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Wassermangel in Kirgistan: »Jetzt geht es ums Wasser«
Tropfen um Tropfen: Wie kirgisische Kleinbauern sich auf den Klimawandel einstellen
»Wasser ist das Wichtigste, was die Menschheit hat«, erklärt Baktijar Sydykow. »Wasser ist das Leben.« Das mag banal klingen, aber hier in Zentralasien ist es eine Frage des Überlebens. »Das Wasser wird von Jahr zu Jahr knapper«, fügt er hinzu.
In seinem Leben geht es schon lange um Fragen der Sicherheit und ums Wasser. Als Wehrpflichtiger zu Sowjetzeiten diente er auf einem Kriegsschiff zur See. Nach dem Wehrdienst wurde er Berufssoldat in seinem inzwischen unabhängigen, aber instabilen Heimatland Kirgistan. Nach einem gewaltsamen Umsturz in der Hauptstadt Bischkek im Jahr 2010 kam es im Süden des Landes zu Zusammenstößen zwischen Kirgisen und der usbekischen Minderheit, mit Hunderten von zivilen Todesopfern. Einer der Faktoren, die zur Gewalt beitrugen, waren Konflikte um Zugang zu Wasser. Die neue Regierung tauschte die Militärführung aus, und auch Oberstleutnant Sydykow musste seinen Posten räumen. Es folgten ein paar Jahre als Feuerwehrmann, bevor er sich für ein ruhigeres Leben entschied, in den Vorruhestand ging, ein Grundstück auf dem Land kaufte und anfing, Obst anzubauen.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Angesichts der unruhigen regionalen Sicherheitslage war das vorzeitige Ende von Sydykows Militärkarriere wohl ein Segen. Während es an der kirgisisch-usbekischen Grenze in den letzten Jahren eher ruhig war, sind die Grenzgebiete zum benachbarten Tadschikistan umso instabiler geworden. Im September 2022 kamen Dutzende Zivilisten bei Gefechten zwischen den Sicherheitskräften der beiden Länder ums Leben. Die Kämpfe waren die bisher blutigste Eskalation eines schwelenden Konflikts, der sich ursprünglich an Streitigkeiten um eine an der Grenze befindliche Schleuse entzündete, von der aus Wasser zwischen kirgisischen und tadschikischen Dörfern verteilt wird.
»Es ist die Wasserknappheit, die hinter all diesen Konflikten liegt«, konstatiert Sydykow und blickt auf seine welken Aprikosenbäume in der Nähe des Dorfes Kara-koo. Hinter seinem Haus erheben sich die schneebedeckten Berge des Tienschan-Gebirges, ein paar Kilometer in die andere Richtung liegt der salzhaltige Yssykköl, Kirgistans größter See. Auch hier im Inland, weitab von den Grenzgebieten, wird der Wassermangel zunehmend ein Problem.
Klimaforscher gehen davon aus, dass sich der Klimawandel auf Zentralasien besonders verheerend auswirkt. Da die Winter kürzer werden, kommt Niederschlag immer häufiger in Form von Regen statt Schnee, und die Gletscher der Region, die das Umland im Frühjahr und Sommer mit Süßwasser versorgen, schwinden überdurchschnittlich schnell. Die Autokraten in den zentralasiatischen Hauptstädten haben auf die schon heute herrschenden Wasserkonflikte bisher vor allem mit nationalistischen Gesten reagiert und betonen ihre Bereitschaft, für die Ressource zu kämpfen.
Investitionen in Anpassungen an das sich verändernde Klima, die helfen könnten, bestehende Konflikte zu entschärfen und neue vorzubeugen, sind dagegen oft eher Nebensache. Die Infrastruktur in der Region ist marode, die umfangreichen Bewässerungssysteme aus Sowjetzeiten werden vernachlässigt. Ein beträchtlicher Teil des Wassers versickert und verdunstet auf dem Weg durch die alten Kanäle, bevor es jemals die Gärten und Felder erreicht, die es versorgen soll.
Auch Baktijar Sydykows Obstbäume haben kürzlich darunter gelitten. Am unteren Ende seines Grundstückes verläuft eine knapp ein Meter tiefe Betonrinne sowjetischer Bauart, die ihn und seine bergab gelegenen Nachbarn mit Gebirgswasser versorgt. Diesen Sommer, gerade, als er das Wasser am dringendsten brauchte, war die Rinne trocken. »Ein Stück oberhalb war ein Schaden, der repariert werden musste, was mehrere Wochen dauerte«, erklärt er. Fast hätte er wegen der plötzlichen Trockenheit etwa die Hälfte seines Baumbestandes verloren. Inzwischen fließt das Wasser wieder. Eine brummende Pumpe leitet es aus dem Kanal zu den Obstbäumen hinauf. Noch ist allerdings unklar, ob sich die betroffenen Bäume wieder voll erholen werden. Sydykow hat verschiedene Methoden skizziert, um sich gegen kommende Wasserengpässe zu schützen.
»Hätte ich die Mittel dazu, würde ich dort einen großen Wassertank hinstellen«, sagt er und deutet zum höchstgelegenen Punkt seines Gehöfts. »Von dort würde ich dann Schläuche zur Tröpfchenbewässerung an den Bäumen entlang ziehen.« In den letzten Jahren haben immer mehr Leute in der Umgebung begonnen, ähnliche Systeme zu installieren. Eine davon ist die Rentnerin Upa Tschoitonbajewa im Dorf Tong, eine knappe Autostunde weiter östlich. Sie begann mit dem Gemüseanbau, nachdem sie aus Russland zurückgekehrt war, wo sie 25 Jahre in der Pflege gearbeitet hatte.
