- Politik
- Jemen
Der lange Arm der iranischen Revolutionsgarden im Jemen
Ein Frieden zwischen den verfeindeten Seiten im Krieg in Jemen ist immer noch nicht in Sicht
Es ist eine tiefe, allumfassende Stille, die den Jemen momentan umgibt, jedenfalls wenn es um die internationale Diplomatie geht. Die Regierung des Oman, die im innerstaatlichen Konflikt vermittelt, sagt keinen Ton; auch nicht die saudische Regierung, die kurz davor steht, einen Friedensdeal mit den Huthi-Milizen zu unterzeichnen. Dass gesprochen wird, weiß man nur, weil es Huthi-Sprecher Mohammad Abdel Salam der Nachrichtenagentur Reuters sagte, bevor auch er wieder verstummte: Man spreche mit »internationalen Parteien«, so die Meldung, aber die eigene Position stehe nicht zur Debatte: Die Angriffe auf Schiffe, die Raketenabschüsse auf Israel würden so lange weitergehen, bis Israel seine »Aggression« stoppe und Hilfslieferungen in den Gazastreifen erlaube.
Kurz nachdem im Gazastreifen und in Israel der Krieg ausbrach, begannen die Huthi-Milizen, die einen Großteil des Nordjemen kontrollieren, Raketen auf das gut 2000 Kilometer Luftlinie entfernte Israel abzuschießen, Drohnen auf den Weg zu schicken. Vor gut einem Monat kaperte man dann auch den Autofrachter »Galaxy Leader«, nahm die Besatzung als Geisel. Das Schiff befinde sich in israelischem Besitz, so die Begründung. Und nun werden nahezu täglich Schiffe beschossen, die auf dem Weg durch die Meerenge Bab Al-Mandab (deutsch: Tor des Wehklagens) ins Rote Meer sind, um dann durch den Suezkanal ins Mittelmeer zu fahren.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Begründung, wie gesagt: der Krieg im Gazastreifen. Und in den internationalen Medien, der Politik ist man sich ziemlich einig: Die iranischen Revolutionsgarden nutzen ihren Einfluss auf die Huthi, um auf diesem Wege in den Gaza-Krieg einzugeifen.
Tatsächlich erfüllt sich nun ein Angstszenario zum Teil, dass von Analysten in europäischen, amerikanischen und nahöstlichen Think Tanks schon seit Jahren befürchtet wird: Durch die Unterstützung der Huthi-Milizen haben die Revolutionsgarden Zugriff auf zwei der weltweit wichtigsten Meerengen: die Straße von Hormus zwischen dem Iran und dem Oman, durch die ein erheblicher Teil der weltweiten Gas- und Öltransporte muss. Und das Bab Al-Mandab, das für Rohstofftransporte und den weltweiten Warenhandel von immenser Bedeutung ist. Immer wieder drohten die Revolutionsgarden damit, die Straße von Hormus dicht zu machen. Wahrgemacht haben sie das nie.
Doch die Dinge sind sehr viel komplexer, als sie scheinen. Seit 2014 herrschte im Jemen ein extrem zerstörerischer Krieg zwischen der international anerkannten und von Saudi-Arabien unterstützten Regierung und den vom Iran unterstützten Huthi. Zeitweise war auch eine von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterstützte Organisation namens »Südlicher Übergangsrat« beteiligt, die für einen unabhängigen Süd-Jemen eintritt. Hunderttausende wurden durch die Kriegshandlungen sowie Hunger und Krankheiten getötet. Erst seit Jahresbeginn schaffte es dann der UN-Sondergesandte Hans Grundberg im Schatten einer von China orchestrierten Annäherung der iranischen Führung an Saudi-Arabien, einen bis heute andauernden Waffenstillstand auszuhandeln, mit dem Ziel eines dauerhaften Friedens. Und in der Tat standen die Dinge ziemlich gut: Saudi-Arabien, die international anerkannte Regierung und die Huthi waren vor einigen Wochen kurz davor, ein Friedensabkommen zu unterzeichnen. Die Huthi, das war klar, waren endgültig da, um zu bleiben.
Wobei es aber ein erhebliches Problem gab: Der Organisation, die 2014 den Krieg ausgelöst hatte, weil sie mehr Beteiligung an den Entscheidungsprozessen forderte, fehlt es heute an Rückhalt. Menschen, die unter ihrer Kontrolle leben, berichten, dass mit dem Waffenstillstand die Bürgerrechte immer weiter eingeschränkt werden, die Repressionen zunehmen. Frauen seien davon besonders stark betroffen.
Vor Ort vermutet man deshalb, dass die Huthi ihre strategisch günstige Position am Bab Al-Mandab und die Berichte aus Gaza dazu nutzen, auf diesem Wege Unterstützung zu gewinnen. Und auch: ihre Verhandlungsgrundlage zu verbessern, um mehr aus einem Friedensdeal herauszuholen.
Die von Wissenschaftlern und Diplomaten seit langem heiß diskutierte Frage ist ohnehin, wie groß der Einfluss der Revolutionsgarden auf gewaltbereite Gruppen in der Region überhaupt ist. Wie die Huthi und die Hamas existieren die meisten dieser Organisationen aus Gründen, die im Kontext ihres Heimatlandes liegen. Die Revolutionsgarden unterstützen sie dabei mit Waffen, befeuern damit diese Konflikte. Aber würden diese Gruppen auch auf Befehl aus Teheran handeln, Dinge tun, die ihren eigenen Interessen schaden?
So oder so stehen viele Regierungen nun vor einem Dilemma. Die Ereignisse rund um das Bab Al-Mandab schaden dem weltweiten Warenhandel enorm, weil nun viele Transporte um das Horn von Afrika geführt werden müssen; die Kosten steigen damit. Zudem drohen Lieferengpässe. Gleichzeitig bringt das alles Ägypten in Bedrängnis. Die dortige Regierung muss derzeit ein Haushaltloch von um die 40 Milliarden Euro meistern. Einen erheblichen Teil des jährlichen Budgets finanziert mit den Einnahmen aus dem Suezkanal: um die zehn Milliarden Euro im Jahr. Nun drohen diese Einnahmen zum Teil wegzubrechen.
Deshalb drängt die ägyptische Regierung nun auch die saudische Führung, die Annäherung an die Huthi erst einmal auf Eis zu legen und stattdessen deren militärische Fähigkeiten zu schwächen. Auch in den USA und Europa mehreren sich die Forderungen nach Militäreinsätzen. Doch die Reichweite der Raketen bedroht nicht nur Israel, sondern auch die Golfstaaten, in denen in den vergangenen Jahren bereits mehrfach Ziele getroffen wurden. Und seit 2014 hatten die Luftwaffen Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate versucht, die Huthi durch Bombardements zu bekämpfen. Bei den Angriffen kamen teilweise bis zu 400 Zivilisten gleichzeitig ums Leben, der militärische Erfolg war gering. Und so scheint man derzeit vor allem auf eine Verhandlungslösung zu setzen, in der Hoffnung, dass die Huthi einlenken werden.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.