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Als Hansa Rostock den FC Barcelona empfing
Es ist das erste Mal seit 32 Jahren, dass eine kickende Weltmacht im wichtigsten Klubwettbewerb bei einer Mannschaft aus der ehemaligen DDR gastiert
Zum Abschied strahlt das Flutlicht vorweihnachtlich hell. Sportlich wird der 1. FC Union Berlin aus dem europäischen Fußballzirkus nicht viel mitnehmen, dafür aber reichlich Geld, Ehre und vor allem dieses eine letzte Gruppenspiel am Dienstag. Real Madrid! Dieser Name leuchtet, vom selbst gewählten Exil im Olympiastadion bis nach Köpenick und weiter darüber hinaus. Es ist das erste Mal seit 32 Jahren, dass eine kickende Weltmacht im wichtigsten aller Klubwettbewerbe bei einer Mannschaft aus der ehemaligen DDR gastiert. Ja, auch RB Leipzig hat im umgebauten Zentralstadion schon denkwürdige Abende erlebt, gegen Paris Saint-Germain, Manchester City oder Real Madrid. Aber anders als Union stehen die sächsischen Brauseprofis in keinerlei Tradition zum Fußball der untergegangenen Arbeiter- und Bauernmacht.
Früher schlicht Pokal der Landesmeister, heute Champions League: ein inszeniertes Spektakel und Gelddruckmaschine des Fußballs. Sven Goldmann blickt auf den kommenden Spieltag.
Als im Oktober 1991 der FC Barcelona mit den Weltstars Michael Laudrup, Hristo Stoitschkow, Ronald Koeman und dem jungen Pep Guardiola in den deutschen Osten kam, sah die Fußballwelt noch ein wenig anders aus. Es war die letzte Ausspielung des Europapokals der Landesmeister, der ein Jahr später als Champions League neu erfunden wurde. Als letzter Meister der DDR-Oberliga hatte sich Hansa Rostock für die Bundesliga qualifiziert und dazu noch einen Platz auf der größten aller Bühnen erobert. Die Rostocker hatten die Saison noch in der DDR begonnen und nach deren Auflösung in der Bundesrepublik beendet. Sie starteten als Meister der Oberliga Nordost, die es heute immer noch gibt, allerdings nur dem Namen nach: in der zweigeteilten Fünftklassigkeit mit Tabellenführern, die Hertha Zehlendorf und VFC Plauen heißen.
Hansa Rostock war zu Beginn der ersten gesamtdeutschen Saison eine große Nummer. Mit der Empfehlung von drei Siegen in den ersten drei Spielen gegen Nürnberg, Bayern und Dortmund reiste der Neuling als Bundesliga-Primus zum Hinspiel der ersten Europapokalrunde ins Camp Nou. Trainer Uwe Reinders kündigte frech einen 2:0-Sieg an, aber davon war Hansa weiter entfernt als heute von der Champions League. Pep Guardiola war damals gerade 20. Er trug das Haar noch voll und verdingte sich in seinem ersten Europapokalspiel im defensiven Mittelfeld, denn der Platz auf der Trainerbank war an den Klubheiligen Johan Cruyff vergeben. Gegen Hansa fiel Guardiola nicht weiter auf, anders als Michael Laudrup, der zwei Tore schoss, das dritte besorgten die Rostocker durch Jens Dowe selbst.
Dieses 0:3 dämpfte ein wenig die Vorfreude auf das Rückspiel, was Hansas Vorstand aber nicht davon abhielt, Eintrittspreise von bis zu 100 D-Mark aufzurufen. Um die Kaufkraft in Mecklenburg-Vorpommern war es in der Nachwendezeit nicht so gut bestellt, und entsprechend bescheiden lief der Vorverkauf. Am Spieltag reduzierte Hansa die Preise um 50 Prozent, aber da war es schon zu spät. 8500 Zuschauer verloren sich im Ostseestadion. Uwe Reinders definierte seine Ziele diesmal ein wenig bescheidener und hoffte auf einen ehrenvollen Abschied. Der gelang auch, weil Barcelona vor allem darauf bedacht war, die Heimreise verletzungsfrei anzutreten. Es dauerte eine schüchterne Halbzeit lang, bis die Rostocker merkten, dass da was ging. Michael Spies schaffte nach einer guten Stunde mit einem spektakulären Flugkopfball das Tor um 1:0-Sieg.
Barcelona eliminierte in der zweiten Runde auch den Deutschen Meister (West) aus Kaiserslautern und zog weiter bis ins Finale. Im Londoner Wembleystadion schoss Ronald Koeman das Tor zum 1:0 über Sampdoria Genua. Vier Tage, nachdem Hansa aus der Bundesliga abgestiegen war.
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