan am Rande von Nato-Treffen, sodass alle griechischen Regierungen genau die gleiche Politik verfolgen. Denn das liegt im nationalen Interesse.«

In diesem Puzzle der widersprüchlicher Positionen stellte schließlich Regierungssprecher Pavlos Marinakis gegenüber der Öffentlichkeit noch einmal klar, dass Erdoğans Besuch »ein weiterer wichtiger Schritt in den Bemühungen beider Seiten« sei, das Klima des Dialogs zu konsolidieren. Differenzen seien eine Selbstverständlichkeit. »Es gibt eine Differenz, die wir lösen müssen: Die Definition der ausschließlichen Wirtschaftszone und des Festlandsockels.« Es gebe aber auch viele andere wichtige Fragen, die in dieser Phase der Annäherung diskutiert würden. »Wir gehen in diese Debatten, wie bei jedem wichtigen Treffen dieser Art, ohne die Absicht, auf unsere Souveränitätsrechte zu verzichten«, betonte der Regierungsspecher.

Laut der griechischen Tageszeitung »Kathimerini« werde jeder bilaterale Fortschritt sowohl in Athen als auch von der internationalen Gemeinschaft und vor allem von den Bevölkerungen in den beiden Nachbarländern als ein »Leuchtturm« gesehen. Konstruktive Verhandlungen zum gegenseitigen Vorteil zwischen Griechen und Türken könnten sogar Ausstrahlung zur Bewältigung weiterer Konflikte, vor allem im Nahen Osten und Nordafrika, der sogenannten Mena-Region, entwickeln. »Kathimerini« verweist auf mögliche Lösungen für die palästinensische und die Zypern-Frage – »unter Beachtung der UN-Resolutionen und des europäischen Besitzstandes«.

Weiterer Aufschluss über die politischen Absichten des Präsidenten des Nachbarlandes wurde von der Sitzung des türkischen Ministerrates am Mittwoch erwartet, einen Tag vor dem Besuch in Athen. Die griechische Polizei hat starke Kräfte in der Hauptstadt Athen mobilisiert, die sich während des Staatsbesuchs am Donnerstag in eine »Festung« verwandeln wird. Allein 3500 Polizeibeamte werden die Route des türkischen Präsidenten vom Flughafen »Eleftherios Venizelos« zum Stadtzentrum bewachen. Auch das Demonstrationsrecht wurde zu diesem Anlass eingeschränkt.

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