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Ägypten: Ein Autokrat lässt sich wiederwählen
Wahl ohne echte Auswahl: Abdel Fatah Al-Sisi wird in Ägypten Präsident bleiben
Ab Sonntag wählen Ägypterinnen und Ägypter einen neuen Präsidenten. Drei Tage lang können in dem 110-Millionen-Einwohner-Land Stimmen für die vier antretenden Kandidaten abgegeben werden. Im Straßenbild von Kairo deutet allerdings nur wenig darauf hin, dass die Amtszeit von Staatspräsident Abdel Fatah Al-Sisi enden könnte. Plakate des seit der Absetzung des damals amtierenden islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi regierenden Armeegenerals sind seit 2013 an vielen Straßenkreuzungen und in öffentlichen Gebäuden omnipräsent. Nun sind noch einige Wahlplakate dazu gekommen. Bilder der drei anderen, öffentlich kaum bekannten, Kandidaten findet man kaum.
Der logistische Aufwand für die Abstimmung in dem bevölkerungsreichsten Land der arabischen Welt ist immens. 9400 Wahllokale wurden eingerichtet und werden von 15 000 Justizmitarbeitern überwacht, die Armee und Polizei rücken im ganzen Land aus. Vor allem auf der an den Gazastreifen angrenzenden Sinai-Halbinsel und an der südlichen Grenze zu dem Bürgerkriegsland Sudan ist die Lage angespannt.
Bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 hatte Al-Sisi über 97 Prozent der Stimmen erhalten. Politische Beobachter werden nach der für dem 18. Dezember erwarteten Bekanntgabe der Ergebnisse wohl weniger das Wahlergebnis als die Höhe der Wahlbeteiligung als Gradmesser für die Zustimmung zu Al-Sisi werten. Sollte Al-Sisi weniger als die Hälfte der Stimmen erhalten, wäre ein zweiter Wahlgang erforderlich.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Ernsthafte Konkurrenten Al-Sisis konnten an den Wahlen nicht teilnehmen, weil sie sich im Gefängnis befinden oder auf ihren Prozess warten. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch schätzt die derzeitige Zahl der politischen Gefangenen im Land auf 17 000. Und so versuchten Farid Zahran von der Sozialdemokratischen Partei Ägyptens, Abdel-Sanad Yamama von der neu gegründeten Wafd-Partei und Hazem Omar von der Republikanischen Volkspartei über soziale Medien dezent für sich zu werben. Allzu scharfe Kritik an der Regierung, dem Präsidenten oder der Armee, selbst als Post in sozialen Medien, endet schnell in einem Haftbefehl durch die Staatsanwaltschaft. Die seit 2013 andauernde Dominanz des politischen Lebens durch Al-Sisi und der hinter ihm stehenden Armee lässt bisher keine tragfähige politische Opposition zu seinem Regime zu, klagen ins Exil geflohene Aktivisten. Kaum jemand wagt öffentliche Kritik, um einen Besuch der in Ägypten verbliebenen Familie nicht zu gefährden.
Kritische Stimmen über das bereits absehbare Ergebnis der Wahlen sind auch in den Cafes und auf den Straßen Kairos eher die Ausnahme. Die seit der Corona-Epidemie schwächelnde Wirtschaft befindet sich seit Anfang vergangenen Jahres im freien Fall. Das ägyptische Pfund hat seit März 2022 mehr als die Hälfte des Wertes verloren, was die Importe verteuert. Kein Wunder, dass gleichzeitig die Verbraucherpreise deswegen exorbitant gestiegen sind – die Inflationsrate liegt inzwischen auf einem Rekordhoch von über 40 Prozent.
Die Analysten des US-amerikanischen Medienunternehmens Bloomberg haben Ägypten in ihrer Liste für Länder mit drohenden Staatsschuldenkrisen nach der Ukraine auf Platz zwei gesetzt. Ein Expertenteam des Internationalen Währungsfonds wartet auf eine Einladung für die vierteljährlich stattfindende Überprüfung des im vergangenen Jahr gewährten Drei-Milliarden Dollar-Darlehens. Eine der Bedingungen war die bisher nicht umgesetzte Einführung eines freien Wechselkurses. Bisher stützt die Zentralbank nach Möglichkeit das ägyptische Pfund. Ein weiterer Wertverfall könnte die größte Wirtschaftskrise in soziale Proteste verwandeln. Ausgerechnet in der landesweiten und in allen gesellschaftlichen Schichten starken Solidarität innerhalb der Zivilbevölkerung sehen die Sicherheitskräfte eine Gefahr. Auslöser ist eine Pro-Palästina-Demonstration am 20. Oktober auf dem Tahrir-Platz, auf denen einige Teilnehmer regierungskritische Parolen skandierten, ähnlich wie 2011. Seitdem sind pro-palästinensische Demonstrationen untersagt.
»Das Wichtigste an dieser Wahl ist die Zeit danach«, sagt Giuseppe Dentice, Leiter der Mena-Abteilung des Zentrums für Internationale Studien (ISPI). »Al-Sisi muss die Wirtschaftskrise bewältigen und gleichzeitig jegliche Kollateralschäden des Gaza-Krieges verhindern. Der mögliche Massenexodus der Zivilbevölkerung aus dem Gazastreifen ist neben den mittlerweile leeren Sparbüchsen Hauptthema bei Treffen ägyptischer Familien oder enger Freunde. «Jede Beteiligung an der Vertreibung der Palästinenser aus Gaza ist für alle arabischen Herrscher eine große Gefahr», sagt der Taxifahrer Mohamed und schaut auf sein Telefon, auf dem die israelischen Bombardierungen praktisch rund um die Uhr live übertragen werden.
Der Einfluss des von dem katarischen Staat finanzierten Nachrichtensenders wird von den Regierenden in Kairo kritisch gesehen. Die in der katarischen Hauptstadt Doha residierende Hamas hält man in Kairo für einen Ableger der 2013 abgesetzten Muslimbrüder und eine Gefahr. Die mögliche dritte Amtszeit von Abdel Fatah Al-Sisi könnte seine schwerste werden.
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