Abdel Fatah Al-Sisi: »…dann lasst uns nicht essen«

Über Ägyptens Präsident Al-Sisi, seine Unterstützer und die Menschenrechtslage in dem Land

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 6 Min.

Es gibt sie noch, die Politiker mit Visionen und Utopien. Der amtierende ägyptische Staatspräsident Abdel Fatah Al-Sisi ist einer von ihnen: »Wenn der Preis für den Fortschritt und den Wohlstand der Nation darin besteht, zu hungern und zu verdursten, dann lasst uns nicht essen und trinken«, verkündete er Ende September lautstark bei einer Wahlveranstaltung aus seiner neuen Verwaltungshauptstadt, die seit 2015 mitten in der ägyptischen Wüste entsteht. Ist das noch gesunder Größenwahn eines sich im Personenkult weidenden Präsidenten oder schon blanker Zynismus gegenüber der eigenen Bevölkerung? Die ärmsten unter ihnen leiden wegen der schweren Wirtschaftskrise real an Hunger, ein Drittel der Bevölkerung lebt nach offiziellen Zahlen in Armut.

Al-Sisi zeigt sich gerne als Macher, der die Probleme mit Entschlossenheit in die Hand nimmt, häufig mit dunkler Sonnenbrille und in steifer soldatischer Haltung, die der ehemalige General augenscheinlich nicht los wird. Auch die Rolle des sorgenden Landesvaters, der sich um das Wohl seine Bürger kümmert, spielt er gerne. Im Blick hat er dabei zuallererst die Nation und seinen eigenen Ruhm. Ab Sonntag muss er sich der Wiederwahl stellen. Vom 10. bis 12. Dezember sind die Ägypterinnen und Ägypter aufgerufen, ihren neuen Staatschef zu bestimmen, der bis 2030 regieren soll. Aber machen Wahlen überhaupt Sinn, wenn der Sieger schon feststeht? Das fragen sich viele Beobachter, die auf die anstehende Wahl eines neuen ägyptischen Präsidenten schauen. Dabei ist jedem klar: Der Amtsinhaber Abdel Fattah Al-Sisi (69) wird sich selbst beerben. Er gilt als unschlagbar in einem gelenkten politischen System, das Überraschungen ausschließt. Die drei anderen Kandidaten sind nicht viel mehr als Staffage, um zumindest den Eindruck zu erwecken, man könne tatsächlich zwischen verschiedenen Alternativen auswählen. Al-Sisi darf überhaupt nur zum dritten Mal als Präsidentschaftskandidatin antreten, weil 2019 die Verfassung geändert wurde; dazu wurde die Amtszeit von vier auf sechs Jahre verlängert. Bei der vorangegangenen Wahl im Jahr 2018 trat Al-Sisi gegen nur einen Gegenkandidaten an und wurde mit offiziell 97 Prozent der Stimmen wiedergewählt.

Auch diesmal ist ein ähnliches Ergebnis zu erwarten. Die einzige Überraschung könnte die Wahlbeteiligung werden: Bei einer Bevölkerung von rund 110 Millionen Menschen dürfen geschätzt 65 Millionen ihre Stimme abgeben, generell ist aber davon auszugehen, dass die Wählerinnen und Wähler zuhause bleiben. »Ich erwarte, dass die Wahlbeteiligung bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen weiterhin niedrig sein wird und nicht mehr als 50 Prozent der Wahlberechtigten ausmachen wird«, sagte der ägyptische Politikwissenschaftler und Analyst Scherif Mohay El-Din gegenüber der in London ansässigen Nachrichtenwebseite »The New Arab«. Er rechnet damit, dass die Stimmenthaltung das dominierende Wahlverhalten sein werde. »Es ist die dritte Präsidentschaftswahl, bei der Al-Sisi kandidiert, und das Problem seines De-facto-Sieges ist weithin bekannt.«

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Die zentrale Lenkung der Wahl, um einen demokratischen Anstrich zu wahren, macht die ägyptische Journalistin und Analystin deutlich. Sie schreibt auf X (vormals Twitter): »Ein Obstverkäufer in Kairo sagt mir, dass es bei den bevorstehenden Wahlen eine große Wahlbeteiligung geben wird, nicht weil wir wählen gehen wollen, sondern weil es Pflicht sein wird. Alle Staatsbediensteten werden gezwungen zu gehen. Es spielt keine Rolle, wen sie wählen. Sie müssen nur auftauchen.« Sie erwartet »Busladungen von fahnenschwenkenden Regierungsangestellten, die zu den Wahllokalen gebracht werden.«

Der mittlerweile in Berlin lebende ägyptische Wissenschaftler und Aktivist Hossam El-Hamalawy geht davon aus, dass nur noch Armeekreise Al-Sisi unterstützen und geht dabei von mehreren Tausend Unterstützern aus. »Zwischen 2013 und 2015 gab es noch genuine Unterstützung, als Al-Sisi eine rosige Zukunft versprach, Sicherheit und die Wiederbelebung der Wirtschaft«, sagt er gegenüber dem »nd«. Das habe sich grundlegend geändert. Alle Demonstrationen und Kundgebungen für die Regierung seien orchestriert von den Sicherheitsdiensten und den Ministerien, die ihre Mitarbeiter dazu verpflichten würden, daran teilzunehmen. Im Oktober sei eine vom Regime gelenkte Veranstaltung in Matruh am Mittelmeer in Westägypten jedoch ins Gegenteil umgeschlagen, erzählt El-Hamalawy, weil die Leute plötzlich Slogans gegen den Staat gerufen hätten.

