SPD vor dem Parteitag: Janusköpfige Kanzlerpartei

SPD will »Plan für ein starkes Deutschland« beschließen

Man wolle, dass »Deutschland ein starkes, gerechtes Land ist, das den klimaneutralen Umbau meistert«, schreibt die SPD-Führung auf der Parteitagswebseite zur an diesem Freitag beginnenden Delegiertenkonferenz. Deshalb lege man einen gemeinsam mit Experten aus Gewerkschaften, Wirtschaft und Wissenschaft erarbeiteten »Plan für ein starkes Deutschland« vor. Dessen Kern sollen eine deutlich stärkere Besteuerung von großen Vermögen und Erbschaften sowie Vermögensabgaben in Krisenfällen sein, während »95 Prozent« der Steuerzahler entlastet werden sollen. So will die Parteispitze ein »Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen« und einen »Deutschlandpakt Bildung« finanzieren. Letzterer dürfte angesichts der desaströsen Ergebnisse der am Dienstag vorgestellten Pisa-Studie auf der dreitägigen Konferenz in Berlin breiteren Raum einnehmen.

Die SPD-Kovorsitzende Saskia Esken hatte als Konsequenz aus den deutschen Pisa-Resultaten eine Verfünffachung des von der Ampel-Koalition geplanten Startchancenprogramms zur Förderung von Brennpunktschulen gefordert. Bund und Länder hatten sich im September auf Eckpunkte des Programms geeinigt. Mit diesem sollen ab dem Schuljahr 2024/25 bundesweit 4000 Schulen – das entspricht zehn Prozent aller Einrichtungen – in benachteiligten Lagen gefördert werden.

Streitpunkte auf dem Parteitag dürften die von Regierungschef Olaf Scholz und Innenministerin Nancy Faeser vorangetriebenen Verschärfungen in der Asylpolitik und die Haushaltskrise sein. Manch Delegierter wird sich auch fragen, warum der Leitantrag mit seinen hehren Zielen nicht schon längst Teil der Politik der Kanzlerpartei ist. Zur Begründung für den Leitantrag heißt es, die Bundesregierung habe unter Führung von Scholz »vieles vorangebracht«. Allerdings habe Deutschland in der Vergangenheit zu wenig in die Zukunft investiert. Darüber hinaus werde sein »Wohlstand durch multiple Krisen in der Welt und aggressive Staaten wie Russland angegriffen«.

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Zur Asyl- und Migrationspolitik wurden zum Parteitag fast 60 Anträge eingereicht. Nun hat die SPD-Spitze einen eigenen Leitantrag zum Thema Einwanderung formuliert, in dem sie den Kritikern des Regierungskurses an einigen Stellen entgegenkommt. Der Vorstand spricht sich darin dafür aus, die staatliche Unterstützung zivilgesellschaftlicher Seenotrettungsinitiativen fortzuführen. Weiter fordert er die Erleichterung des Nachzugs von Angehörigen von subsidiär Schutzberechtigten, die eigentlich Teil des Koalitionsvertrags mit Grünen und FDP ist.

Zur Seenotrettung heißt es im Leitantrag, diese sei »eine Verpflichtung aus dem internationalen Seerecht«. Zivile Organisationen, die »diese Aufgabe und humanitäre Verantwortung« übernehmen, dürften deshalb »nicht kriminalisiert werden«. Italien betrachtet Rettungsmissionen ausländischer Hilfsorganisationen in seinen Gewässern als Einmischung in innere Angelegenheiten. Der Bundestag hatte beschlossen, sie mit jährlich zwei Millionen Euro bis 2026 zu fördern.

Bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber wird im Antrag der SPD-Spitze die Förderung einer freiwilligen Ausreise hervorgehoben. Zur zwangsweisen Abschiebung heißt es nur: »Wird die freiwillige Ausreise allerdings abgelehnt, so ist eine Abschiebung erforderlich.« Mehr Tempo wird in dem Antrag lediglich bei der Abschiebung straffällig gewordener Asylbewerber gefordert. »Hier sind unsere Verfahren zu langwierig.«

Im linken SPD-Flügel hatten Äußerungen von Kanzler Scholz für Unmut gesorgt. Er hatte in einem »Spiegel«-Interview erklärt: »Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben.« Die Führung der Jusos hatte das als Forderung »direkt aus dem Vokabular des rechten Mobs« verurteilt.

Der SPD-Ko-Vorsitzende Lars Klingbeil stellte sich hingegen hinter die Äußerungen von Scholz. Der Kanzler habe viel mehr gesagt als den viel kritisierten Satz. Auf dem Parteitag erwartet Klingbeil eine konstruktive Debatte zum Thema. Es sei »sicher, dass die Sozialdemokratie einen Weg vorgibt, der zeigt, dass beides geht: Humanität und Ordnung«, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Gerade werde viel geändert, um Deutschland zu einem attraktiven Einwanderungsland für Fachkräfte zu machen. Andererseits müsse Migration stärker gesteuert werden: »Wir gehen hart gegen kriminelle Schleuser vor und beschleunigen die Verfahren bei Rückführungen. Geflüchtete, die hier eine Bleibeperspektive haben, lassen wir schneller auf den Arbeitsmarkt, weil Arbeit ein wichtiger Schlüssel zur Integration ist.«

Klingbeil warnte zugleich davor, Migration als Bedrohung zu sehen. »Wenn wir nicht auch eine Kultur schaffen, dass Menschen, die wir dringend brauchen, gerne nach Deutschland kommen, dann wird das auch kein starkes Land bleiben«, mahnte er.

Unterdessen fordern die Jusos, dass sich der Parteitag für eine Streichung der Schuldenbremse aus dem Grundgesetz ausspricht. »Es ist gut, dass inzwischen nahezu die ganze SPD begriffen hat, dass die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form fiskalpolitischer Unsinn ist«, sagte der neue Juso-Bundesvorsitzende Philipp Türmer der »Süddeutschen Zeitung« (Donnerstagausgabe). Die von der Parteiführung angestrebte Reform der Regel reiche nicht aus, so Türmer. Andere Industrieländer würden vormachen, dass es ohne ein Verschuldungsverbot besser gehe.

Bereits diesen Freitag wird der 35-köpfige Parteivorstand neu gewählt. Die Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil sowie Generalsekretär Kevin Kühnert hatten schon im Vorfeld angekündigt, erneut für ihre Ämter kandidieren zu wollen.

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