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Putins Pressekonferenz: Präsidiale Inszenierung
Russlands Präsident Wladimir Putin hat nach einem Jahr Pause wieder seine Jahrespressekonferenz abgehalten
Der Auftritt wurde mit Spannung erwartet. Nach einem Jahr Unterbrechung und damit das erste Mal seit dem Einmarsch in die Ukraine hat Russlands Präsident Wladimir Putin im Moskauer Gostinyj dwor seinen »Direkten Draht« abgehalten. Brennendstes Thema: Der seit bald zwei Jahren andauernde Krieg im Nachbarland. Seit über einem Monat protestieren im Land Frauen und Mütter mobilisierter Männer und fordern, dass die endlich nach Hause kommen können. Im Vorfeld des »Direkten Drahts« hatte das unabhängige Meinungsforschungsinstitut Lewada herausgefunden, dass 21 Prozent der befragten Russen ihren Präsidenten fragen würden, wann und wie der Krieg beendet wird. Insgesamt, so sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow zu Beginn der vierstündigen Veranstaltung, seien 2,1 Millionen Fragen eingegangen.
Putin hält an Kriegszielen fest
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Für den Krieg in der Ukraine sieht Putin seine Ziele weiterhin in Kraft. »Frieden ist, wenn wir unsere Ziele erreicht haben«, so Putin. Bedingung für einen Frieden sei der neutrale Status – also der Verzicht auf die Nato-Mitgliedschaft – und die Entmilitarisierung des Nachbarlandes. All das sei bei den Verhandlungen in Istanbul kurz nach Beginn der Invasion bereits erreicht und dann doch wieder verworfen worden, so Putin. Der Kremlchef sprach auch erneut von der »Denazifizierung« der Ukraine als Kriegsziel und führte den Skandal im kanadischen Parlament als Beispiel an, als ein ukrainischer Nazi-Kollaborateur zur Rede Wolodymyr Selenskyjs eingeladen und vom ukrainischen Präsidenten frenetisch bejubelt worden war. In den vergangenen Monaten hatte es immer wieder Verwirrung gegeben, weil unter anderem Verteidigungsminister Sergej Schoigu und andere Politiker die vermeintlichen Ziele der russischen Invasion neu definierten.
Eine neue Mobilisierung sei für das Erreichen der Kriegsziele nicht nötig, sagte Putin. »Die mobilisierten Jungs kämpfen super«, so der Kremlchef. Nach der Teilmobilmachung hätten sich 486 000 Männer als Freiwillige gemeldet, täglich kämen 1500 weitere dazu, führte der 71-Jährige aus. Insgesamt, so Putin, seien 617 000 Soldaten im Gebiet der »Militärischen Spezialoperation«. Angesprochen wurden auch die Söldnertruppen, die es offiziell in Russland gar nicht geben darf. Putin regte an, die ehemaligen Kämpfer dieser Gruppierungen regulären Soldaten gleichzustellen.
US-Journalist soll ausgetauscht werden
Die Schuld am Zerwürfnis mit der Europäischen Union sieht Russlands Präsident nach wie vor im Westen und dessen einseitiger Unterstützung für die Ukraine nach den Maidan-Protesten vor zehn Jahren. Isoliert sieht er sich aber nicht. »Viele Menschen in der Welt denken, das wir alles richtig machen«, sagte Putin. Den Krieg im Nahen Osten bezeichnete er abermals als Katastrophe: »Schauen Sie, was im Krieg in der Ukraine passiert und was in Gaza passiert und spüren Sie den Unterschied. In der Ukraine gibt es nichts dergleichen.«
Dass die ehemalige Sowjetrepublik Moldau sich zunehmend von Moskau abkehrt, nahm Putin gelassen hin. »Moldau kann gehen«, sagte der Kremlchef. »Wenn das ärmste Land Europas dem Beispiel Deutschlands folgen will, das seine Energie jetzt für 30 Prozent mehr von den USA kauft, dann bitte.« Zu Armenien und der Region Bergkarabach, die Aserbaidschan im September ethnisch säuberte, sagte Putin: »Wir haben Bergkarabach nicht fallenlassen. Armenien hat Karabach als aserbaidschanisches Gebiet anerkannt.« Trotz eines zuletzt deutlich abgekühlten Verhältnisses zu Jerewan, stehe Moskaus Tür für die Südkaukasusrepublik weiter offen, hieß es weiter.
Wie Putin die Weltordnung sieht, zeigte sich bei den Fragen der Auslandskorrespondenten. Als Sprecher Peskow die Korrespondentin der »New York Times« sprechen lassen wollte, unterbrach ihn Putin. Erst sei die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua an der Reihe, dann die Amerikaner. Schließlich durfte die US-Journalistin ran und erkundigte nach dem Schicksal des seit Monaten inhaftierten »Wall Street Journal«-Korrespondenten Evan Gershkovich. Putin gab erstmals zu, dass Gershkovich als Verhandlungsmasse für einen Gefangenenaustausch dient. Man sei mit den USA im Dialog und hoffe auf eine Lösung, die für Russland annehmbar ist, sagte Putin.
Hohe Nebenkosten und Abtreibung
Innenpolitisch ging es beim »Direkten Draht« vorwiegend um die gestiegenen Lebenshaltungskosten in Russland. »Das Licht am Ende des Tunnels wird immer teurer«, fasste die Moderatorin die Sorge vieler Menschen in Russland zusammen. Viele Lebensmittel sind in Russland in den vergangenen Jahren erheblich teurer geworden. Insbesondere Eier mutierten zum Luxusgut. Bezüglich eines in den vergangenen Wochen hitzig diskutierten möglichen Verbots von Abtreibungen gab sich Putin unwissend. »Gibt es etwa ein Verbot? Nein«, so der Präsident, verwies dabei aber auf sein Lieblingsthema der traditionellen Werte.
Weniger traditionell war die Frage, die Putin sich selbst stellte. Mittels Deepfake (Putin als Student) ging es um die vermeintlichen Doppelgänger des russischen Präsidenten. »Nur ein Mensch darf mir ähneln und mit meiner Stimme sprechen. Und dieser Mensch bin ich«, bemühte sich Putin die Spekulationen beiseitezuschieben.
Wirklich Bewegendes äußerte Putin in den vier Stunden nicht. Interessanter waren da schon die Fragen, die auf Monitoren und Laufbändern eingeblendet wurden. »Wer wird anschließend Präsident?«, »Wie wird die Korruption bekämpft?«, »Warum unterscheidet sich Ihre Realität mit unserer Wirklichkeit?«, »Wie kann man in das Russland umziehen, das im Ersten Kanal gezeigt wird?« war dort unter anderem zu lesen. Geantwortet hat Putin auf diese Fragen nicht.
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