Wie groß die Manipulation der Wahl ist zeigt sich auch daran, dass der einzige chancenreiche Oppositionspolitiker Ahmed Al-Tantawi mit juristischen Mitteln daran gehindert wurde, als Präsidentschaftskandidat anzutreten. Ein gegen Tantawi angestrengter Prozess ist nun auf Januar vertagt worden. Gegen Al-Tantawi sowie einige seiner Mitarbeiter wurde Anfang November ein Verfahren eröffnet. 21 Mitarbeiter wurden in Haft genommen.

Um zur Wahl zugelassen zu werden, mussten potenzielle Kandidaten, 25 000 Unterschriften von Wählern sammeln oder die Unterstützung von 20 Abgeordneten bekommen. Al-Tantawi verfehlte diese Ziele. Seine Kampagne rief deshalb dazu auf, inoffizielle Unterstützer-Briefe zu schreiben. Dem ehemaligen Abgeordneten und seinen Mitarbeitern wird jetzt vorgeworfen, die Unterstützer-Papiere ohne Genehmigung der Wahlbehörde gedruckt und in Umlauf gebracht zu haben.

Der 44-jährige Tantawi – ein offener Kritiker der Herrschaft von Al-Sisi – beschuldigt die Regierung, seine Anhänger zu schikanieren, sie an der Einreichung von Kandidaturen zu hindern und sein Telefon abzuhören. Dutzende seiner Anhänger wurden nach Angaben von Menschenrechtsgruppen festgenommen. Ein Bericht des Citizen Lab der Universität Toronto ergab, dass Tantawis Telefon zwei Jahre lang abgehört wurde. Dem Bericht zufolge steckt Kairo »mit hoher Wahrscheinlichkeit« hinter dem Hack.

Human Rights Watch (HRW) hat Al-Sisi wiederholt vorgeworfen, die schlimmste Kampagne gegen die Menschenrechte in der modernen Geschichte des Landes zu leiten. Geschätzt 60 000 politische Gefangene sollen in Haft sein, nach anderen Schätzungen zwischen 20 und 30 000. Die katastrophale Menschenrechtslage in Ägypten ist hinlänglich dokumentiert. Laut eines Amnesty-Berichts vom Januar 2021 über die Haftbedingungen in ägyptischen Gefängnissen wird den Gefangenen gezielt die Erfüllung von Grundbedürfnissen verwehrt. Schätzungen ägyptischer Menschenrechtsgruppen zufolge sind seit 2013 Hunderte Menschen in Gewahrsam gestorben. Die Repressionen gegen die breite Masse der Bevölkerung hätten sich sogar verschlimmert, sagt Hussein Baoumi, der für Amnesty International zur Menschenrechtslage in Ägypten arbeitet.

Al-Sisi ist ein erfahrener Menschenrechtsverbrecher: 2013 war er als Verteidigungsminister der Anführer des Putsches gegen den gewählten Präsidenten Mohammed Mursi. Er habe die Tötung von mindestens 1150 Putschgegnern an einem Tag genehmigt, schreibt die Nachrichtenwebseite »Middle East Eye«. Keiner der Militärs oder Polizisten sei für die Morde angeklagt worden.

Al-Sisi wird nach seiner absehbaren Wiederwahl mit der schweren Wirtschaftskrise zu kämpfen haben. Das Land ist hochverschuldet, rund 160 Milliarden Dollar, und steckt die Kredite des Internationalen Währungsfonds in große Prestigeobjekte wie der neuen Verwaltungshauptstadt oder einem Hochgeschwindigkeitseisenbahnnetz, für das Siemens den Zuschlag erhalten hat.

»Deutschland hat Exportkreditgarantien, sogenannte Hermesbürgschaften, ausgesprochen für Siemens-Geschäfte mit Gaskraftwerken und dem Bahnnetz. Es wäre ein Hebel, um Verbesserungen der Menschenrechtslage einzufordern, bevor man weitere Kreditgarantien verspricht«, sagt Anna Schwarz, Referentin für Nordafrika bei der Heinrich-Böll-Stiftung, gegenüber dem »nd«.

»Die EU müsste auf eine gemeinsame Politik hinwirken und die Menschenrechtsfrage in den Blick nehmen. Aber außenpolitische Entscheidungen der EU müssen einstimmig getroffen werden. Eine gemeinsame Politik bei Rüstungsexporten wäre wünschenswert.« So verkaufe Italien beispielsweise Kleinwaffen an Ägypten, aber es sei schwierig, mit einer rechtsnationalistischen Regierung in Rom darüber zu verhandeln.

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