Wasserstoff in alten Erdgastrassen und neuen Rohren

Machbarkeitsstudie für Leitungsnetz Lausitz in Cottbus vorgestellt

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

»Die Ideen, die Pläne sind da. Jetzt geht es ans Umsetzen«, sagt am Montag im Stadthaus von Cottbus Klaus Freytag, seines Zeichens Lausitz-Beauftragter des brandenburgischen Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD). Freytag schließt hier im Braunkohlerevier mit dem Bergmannsgruß: »Glück auf!« Doch es geht um den Kohleausstieg und den damit verbundenen Strukturwandel – oder wie Spree-Neiße-Landrat Harald Altekrüger (CDU) meint: Darum, die in Jahrzehnten erworbenen Kompetenzen in der Energieerzeugung auch künftig zu nutzen.

Spätestens 2038 sollen die letzten deutschen Braunkohlekraftwerke abgeschaltet sein. Die Lausitzer Energie AG (Leag) möchte ihre Standorte für die Wasserstofftechnologie umbauen. Am Montag kündigte sie Umstrukturierungen an. Neben dem traditionellen Standbein Braunkohle sollen drei eigenständige Gesellschaften für klimafreundliche Geschäftsmodelle formiert werden: Wasserstofffähige Gaskraftwerke und großtechnische Batteriespeicher, Solar- und Windkraftanlagen sowie Biomasse-Aktivitäten – alles zusammen unter dem Dach einer Holding.

Die Grünen und Umweltschützer argwöhnen, hier werde versucht, die Braunkohlesparte so auszulagern, dass sie sterben kann, wenn die Zeit dafür gekommen ist und die Kosten für die Rekultivierung dann dem Staat aufzubürden, während sich der tschechische Mutterkonzern an den profitablen Bereichen gesundstößt. Der Lausitz-Beauftragte Freytag hingegen lobt die Bemühungen, die Leag zukunftsfähig aufzustellen. Die Regierung von Brandenburg begrüße das, genauso wie die von Sachsen.

Wasserstoff gilt als eine Lösung für ein großes Problem der erneuerbaren Energien: Was tun, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint? Mit überschüssiger Windkraft und Solarenergie soll Wasserstoff produziert werden. Mit dem können dann Busse fahren und er wird bei Bedarf in Strom zurückverwandelt. Um bei der Wasserstofftechnologie dabei zu sein, braucht die Lausitz ein Leitungsnetz. Es müssen dafür Rohre neu verlegt werden und es können zum Teil auch Erdgasleitungen für den Transport von Wasserstoff umgerüstet werden, leider allerdings in geringerem Maße, als dies in anderen Gegenden möglich ist.

404 Kilometer alte und neue Leitungen

Im Stadthaus von Cottbus wird am Montag eine Machbarkeitsstudie vorgestellt, erarbeitet von der Infracon Infrastruktur Service GmbH & Co. KG, zusammen mit dem Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (IKEM). Dazu wurden unter anderem bei den Gemeinden geplante Wasserstoffprojekte und der voraussichtliche Bedarf abgefragt. Es kam dabei heraus, dass der Bedarf in der Lausitz im Jahr 2030 bei rund 500 Gigawattstunden (GWh) liegen müsste. Das Potenzial zur Erzeugung von Wasserstoff wäre aber zu diesem Zeitpunkt noch minimal. Bis zum Jahr 2045 würde der Bedarf auf etwa 5500 GWh ansteigen. Vor Ort erzeugen könnte man mehr als 6000 GWh. Ein Leitungsnetz von 404 Kilometern soll entstehen. 70 Prozent müssten neu gebaut werden, was Planfeststellungsverfahren erfordert. So etwas dauert bis zu drei Jahren. Ein solcher Leitungsabschnitt könnte demnach innerhalb von fünf bis sieben Jahren realisiert werden. Mit der Bürokratie für die Umrüstung bisheriger Erdgasleitungen könnte man dagegen in etwas mehr als einem Monat durch sein, erläutert Ruth Rieger von Infracon. Nur drei bis vier Jahre erfordere die Umstellung dann.

Das Netz soll schrittweise entstehen, die ersten 92 Kilometer schon bis 2030, der Rest bis 2045. Offen ist die Frage, wer das Netz bauen und betreiben soll: eine rein kommunale Gesellschaft oder ein privates Unternehmen allein oder mit staatlicher Beteiligung. Die Betriebskosten werden auf insgesamt zehn Millionen Euro jährlich geschätzt beziehungsweise auf 25 000 Euro je Kilometer und Jahr. Es ist schwierig, die Netzentgelte für die Durchleitung von einer Kilowattstunde je Stunde je Jahr zu berechnen. Denn das Ergebnis hängt von vielen Faktoren ab, beispielsweise davon, wie der Wasserstoffmarkt reguliert wird, wie teuer die Investition tatsächlich wird und ob es einen Preisdeckel gibt. Da schwanken die Angaben dann zwischen 1,01 Euro und 160 Euro pro Kilowattstunde je Stunde je Jahr. Es sind tatsächlich Euro- und nicht Cent-Beträge. Das klingt, als wäre dieser Spaß unbezahlbar.

Aber wie Florian Temmler von Infracon aufklärt, darf das nicht mit den Preisen je Kilowattstunde verwechselt werden, die Verbraucher für Strom und Gas bezahlen – wo die Angabe je Stunde je Jahr jedoch fehlt. Das Netzentgelt werde für Transportkapazitäten bezahlt, die dann die ganze Zeit über zur Verfügung stehen. 8,41 Euro sei das wahrscheinliche Entgelt für die Beförderung des Wasserstoffs. Für Erdgas liege das Netzentgeld im Moment bei sechs Euro.

Der Bau kostet 536 Millionen Euro

»Investitionen in Wasserstoff sehen wir als Investitionen in die Zukunft«, sagt Landrat Altekrüger. 536 Millionen Euro sind für den Bau veranschlagt. Es werden Fördermittel benötigt. Die Hälfte davon sollte aus Corona-Mitteln im Bundeshaushalt 2021 stammen, die nicht verbraucht worden sind. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dieses Geld dürfe nicht einfach so für den Klimaschutz eingesetzt werden, hängt das Wasserstoffnetz in der Luft.

Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) mahnt jedoch, sich von dem Urteil nicht bremsen zu lassen. »Das Klima wartet nicht.« Die Planungen müssten unbeirrt vorangetrieben werden. Und ein Wasserstoffprojekt abzusagen, weil es sich im Moment nicht rechnet, hält Steinbach für »unklug«. Spätestens wenn ein Zertifikat, das den Ausstoß einer Tonne CO2 erlaube, 100 Euro kostet, werde die Elektrolyse von Wasserstoff wirtschaftlich sein. Zwar liege der Preis beim Zertifikatehandel gegenwärtig stabil bei 83 Euro. Doch es werde teurer, wenn wie geplant 60 Prozent der Zertifikate vom Markt genommen werden. Der Preis werde am Ende auf 120 Euro steigen. Dem Einwand, die Verfügbarkeit von Wasser setze der Technologie Grenzen, begegnet Steinbach mit dem Hinweis, zum Beispiel die PCK-Raffinerie in Schwedt werde künftig nur noch ein Zwanzigstel des Wassers benötigen, das sie heute verbraucht.

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