Biden und Netanjahu: Mit Trippelschritten auf Distanz

US-Präsident Joe Biden kann seine Nahost-Politik zu Hause immer schlechter verkaufen

  • Julian Hitschler
  • Lesedauer: 5 Min.
Komplexer Tango: Die Kritik des Weißen Hauses am israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu wird lauter.
Komplexer Tango: Die Kritik des Weißen Hauses am israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu wird lauter.

In den letzten Tagen hat sich der Ton zwischen Israel und den USA merklich verändert. Der Fernsehsender CNN sprach davon, dass das Ausmaß der Spannungen zwischen Präsident Joe Biden und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu »nie erreichte Ausmaße« angenommen habe. Doch ob die USA von der Seite Israels abrücken, bleibt weiter eine Frage der Betrachtungsweise. Der Sprecher des nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, ließ am Dienstag durchblicken, man habe »Bedenken« wegen Israels Vorgehen. Dass Washington rhetorisch auf Distanz zur israelischen Regierung geht, ist nichts Neues, auch in diesem Krieg. Solche Interventionen richten sich jedoch meist an das inländische Publikum. Dafür, dass die US-Regierung ihre strukturelle Verhandlungsmacht einsetzt, um Israel zum Schutz von Zivilist*innen und zu verhältnismäßigem Vorgehen bewegt, gibt es bisher wenig handfeste Belege. So gibt es bisher keine Anzeichen dafür, dass die zusätzlichen 14 Milliarden Dollar Militärhilfe, die Israel gewährt werden sollen, an Bedingungen geknüpft werden. Eine UN-Resolution für einen humanitären Waffenstillstand in Gaza wurde von den USA im Sicherheitsrat am vergangenen Freitag blockiert. Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan reiste am Donnerstag nach Israel zu Beratungen über die »nächste Phase« des Kriegs.

In öffentlichen Statements rufen Vertreterinnen und Vertreter der Biden-Regierung die israelische Seite immer wieder zur Zurückhaltung auf. Doch welche militärischen Maßnahmen man als angemessen betrachtet, und welche nicht, darüber hüllt sich das Weiße Haus überwiegend in Schweigen. Auf Berichte von Amnesty International über den Einsatz von weißem Phosphor im Südlibanon, von dem möglicherweise Zivilist*innen betroffen waren, reagierte Kirby nur mit der allgemeinen Aussage, man erwarte von allen Streitkräften, an die man solche Munition liefere, dass diese für legitime militärische Zwecke eingesetzt werden. US-Vertreter*innen vermeiden es immer noch peinlich genau, konkrete militärische Entscheidungen der israelischen Streitkräfte in Zweifel zu ziehen.

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Was die langfristige Perspektive aus dem Konflikt angeht, besteht man auf der Zweistaatenlösung. Dass inzwischen israelische Regierungsvertreter diese in Zweifel ziehen, klammert man ebenso aus, wie die Frage, ob dafür auf der palästinensischen Seite ein Konsens geschaffen werden kann.

Als wichtigster Verbündeter Israels wäre es den USA theoretisch möglich, sehr viel aktiver in den Konflikt einzugreifen. In Bidens Weißem Haus überwiegt stattdessen die Einschätzung, dass es nicht vertretbar sei, der israelischen Seite Bedingungen zu diktieren. Die Gründe hierfür liegen in jüngster Vergangenheit eher in der Innenpolitik, während sich das außenpolitische Terrain, in dem die US-Israelbeziehungen situiert sind, deutlich verschoben hat.

Im linken Podcast »Behind the News« erklärt der Nahost-Experte Trita Parsi vom Quincy Institute for Responsible Statecraft, einem Thinktank in Washington D.C., der sich für außenpolitische und militärische Zurückhaltung einsetzt, dass sich die Interessenlage der USA in der Region verändert habe. Anders als zu Zeiten des Kalten Kriegs, als der Sowjetblock, seine Verbündeten und die nationalen Bestrebungen arabischer Staaten eingehegt werden sollen, gebe es kaum noch prioritäre Interessen der USA, die durch das Bündnis mit Israel weiterverfolgt würden. Die Kosten für das internationale Ansehen der Vereinigten Staaten durch das Vorgehen Israels seien hingegen hoch.

Biden scheint hingegen der Ansicht zu sein, die »politische Landschaft in den USA sei dieselbe als in den neunziger Jahren«, als überwältigende Mehrheiten in den USA klar mit Israel sympathisierten. Dieses politische Kalkül sei nicht aufgegangen, Bidens Koalition würde durch seine Nachsichtigkeit mit Netanjahu »außeinandergerissen«. »Die USA haben eine Menge Druckmittel gegen Israel, die Frage ist, ob der Präsident bereit ist, die politischen Kosten, jedenfalls wie er sie wahrnimmt, für deren Einsatz zu bezahlen«, so Parsi.

In der Tat ist die Öffentlichkeit in den USA in ihrer Haltung zum Nahost-Konflikt gespaltener als je zuvor, vor allem zwischen den Generationen. Laut einer Erhebung des Pew Research Center haben 58 Prozent der US-Amerikaner*innen zwischen 18 und 29 Jahren ein eher negatives Bild von Israel, bei über 65-Jährigen sind es nur 28 Prozent. Daran hat sich auch seit dem brutalen Angriff der Hamas vom 7. Oktober wenig verändert.

Dieser Riss zieht sich auch durch den linken Flügel der Demokraten. Abgeordnete im Repräsentantenhaus wie Cori Bush oder Rashida Tlaib fordern seit Wochen, die USA sollten sich aktiv für einen Waffenstillstand einsetzen. Der linke Senator und ehemalige Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders aus Vermont lehnt die Forderung nach einer unilateralen Einstellung der Kampfhandlungen durch Israel hingegen ab: Die Waffen könnten nur schweigen, wenn die Hamas dieser Bedingung ebenfalls zustimme und von ihrem Ziel, Israel zu zerstören, abrücke. Gleichzeitig will Sanders die Militärhilfe an Israel aber an Bedingungen knüpfen und spricht sich prinzipiell für einen Waffenstillstand aus – nur eben keinen unilateralen.

Viel deutet darauf hin, dass Joe Bidens Strategie im Nahost-Konflikt zu Hause nicht gut ankommt. In einer Umfrage von Mitte November befürworteten 68 Prozent der US-Amerikaner*innen einen Waffenstillstand. Bidens ohnehin schlechte Beliebtheitswerte haben in den letzten Wochen nochmals merklich nachgelassen, und Umfragen zur Präsidentschaftswahl im November kommenden Jahres sehen ihn gegenüber Donald Trump, der aller Wahrscheinlichkeit Kandidat der Republikaner werden wird, deutlich im Rückstand.

Vor allem im Bundesstaat Michigan, einem der entscheidensten für den Wahlausgang, sind Bidens Werte eingebrochen. Hier leben besonders viele muslimische Wählerinnen, darunter viele mit palästinensischen Wurzeln. Ob ihre Stimmen für Bidens Abrutschen entscheidend sind, lässt sich auf Grundlage dieser Umfragen jedoch nicht eindeutig belegen. In einer landesweiten Erhebung unter US-Bürger*innen mit arabischen Wurzeln gaben 40 Prozent der Befragten aber an, Donald Trump wählen zu wollen, gegenüber lediglich 35 Prozent, die für Biden zu stimmen beabsichtigten. Im Jahr 2020 hatte dieses Bevölkerungssegment mit überwältigender Mehrheit für die Demokraten gestimmt.

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