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Textilsektor in Bangladesch: »Sehen Modemarken in Verantwortung«
Aika-Maresa Fischbeck über die Arbeitskämpfe in der Textilindustrie in Bangladesch
In Bangladesch halten die Kämpfe für einen existenzsichernden Mindestlohn in der Textilindustrie weiter an. Sie waren Ende Oktober zwei Wochen vor Ort. Wie haben Sie dabei die Stimmung erlebt?
Als wir nach Bangladesch kamen, wurde im Lohnausschuss (das regierungsgelenkte Gremium, das über die Mindestlöhne befindet – T.B.) gerade noch verhandelt. Drei Tage später legte die Arbeitgeberseite ihr Angebot von 10 400 Taka (rund 90 Euro) auf den Tisch, während die Gewerkschaften einen Betrag von 23 000 Taka (knapp 200 Euro) fordern. Zu diesem Zeitpunkt hat man gemerkt, wie die Stimmung gekippt ist und die Proteste an Fahrt aufnahmen, weil eben eine solch geringe Anhebung das, was sich durch die Inflation an Belastungen entwickelt hat, nicht abbildet. Erschreckend war dann die Polizeigewalt, mit der den Protestierenden begegnet wurde. Noch während unserer Reise kamen zwei Arbeiter ums Leben, zwei weitere Todesfälle gab es später noch.
Aika-Maresa Fischbeck arbeitet seit 2016 für Femnet, eine Mitgliedsorganisation der Kampagne für Saubere Kleidung. Sie hat selbst eine Ausbildung zur Modenäherin absolviert und an der Hochschule Niederrhein Bekleidungsmanagement studiert, sich anschließend immer stärker in den Bereich Nachhaltigkeit eingearbeitet. Mit ihr sprach Thomas Berger.
Inzwischen gibt es die von der Regierung beschlossene Anhebung von 8000 auf 12 500 Taka (gut 100 Euro) monatlich, was den Betroffenen und den Gewerkschaften nicht reicht. Wie kämpferisch zeigen sie sich beim Fortführen der Agitation? Ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad gewachsen?
Wir von Femnet hatten ja im Vorfeld das Bangladesh Institute for Labour Studies unterstützt, das in einer Studie festgestellt hat, dass eben die 23 000 Taka Mindestlohn nötig sind, um nicht unter die Armutsgrenze zu rutschen. Dieser Zahlenwert beruht also auf wissenschaftlichen Grundlagen. Zu beachten ist auch, dass die Näherinnen in der Regel sechs Tage die Woche oft weit länger als acht Stunden tätig sind. Der Lohn reicht aber vorn und hinten nicht, deswegen machen künftig 12 500 Taka trotz der nominellen Steigerung von 56 Prozent für die meisten noch keinen großen Unterschied aus. Gemessen an der neuen Lage durch die Inflation liegt das reale Plus sogar eher nur bei etwa 14 Prozent. Darum regt sich also weiter Protest. Demgegenüber ist seit Monaten zu verfolgen, wie die Arbeit der Gewerkschaften immer weiter eingeschränkt und unterdrückt wird. Viele der Aktivist*innen sitzen inzwischen in den Gefängnissen, die Situation dort ist katastrophal mit überfüllten Zellen, ungenießbarem Essen und mangelnder medizinischer Versorgung. Weitere Beteiligte sind noch von anstehenden Verfahren bedroht. Sie sitzen in den Fabriken bei der Arbeit und haben Angst vor dem, was noch auf sie zukommt. Und auch wir als Organisationen müssen vorsichtig agieren, damit wir unsere lokalen Partner*innen nicht zusätzlich in Gefahr bringen, Repression ausgesetzt zu werden.
Es geht aber nicht nur um Politik, Justiz und Sicherheitsapparat vor Ort …
Wir sehen unbedingt auch die großen Modemarken mit in der Verantwortung, die Menschen in ihrem Kampf um existenzsichernde Löhne stärker zu unterstützen. Oder auf die Arbeitgeberverbände vor Ort einzuwirken, damit Anklagen fallengelassen werden. Die Modemarken sollten sich fragen, ob sie weiterhin in Kauf nehmen wollen, dass die Beschäftigten, die ihre Kleidung nähen, für Hungerlöhne schuften müssen.
Zum überwiegenden Anteil von mehr als 85 Prozent handelt es sich bei den Beschäftigten der Branche ja um Frauen. Wie weit ist da auch Gendergerechtigkeit ein wichtiger Aspekt?
Das spielt für uns sogar eine zentrale Rolle. Frauen sitzen in erster Linie an den Nähmaschinen. Das sogenannte Finishing, also zum Beispiel Bügeln, Qualitätskontrolle, aber auch Aufseherposten – das sind eher Männer, die dann auch besser bezahlt sind. Nicht zu vergessen bleibt, dass Bangladesch generell durch patriarchale Strukturen geprägt ist. Vor und nach der Arbeit müssen sich die Frauen noch um Einkauf, Haushalt und Kinder kümmern. Wir waren im Oktober auch bei Näherinnen zu Hause, die uns erzählt haben, dass bei all dem kaum Zeit für sie selbst bleibt. Hinzu kommt geschlechtsspezifische Gewalt in den Fabriken. Frauen werden beschimpft, wenn sie angeblich zu langsam arbeiten. Wichtig ist es deshalb, dass es zum Beispiel funktionierende Beschwerdemechanismen gibt.
Zehn Jahre ist her, dass bei der Rana-Plaza-Katastrophe im April 2013, als ein achtstöckiges Fabrikgebäude zusammenstürzte, 1135 Menschen starben und über 2400 wurden verletzt. Viel hat sich seitdem, auch dank internationalen Drucks, in den Fabriken hinsichtlich Gebäudesicherheit und Arbeitsschutz getan. Ist dabei das Thema existenzsichernde Löhne unter die Räder gekommen?
Es stimmt, seit dem noch im gleichen Jahr verabschiedeten Bangladesch-Accord hat sich die Sicherheit in den Fabriken stark verbessert, bestätigen uns auch unsere Partnerorganisationen. Bei den Löhnen hat sich nicht nur wenig bewegt, die Lage ist durch die Inflation sogar noch schlimmer geworden. Das Thema wird medial verstärkt aufgegriffen und die Versprechen der Modemarken, existenzsichernde Löhne anzustreben, hinterfragt. Aber wenn wir etwa konkret zur Unterstützung der Arbeitskämpfe bei den Modemarken nachfragen, gibt es in der Regel leider wenig Resonanz.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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