»Dort kommt das Wasser vom Tank, und dann wird es hierher geleitet«, erklärt sie munter und zeigt, wie ihr Schlauchsystem durch den Garten verläuft. Stolz präsentiert sie die Ernte ihrer Arbeit: Erdbeeren, Mohrrüben, Knoblauch, Tomaten, Minze, Lavendel und ein ganzes Beet bunter Blumen. Ihr Erfolgsrezept heißt Regenwasser. Die Schläuche werden aus mehreren am Haus aufgestellten Plastiktanks und -tonnen versorgt, die wiederum aus der Regenrinne gespeist werden. »Das Prinzip ist einfach«, sagt sie und hält eine Handvoll dunkelrote Paprikaschoten hoch.
In diesem trockenen Gebiet spielte der Gemüseanbau lange Zeit keine besondere Rolle. Zu Sowjetzeiten drängte man die nomadischen Kirgisen dazu, sich in großangelegten Viehkolchosen zusammenzuschließen, von denen die meisten Menschen hier am Südwestufer des Yssykköl bis zur Unabhängigkeit Kirgistans im Jahr 1991 lebten. Die Gemüsebeete, die viele nebenbei anlegten, waren in der Regel rudimentär, die Ernährung entsprechend einförmig, und die Abhängigkeit von importierten Lebensmitteln groß. Heute dagegen sehen es viele als sinnvoll an, sich tatsächlich mit Obst, Gemüse und Kräutern selbst zu versorgen. Damit wollen sie einen Beitrag für die eigene Lebensmittelsicherheit leisten, was jedoch umfassende kollektive Lernprozesse erfordert.
Eine lokale Schlüsselfigur dabei ist Tschoitonbajewas Cousin. Bakyt Tschoitonbajew ist ein ehemaliger Bauarbeiter und schon lange in der Umweltbewegung aktiv. Ein Auto hat er, wie er stolz erzählt, schon seit 30 Jahren nicht mehr. Heute ist er regionaler Koordinator der kirgisischen Umweltorganisation El-too. Der Signalton seines Handys ist ein klangvoller Wassertropfen. Und weil er ständig mit verschiedenen Kleinbauern chattet, die El-too besucht und bei der Finanzierung unterstützt, klingt er selber ein wenig wie eine der Regentonnen seiner Cousine, in die morgens der Tau Tropfen um Tropfen hineinfällt.
Bakyt Tschoitonbajew unterstützt die Dorfbewohner dabei, von der globalen Permakulturbewegung entwickelte Anbaumethoden zu erlernen. Ein Leitgedanke dieser Philosophie ist, dass der Gartenbau im Einklang mit den natürlichen Begebenheiten vor Ort sein soll. Ökosysteme und Kreisläufe der Natur dienen als Vorbild, eine natürliche Vielfalt soll bewahrt werden. Die Kleinbauern setzen wie Upa Tschoitonbajewa auf Mischkulturen statt auf einseitigen Anbau. Sie arbeiten mit der Natur, nicht gegen sie. Damit schaffen sie nachhaltige Strukturen, die auch ihrem eigenen langfristigen Wohlergehen dienen. Neben der Nutzung von Regenwasser gehört beispielsweise auch die Verwertung von Schafwolle als Mulch dazu. Dieses sonst ungenutzte Nebenprodukt hilft, den Boden feucht zu halten und spendet gleichzeitig Nährstoffe. In der Praxis besteht Tschoitonbajews Arbeit größtenteils daraus, einen Wissensaustausch unter den örtlichen Dorfbewohnern zu unterstützen. »Wir tasten uns beim Gartenbau gemeinsam voran«, erklärt er. »Die Leute tauschen sich untereinander aus, was am besten funktioniert.«
Ein Projekt, auf das er derzeit große Hoffnung setzt, läuft gerade in einer steinigen Schluchtenlandschaft in der Nähe der Ortschaft Tong an. In dem Gebiet namens Mandschily gibt es ein paar kleine Süßwasserquellen, die von den Dorfbewohnern nach vorislamischem Brauch als heilig betrachtet werden, zum Gemüseanbau aber kaum reichen. Eine Gemeinschaft lokaler Familien, die sich dem Schutz des Gebietes und der Entwicklung kleiner, umweltfreundlicher Landwirtschafts- und Tourismusunternehmen verschrieben hat, baut hier nun einen Regenwasserdamm. Wenn es nämlich regnet, dann läuft das Wasser gewöhnlich in kräftigen, kurzlebigen Bächen zum See hinab. Der etwa zwei Meter hohe Wall, den der Verein in einer der örtlichen Schluchten baut, soll das Ablaufwasser auffangen.
»Hier soll sich das Wasser dann sammeln, und sollte für etwa einen Monat Tröpfchenbewässerung reichen«, erzählt Tschoitonbajew begeistert. »Der Schlamm, der dabei mit angespült wird, sinkt zu Boden und lässt sich ausgezeichnet in der Töpferei verwenden«, fügt er hinzu. Solche kleineren Regenwasserreservoire sieht Tschoitonbajew als wichtigen Baustein zur Lösung des Wassermangels in der Region. Er hat die Methode unter anderem auch schon mit Sydykow besprochen. Dieser hofft, dass eine ähnliche Konstruktion auf seinem Grundstück ihn und seine Obstbäume völlig unabhängig von dem unzuverlässigen Gletscherwasser der maroden öffentlichen Bewässerungsinfrastruktur machen könnte.
»Die Forscher sagen, dass unsere Gletscher schon in 30 Jahren verschwunden sein könnten. Das ist eine unheimlich gefährliche Entwicklung«, sagt Tschoitonbajew. »Im 19. Jahrhundert führte man Krieg ums Gold, im 20. Jahrhundert ums Öl. Jetzt geht es ums Wasser. Wir müssen auf den Regen hoffen.«
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