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Frankreich: Atomares Fass ohne Boden
In Frankreich wird die Kernkraft zunehmend zur finanziellen Belastung für Staat und Stromkunden
Die Mär vom billigen Atomstrom in Frankreich endet. Die Regierung und der Energieriese EDF einigten sich darauf, den Preis für Strom aus den Atommeilern im Land im Jahr 2026 um 67 Prozent auf 70 Euro pro Megawattstunde (MWh) zu erhöhen. Damit nähert sich der zweitgrößte Stromproduzent weltweit einem kostendeckenden Preis. »Die EDF tritt ins 21. Jahrhundert ein«, sagte Wirtschaftsminister Bruno Le Maire zur Vereinbarung mit dem Konzern.
Demnach wird der Strompreis bei sieben Cent pro Kilowattstunde (kWh) liegen. Hinzu kommen die Mehrwertsteuer (20 Prozent), eine Endverbrauchssteuer (20 Prozent), ein Beitrag zur Stromversorgung (20 Prozent) und eine Durchleitungsgebühr (5,5 Prozent).
Zwar hätten Verbraucher bereits 2022 in den günstigsten EDF-Tarifen in etwa so viel zahlen müssen. Doch im Rahmen einer Preisdeckelung hatte der Staat mehr als ein Drittel der Stromrechnung übernommen. Im kommenden Jahr will die Regierung den Anstieg für die Verbraucher noch auf zehn Prozent begrenzen, erklärte die Ministerin für die Energiewende, Agnès Pannier-Runacher.
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Es ist bekannt, dass die schon bisher vom Staat kontrollierte EDF die Strompreise subventionierte. Und zwar so drastisch, dass der Staatsrat vor einigen Jahren den Konzern zu einer Tariferhöhung zwang, da Konkurrenten dadurch benachteiligt wurden.
Auch darum weiß man in Paris schon lange, dass Atomstrom alles andere als billig ist. Dennoch hat Frankreich zusammen mit 21 weiteren Staaten, insbesondere aus Europa, am Rande der Weltklimakonferenz in Dubai eine Allianz gegründet, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Atomkraft bis 2050 zu verdreifachen. Das ist natürlich, schaut man sich die Erfahrungen der EDF an, illusorisch.
Derweil verscherbelt der Konzern aber weiter Strom, um das Märchen vom billigen Atomstrom aufrechtzuerhalten und die eigenen Ausbaupläne nicht zu konterkarieren. Bis zur geplanten großen Erhöhung in mehr als zwei Jahren wird der Schuldenberg der EDF noch anwachsen. Im letzten Halbjahresbericht war er bereits mit 68,8 Milliarden Euro beziffert worden.
Der Anstieg kommt nicht von ungefähr, denn im vergangenen Jahr verbuchte der Konzern einen Rekordverlust von fast 18 Milliarden Euro. Altersschwache Atomkraftwerke fallen unter anderem wegen Korrosion ständig aus. Die Überprüfungen sind noch immer nicht abgeschlossen, neue Hiobsbotschaften damit ebenso wenig.
Auch während der sich häufenden Dürreperioden müssen Reaktoren wegen fehlenden Kühlwassers oft gedrosselt oder abgeschaltet werden. Selbst die konservative Tageszeitung »Le Monde« spricht daher von einer »katastrophalen« Situation.
Statt Energie in andere EU-Länder zu exportieren, musste ausgerechnet in der Zeit explodierender Energiepreise der Strom teuer auf dem europäischen Markt zugekauft werden, ansonsten wäre das französische Netz kollabiert. Laut EDF-Daten ging die Atomstromproduktion 2022 in Frankreich gegenüber dem Vorjahr um 82 Milliarden KWh auf 279 Milliarden zurück – der niedrigste Stand seit 30 Jahren.
Die Produktion ist derzeit wieder etwas höher, doch die am Netz befindliche Leistung bleibt mit 44 Gigawatt deutlich hinter der möglichen Gesamtleistung des Kraftwerkparks von 61 Gigawatt zurück.
Um Verbraucher vor explodierenden Kosten zu schützen, hatte Paris auch den Umfang der Strommenge erhöht, welche die EDF an konkurrierende Versorger zu staatlich limitierten Preisen von 42 Euro/MWh verkaufen musste. Auch das ließ die Verluste explodieren und führte dazu, dass der Konzern im Juni wieder komplett verstaatlicht werden musste. Private Investoren waren nicht bereit, immer neues Geld in ein Fass ohne Boden zu schütten. Wirtschaftsminister Le Maire bezifferte die Kosten für den Aktien-Rückkauf auf knapp zehn Milliarden Euro. Dabei hätten die Aktien ohne vorherige staatliche Stützungsaktionen längst keinerlei Wert mehr gehabt. Bekommen haben die Steuerzahler den riesigen EDF-Schuldenberg und viele Problemfelder mit Milliardenkosten.
Mit der deutlichen Preisanhebung ab 2026 will die Regierung die Finanzierung neuer Atomkraftkapazitäten sowie die Stilllegung alter Meiler und die Atommüllentsorgung decken. Dass diese Mittel dafür ausreichen, wird allgemein bezweifelt. Der im Bau befindliche Reaktor in Flamanville am Ärmelkanal soll im kommenden Jahr ans Netz gehen, mit zwölf Jahren Verspätung. Die Kosten waren dabei nach EDF-Angaben von 3,3 auf 13,2 Milliarden Euro angestiegen. Der Rechnungshof geht seit Jahren schon von mehr als 19 Milliarden aus.
Es dürfte unrealistisch sein, wenn Paris für den Bau von sechs weiteren Meilern 56 bis 59 Milliarden Euro veranschlagt. Auch dass es bei 66 Milliarden für die Modernisierung des Atomparks bleibt, dessen Laufzeiten auf 60 Jahre verlängert werden sollen, glaubt kaum jemand. Und der Rückbau bestehender Anlagen wird nach Einschätzung des Rechnungshofes mindestens das Doppelte der vorgesehenen 18,4 Milliarden kosten. Der Atomstrom in Frankreich ist eines ganz bestimmt nicht – billig.
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