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Biopic »Munch«: Schrei in bewegten Bildern
Das Biopic »Munch« über den norwegischen Maler gibt sich unkonventionell, bedient aber den Genie-Kult
»Ein Gefühl ist doch auch eine Art zu denken«, sinniert Edvard Munch in Henrik Martin Dahlsbakkens kaleidoskopartig angelegtem Arthouse-Drama, das ihn, den berühmtesten norwegischen Maler, zum Thema hat. Munchs Bild »Der Schrei«, eines der bedeutendsten Gemälde des 20. Jahrhunderts, ist wohl den meisten bekannt. Selbst Homer Simpson spielt in einer Tagtraumsequenz einmal Tischfußball mit »The Scream«. Man sollte sich jedoch über die biographischen Eckdaten dieses Pioniers des Expressionismus informieren, bevor man sich Dahlsbakkens formal überaus ambitionierten Film anschaut, der dem Publikum offensichtlich die zerrissene Persönlichkeit des Künstlers nahebringen möchte.
Eine Schauspielerin und drei Schauspieler verkörpern – in recht wild durcheinander geschnittenen Handlungssträngen – Munch in unterschiedlichen Lebensabschnitten. Das erinnert an Todd Haynes unkonventionelle Filmbiografie über Bob Dylan, in der sechs Darsteller*innen unterschiedliche Facetten des Musikers zum Leben erwecken.
Der 21-jährige Munch wird einfühlsam von Alfred Ekker Strande gespielt. Im Jahr 1885 verbringt der zur Melancholie neigende junge Mann seine Ferien im Kreise der Familie auf dem Lande. Dort soll er nach dem Willen seines Vaters zur Ruhe kommen und malen. Der Tod seiner Mutter und seiner älteren Schwester wird in dem Film, der ein Gefühl für die Seelenzustände des Malers vermitteln will, unverständlicherweise kaum thematisiert. Dabei hat Munch diese traumatische Erfahrung, die für ihn prägend war, in zahlreichen Gemälden festgehalten.
Munch verliebt sich bei seinem Landurlaub unsterblich in die Schriftstellerin Milly Thaulow, die seine Gefühle jedoch nicht in gleichem Ausmaß erwidert und ihm das Herz bricht. Dahlsbakken deutet an, dass er es aufgrund dieser ersten großen Enttäuschung ein Leben lang vorzog, unverheiratet zu bleiben.
In einem anderen, kurzen Handlungsstrang begegnet man dem acht Jahre älteren Munch, der von Mattis Herman Nyquist gespielt wird. Zunächst ist man verwirrt, wenn diese hipsterartige Version Munchs plötzlich sein Handy zückt, denn Dahlsbakken hat den 29-Jährigen einfach in unsere Gegenwart versetzt. In diesem Alter wurde Munch vom Verein Berliner Künstler zu einer Einzelausstellung eingeladen. Doch kaum eröffnet, entwickelt sich die Ausstellung zu einem Skandal: Die Bilder, die nicht dem Zeitgeist entsprechen, werden als unfertig abgetan und die Ausstellung nach nur sieben Tagen wieder geschlossen. Der tief frustrierte Munch zieht daraufhin mit seinen Freunden durch die Gegend und betrinkt sich mit ihnen in einem Techno-Club.
In einer eindringlichen Szene radelt Munch dann auf dem Gepäckträger seines Freundes, dem schwedischen Schriftsteller August Strindberg – der wie Munchs älteste Version von einer Frau dargestellt wird – über das ehemalige Flughafengelände in Tempelhof. Im Hintergrund erstrahlt ein expressiver, gemalter Himmel wie auf seinen Gemälden, die in ihrer Gefühlsintensität und ihrem Ausdruck existenzieller Angst aktueller denn je scheinen. Nicht verwunderlich also, dass sich Dahlsbakken, beinahe ein halbes Jahrhundert nach Peter Watkins filmischer Biografie über Munch, dazu entschlossen hat, seinen Geist wieder aufleben zu lassen.
Etwa ein Jahr nach der Schließung seiner Ausstellung, die als »Der Fall Munch« in die Kunstgeschichte einging, malte der 30-Jährige sein berühmtestes Bild: Den Schrei eines zutiefst verstörten Menschen in einer Welt, die außer Kontrolle geraten ist.
Der dritte Handlungsstrang ist in Schwarz-Weiß und im 4:3-Format gedreht. Man ist in dieser Episode sowohl aufgrund der Einstellung als auch der Tonspur albtraumhaft nah dran an dem 45-jährigen Künstler. Er ist mittlerweile ein Alkoholiker, der panische Angst davor hat, dass er an ererbter Schizophrenie erkrankt. Munch, der nun von Ola G. Furuseth verkörpert wird, erleidet einen Zusammenbruch und landet in einer Nervenklinik in Kopenhagen. Dort wird er von einen an Freud erinnernden Psychiater betreut, mit dem er recht klischeehafte und ermüdende Gespräche über das (männliche) Genie und den Wahnsinn führt.
Der 80-jährige Munch, der gleich zu Beginn des nicht-linear erzählten Films in seinem Haus in Oslo zu sehen ist, versucht 1943 im besetzten Norwegen seine Werke vor dem Zugriff der Nazis in Sicherheit zu bringen. Anne Krigsvoll verkörpert am eindrücklichsten den eigenwilligen Künstler, der gesundheitlich schon recht angeschlagen ist und inmitten seiner zahlreichen Gemälde sehr zurückgezogen lebt.
Auch wenn Dahlsbakkens formal unkonventioneller Film seine Lücken hat und ab und an in das Klischee eines männlichen Künstlergenies abdriftet, weckt er doch zumindest Neugier auf das Werk dieses schwermütigen Malers, der so radikal mit den Traditionen in der Malerei brach, dass seine Bilder noch zwei Jahrhunderte später unglaublich zeitgemäß wirken. Wie großartig, dass in Berlin und Potsdam gerade zwei lohnenswerte Ausstellungen seiner Gemälde zu sehen sind – und in Oslo vor zwei Jahren ein eigens für seine Werke konstruiertes Gebäude eröffnet wurde.
»Munch«, Norwegen, Regie: Henrik Martin Dahlsbakken, 105 Min. Start: 14.12.
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